Pflege: Hier zeigt sich, wie wichtig die Arbeitsmigration schon heute ist – WELT

Der Aufwuchs der Beschäftigten in Deutschland wird mittlerweile zu einhundert Prozent durch Personen aus dem Ausland getragen. Besonders eindringlich betrifft das die Pflege, wie Zahlen jetzt zeigen. Doch die Zuwanderungs-Hoffnungen der Ampel sind keineswegs ein Selbstläufer.

Neulich war Vanessa Ahuja in einem Pflegeheim in Frankfurt. Ahuja, Volkswirtin und Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), berichtet von ihrem Besuch in der Einrichtung: „Der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in der Pflege ist deutschlandweit stark angestiegen“, sagt sie. „Dort, in Frankfurt, waren es quasi einhundert Prozent.“

Wie sehr der Pflegesektor mittlerweile tatsächlich von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängt, zeigt eine neue Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach kam knapp jede sechste Pflegekraft der insgesamt 1,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem Ausland. Die Zuwanderung federt dadurch den demografisch bedingten Rückgang der deutschen Beschäftigten maßgeblich ab, sagt IAB-Forscher Holger Seibert.

Die Überalterung der Gesellschaft hat im Pflegesektor einen regelrechten Boom ausgelöst, dafür braucht es immer mehr Arbeitskräfte. So ist die Gesamtbeschäftigung in den Pflegeberufen 2013 bis 2023 laut IAB um 26 Prozent gestiegen – ein Großteil davon durch Nichtdeutsche.

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In der Altenpflege wuchs die Zahl der ausländischen Beschäftigten in diesem Zeitraum um 87.000 (+273 Prozent), in der Krankenpflege um 109.000 (+256 Prozent). Aktuell liegt der Ausländeranteil in der Krankenpflege bei 14,5 Prozent und in der Altenpflege bei 18,9 Prozent, Tendenz jeweils steigend.

Das Gesundheitswesen ist kein Ausnahmefall. Denn zwar ist – hauptsächlich wegen der Fluchtbewegung nach Deutschland in den vergangenen Jahren – die Arbeitslosenquote unter Ausländern mit aktuell rund 15 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der Gesamtschnitt.

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Allerdings wird der Beschäftigungsaufwuchs deutschlandweit zu einhundert Prozent durch Personen aus dem Ausland getragen, wie Daten der BA zeigen. Insgesamt betrug der Anteil der ausländischen Beschäftigten letztes Jahr 15,3 Prozent.

Anders gesagt: Ohne Migration wäre die Beschäftigtenzahl bereits heute rückläufig, was sinkende Steuereinnahmen und Sozialbeiträge zur Folge hätte. Zuletzt wurde durch einen geringen Zuwachs ein neuer Rekord von mehr als 46 Millionen erreicht. Zwar konnte über Jahre auch die Frauenerwerbsbeteiligung deutlich gesteigert werden, die Verluste durch die Alterung kann das aber nicht ausgleichen.

Weil bald der Renteneintritt der größten Jahrgänge bevorsteht, und die Lücke durch nachfolgende Generationen und die Migration nicht gefüllt werden wird, dürfte die Beschäftigung einer Prognose des ifo-Instituts zufolge jedoch schon ab 2026 rückläufig sein. Wie stark – das wird von der Zahl der Nichtdeutschen abhängig sein, die in Arbeit kommen.

Vanessa Ahuja, die bei der BA für das internationale Geschäft zuständig ist, formuliert es etwas brachial: „Der deutsche Markt wäre platt ohne ausländische Beschäftigte.“

Dann weist sie darauf hin, dass sich in der Zuwanderungsbewegung eine Verschiebung abzeichnet: Erstmals ist in diesem Jahr die Zahl der Arbeitskräfte aus der EU, die nach Deutschland kommen, rückläufig. Das bedeutet: Die Zuwanderung von Menschen außerhalb Europas wird wichtiger für Unternehmen.

Weil für sie die Freizügigkeit innerhalb der EU nicht greift, sind die Prozesse aber länger und komplizierter. Die Ampel will mit dem sogenannten Fachkräfteeinwanderungsgesetz und mehreren direkten Abkommen, etwa mit Indien und Usbekistan, nachhelfen. Auch die Bundesagentur mischt bei der Anwerbung von Arbeitskräften mit, gerade wenn es, wie etwa im Gesundheitswesen, um Berufe geht, bei denen die Abschlüsse anerkannt werden müssen.

Deutschland bräuchte 400.000 ausländische Arbeitskräfte jährlich

Dass das nicht immer ein Selbstläufer ist, zeigt das Beispiel Brasilien. Die Hoffnungen waren groß: 700 Pflegekräfte pro Jahr sollten aus Brasilien nach Deutschland kommen, so das Ziel von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Zwischen Anfang 2022 und Mitte 2024 reisten aber nur 266 brasilianische Pflegekräfte nach Deutschland ein. Und ein im Juni 2022 vereinbartes Abkommen zwischen der BA und der brasilianischen Pflegekammer Conselho Federal de Enfermagem (Cofen) ist seit Ende 2023 ausgesetzt, wie WELT im Mai berichtete.

Dazu kommt: Neben den seit Jahren hohen Zuwanderungszahlen sind auch die Zahlen der Abwanderung deutlich gestiegen. Insgesamt zogen laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 1.933.000 Personen in die Bundesrepublik. Doch gleichzeitig verließen 1.270.000 das Land. Dadurch ergibt sich zwar ein Plus von 663.000.

Wie viele von den Personen, um die Deutschland im Jahr 2023 gewachsen ist, tatsächlich in Arbeit sind, zeigt diese Statistik allerdings nicht. Um die Zahl der Beschäftigten konstant zu halten, bräuchte es Jahr für Jahr rund 400.000 neue Arbeitskräfte aus dem Ausland, wie das IAB vorgerechnet hat – ein Ziel, dem die Einwanderungsrepublik Deutschland nur langsam entgegensteuert.

Trotz des Rückschlags im Fall Brasilien wertet Ahuja das neue Einwanderungsgesetz und die Programme der Bundesagentur als Erfolg. Dennoch seien die Möglichkeiten des Staates begrenzt. „Der Hauptkanal für die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland sind die Unternehmen selber.“

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen. Den zugehörigen Newsletter können Sie hier abonnieren. 2023 und 2024 arbeitete er für einige Monate in den USA.

Source: welt.de