Parlamentswahl: Was Sie zu den Neuwahlen in Frankreich wissen sollten

Die rechtspopulistische Partei
Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen greift nach der Macht, die französische Linke schließt sich zusammen, der Präsident warnt vor einem Bürgerkrieg und auf den Straßen Frankreichs formiert sich eine Protestbewegung gegen die erstarkte Rechte. Viel ist passiert in den drei Wochen, seit
Emmanuel Macron überraschend Neuwahlen für das französische Parlament angekündigt hat. Am 30. Juni und am 7.
Juli wird die Nationalversammlung nun neu gewählt. Zu den Hintergründen und Abläufen haben wir die wichtigsten
Informationen zusammengestellt.

Wie laufen die Neuwahlen in Frankreich ab?

Die Neuwahlen der Nationalversammlung (Assemblée nationale) finden in zwei Wahlgängen statt, am 30. Juni und am 7. Juli. Im ersten Wahlgang gilt eine Kandidatin dann als gewählt, wenn sie die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen und mindestens 25 Prozent der in den Wahllisten registrierten Wähler erhält. Sollte keine Kandidatin die absolute Mehrheit erhalten, findet eine Stichwahl im zweiten Wahlgang statt, dann ist eine relative Mehrheit ausreichend.

Am zweiten Wahlgang dürfen die zwei Erstplatzierten des ersten Wahlgangs und alle Kandidaten teilnehmen, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erhalten haben. Üblich ist, dass sich Parteien, die sich politisch nahestehen, vor dem zweiten Wahlgang auf eine gemeinsame Kandidatin verständigen. Sollte es im zweiten Wahlgang zu einem Gleichstand der Stimmen kommen, gewinnt der oder die Ältere.

Eine Briefwahl gibt es in Frankreich nicht. Im Falle einer Verhinderung kann ein französischer Wähler in Frankreich
oder im Ausland jemand anderen bevollmächtigen, an seiner Stelle
abstimmen zu gehen. Wegen der parallel stattfindenden Fußball-EM greifen
auch zahlreiche Mitglieder der französischen Delegation auf diese
Möglichkeit zurück
.

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Wie lief der Wahlkampf für die Neuwahlen in Frankreich ab?

In Frankreich gelten genaue Vorgaben zum Ablauf des
Wahlkampfes. Offiziell begann er genau 20 Tage vor der Wahl, am 17.
Juni. Die verschiedenen Parteien und Bündnisse erhielten im Anschluss
die gleiche Sendezeit in Radio und Fernsehen und die gleiche Fläche für
Wahlplakate im öffentlichen Raum. Wahlkampfspenden von
Unternehmen sind in Frankreich nicht erlaubt; für Spenden von
Einzelpersonen gilt eine Obergrenze.

Durch den kurzfristig angesetzten Wahltermin nach der Europawahl blieb kaum Zeit, den Wahlkampf zu organisieren. Den Parteien und Bündnissen blieben rund drei Wochen, um ihre Kandidaten zu nominieren, die Inhalte des Wahlprogramms festzulegen und sich an die Wähler zu wenden. 

Sowohl Macrons Partei Renaissance und der Rassemblement National als auch die französische Linke begannen nach der Auflösung der Nationalversammlung damit, Bündnispartner für eine mögliche Regierung zu suchen. Absprachen unter Parteien in den Wahlkreisen sind besonders vor der Wahl wichtig, da teils gemeinsame Kandidatinnen nominiert werden.

Für Aufsehen sorgte ein neues Bündnis, zu dem sich Sozialisten, Linkspartei, Grüne und Kommunisten zusammenschlossen. Es trägt den Namen Nouveau Front populaire (Neue Volksfront) und tritt bei den Parlamentswahlen ohne gemeinsamen Spitzenkandidaten an.

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Was ist passiert, seit die Neuwahlen angekündigt wurden?

Bereits kurz nach Macrons Ankündigung, das Parlament neu wählen zu lassen, versuchte der RN, sich die Unterstützung anderer rechter Kräfte im Land zu sichern
– zum Beispiel aus der rechtsextremen Partei Reconquête. Le Pen stellte zudem eine
mögliche Zusammenarbeit mit den konservativen Republikanern (LR) in
Aussicht.

RN-Chef
Jordan Bardella bekräftigte, dass er das Amt des Premierministers anstrebe – sofern der RN eine absolute Mehrheit bekomme.
„Ich will die Macht, um sie auszuüben“, sagt Bardella. Für den Fall eines Siegs seiner Partei kündigte er an, Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit von wichtigen Staatsposten auszuschließen. „Strategische Posten des Staates werden französischen Staatsangehörigen vorbehalten“, sagte Bardella bei der Vorstellung seines Wahlprogramms in Paris. Dies diene dazu, „sich gegen ausländische Einmischungsversuche zu schützen“.

Gegen die erstarkte Rechte formierte sich Widerstand auf den Straßen. Rund zwei Wochen vor den Neuwahlen protestierten Hunderttausende Menschen gegen den Rechtsruck im Land.
Auf ihren Transparenten waren Sprüche wie „Die Republik steht in
Flammen“ oder „Die extreme Rechte ist eine tödliche Gefahr“ zu lesen.

Macron
warnte die Wählerinnen und Wähler unterdessen vor den Parteiprogrammen
der linken und rechten Kräfte gleichermaßen. Beide hätten das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und gar einen Bürgerkrieg auszulösen. Jüngste Umfragen sehen den RN dennoch deutlich in Führung. Demnach kommen die Rechtspopulisten auf 37 Prozent der Stimmen,
gefolgt von der linken Neuen Volksfront mit 28 Prozent. Macrons
liberales Lager hingegen liegt mit 20 Prozent abgeschlagen auf dem
dritten Platz.

Zudem legen die Umfragen einen deutlichen Anstieg der Wahlbeteiligung nahe.
Hatten an den letzten Parlamentswahlen weniger als 48 Prozent der
Wahlberechtigten teilgenommen – ein historischer Tiefstand –, sei nun mit einer Wahlbeteiligung von bis
zu 65 Prozent zu rechnen.

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Wer kann in die Nationalversammlung gewählt werden?

Die Nationalversammlung besteht aus 577 Abgeordneten. Sie werden in direkter Wahl nach dem Mehrheitswahlrecht für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlberechtigt und wählbar sind alle Franzosen ab 18 Jahren, die im Wählerverzeichnis eingetragen sind. Insgesamt gibt es 577 Wahlkreise, von denen zehn für die französischen Überseegebiete sind und elf für Franzosen, die im Ausland leben.

Die Assemblée nationale ist das Unterhaus des französischen Parlaments. Mit dem Oberhaus, dem Sénat, bildet sie das Zweikammersystem der französischen Gesetzgebung. Zu den Aufgaben der Nationalversammlung zählen das Vorschlagen und Verabschieden von Gesetzen, womit sie mehr Befugnisse als der Sénat hat.

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Wie kam es zu den Neuwahlen in Frankreich?

Mit der Auflösung der Nationalversammlung hat Emmanuel Macron die Parlamentswahlen von 2027 auf 2024 vorgezogen. Dabei berief sich der Präsident auf Artikel 12 der französischen Verfassung, wonach die Versammlung aufgelöst werden kann, um Frankreich aus einer institutionellen Krise herauszuführen.

Die von Macron angekündigten Neuwahlen kamen überraschend, denn in der aufgelösten Nationalversammlung hatte seine Partei Renaissance die Regierungsmehrheit inne. Er könnte diese Mehrheit verlieren, denn bei den Europawahlen zeigte sich, dass mehr als 30 Prozent der Wählerinnen Le Pen unterstützen. Deren Rassemblement National gewann mehr als 30 von 81 französischen Sitzen im Europaparlament – mehr als doppelt so viele wie die Partei des Präsidenten.

Macron reagiert mit der Auflösung des Parlaments auf diese Wahlergebnisse. Die Neuwahlen können als Referendum dienen, um das Vertrauen der Wähler in die Regierung zu überprüfen. Beobachter sprechen von einem machtpolitischen Zug, mit dem der Präsident versuche, die Position seiner Regierung zu stärken.

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Welche Folgen haben die Neuwahlen für Frankreich?

Bei einer Wahlniederlage der Partei Renaissance von Emmanuel Macron
würde sie die Regierungsmehrheit in der Nationalversammlung verlieren.
Sollte der Rassemblement National eine relative oder sogar eine absolute
Mehrheit erhalten, müsste Macron den Premierminister und die Minister
ersetzen, möglicherweise durch Le Pen, Bardella und weitere Kandidaten des RN. Es wäre das erste Mal, dass Rechtsextreme in Frankreich regieren.

Wenn der Premierminister und der Präsident nicht von derselben
Partei gestellt werden, spricht man von einer Kohabitation. Die gab
es in Frankreich bereits fünfmal, nämlich in den Jahren 1962, 1968,
1981, 1988 und 1997. Seit General de Gaulle (1962 und 1968)
gelang es keinem Präsidenten mehr, seine Position im Parlament durch eine Neuwahl
zu stärken. Damals fanden die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen
noch in unterschiedlichen Jahren statt, das wurde 2002 geändert: Nun
werden stets im selben Jahr zunächst der Präsident und dann das
Parlament gewählt. Seitdem hat jede Parlamentswahl das Ergebnis der
Präsidentschaftswahl bestätigt.

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