Olaf Scholz im Ausland: „Ein ganz kleines Führerchen“

Olaf Scholz ist nun seit einem Jahr im Amt. Und wir tun uns immer noch schwer, ihn, diesen etwas spröden Alleswisser, prägnant zu charakterisieren. Vielleicht hilft ja der Blick ins Ausland? Wie wird der deutsche Kanzler in anderen Regionen der Welt gesehen? Wir haben unsere Korrespondenten gefragt.

Russland: Scholz zittert vor Putin

In Russland ist es fast ein geflügeltes Wort, dass es mit Angela Merkel als Kanzlerin nicht zu diesem Krieg gekommen wäre. Die konnte wenigstens Russisch und verstand etwas von Außenpolitik. Scholz und Baerbock seien dagegen russophob eingestellt und Dilettanten.

Das ist zwar so unbewiesen wie unwahrscheinlich, aber es zeigt den Stellenwert von Olaf Scholz in Russland: unten. Der kremlnahe Analyst Sergej Markow hat sich Scholz‘ Rede über die Bundeswehr vorgenommen, die auf dem Weg sei, die „stärkste konventionelle Armee“ in Europa zu werden. Die Erklärung zeige, dass Scholz krampfhaft versuche, sein Image als „schwacher Politiker“ auszugleichen. Er wolle mit einem militaristischen Appell zeigen, dass er keine „beleidigte Leberwurst“ sei. Damit spielt Markow auf den Tweet des ehemaligen ukrainischen Botschafters in Berlin über Scholz an. Dass Scholz Andrij Melnyk anschließend nicht ausgewiesen habe, beweise nochmals seine Schwäche.

Dabei wurden in Russland weitaus schlimmere Vergleiche gezogen. Der Extrem-Talk-Master Wladimir Solowjow nannte ihn nach den Gepard-Lieferungen an die Ukraine einen „unvollendeten Nazischurken“, „ein ganz kleines Führerchen“, der seinem Götzen mit dem Schnurrbart nacheifere. Wie Putin über Scholz denkt, ist nicht bekannt. Aber der kremltreue Politologe Alexander Sosnowskij gibt zu verstehen, dass man ihn im Kreml nicht ganz so krass wahrnimmt. Scholz sei unter den westlichen Regierungschefs der „vorteilhafteste“ für Russland. Er würde Putin fürchten und vor jedem Kontakt mit ihm zittern. Und deshalb würde er nicht die „Schwelle von einer Vorkriegssituation zur Kriegssituation“ überschreiten.

Michael Thumann, Moskau

China: Der Mann nach „Tante Mo“

„Tante Mo“, wie Angela Merkel liebevoll im
chinesischen Internet genannte wird, war schließlich ein überaus gern gesehener
Gast im Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai. Klar, dass Olaf Scholz es da
erst mal schwer haben würde.

Trotz
kritischer Worte des neuen Kanzlers hielt sich die Staatspresse vorerst mit
ihrem Urteil zurück und gewährte Scholz eine Schonfrist. Eine Zeit lang wurde er
von den Medien weitgehend ignoriert: Selbst vor Scholz‘ Peking-Besuch Anfang November,
immerhin als erster westlicher Staatschef nach dem historischen 20. Parteitag,
publizierte die Parteizeitung Renmin Rebao nur eine kurze Randspalte.

Seither
jedoch fällt seine Bewertung freundlicher aus. Seine anschließende Asien-Reise,
die Scholz von China über Indonesien bis nach Vietnam führte, habe der Welt ein
positives Signal ausgesandt: „Es zeigt, dass auch ein westliches Land mit einem
sich rapide entwickelnden Asien auskommen kann“, kommentiert Song Luzheng von
der renommierten Fudan-Universität. Scholz sei immerhin ein „ziemlich
pragmatischer Politiker“, schreibt Lu in der nationalistischen Global Times.
Mehr chinesisches Lob für einen Staatschef aus der EU geht derzeit wohl kaum.

Fabian Kretschmer, Peking

USA: Dear Mr. Scholzomat

„Scholzomat“, dieses Wort braucht keine englische Übersetzung. Als die Welt sich fragte, was das eigentlich für ein Typ sei, der Angela Merkel nachfolgen sollte – da war es dieses Wort, das auch US-Medien eifrig in ihre Scholz-Porträts schrieben. Darunter konnte man sich etwas vorstellen, ließ sich aus dem Mann doch ansonsten wenig herauslesen.

Der roboterhafte, oft verkniffene Kommunikationsstil unterscheidet Scholz von seinem amerikanischen Amtskollegen. Gemeinsamkeiten mit Joe Biden gibt es dennoch einige: beide keine mitreißenden Redner, beide Konsensfreaks, beide Berufspolitiker seit Jahrzehnten.

Was nicht heißt, dass in diesem ersten Jahr nur Harmonie herrschte zwischen Washington und Berlin. Scholz‘ „Zeitenwende“-Rede wurde in den USA zwar fast noch begeisterter aufgenommen als in Deutschland, das Wall Street Journal maulte neidisch: „Präsident Biden ist kein Olaf Scholz.“ Die Diskrepanz aber, die sich in den darauffolgenden Monaten auftat zwischen dem, was diese Rede versprochen hatte, und der zögerlichen Performance, die Deutschland als Partner für die Ukraine dann hinlegte, sorgte für Ratlosigkeit.

Mehr noch die deutschen Alleingänge in Sachen China. Durch sein Insistieren auf stabile Handelsbeziehungen mit China verdirbt Scholz sich womöglich gerade die Beziehung mit Biden, der ihn beim G7-Gipfel im Sommer noch überschwänglich lobte. Merkel kannten und mochten in den USA die meisten Menschen. Davon kann Scholz nur träumen.  

Johanna Roth, Washington, D. C.

Polen: Charaktertest nicht bestanden

Bis vor Kurzem hatte Olaf Scholz in Polen keine gute Presse. Die Polen verübelten ihm seine schwankende Haltung hinsichtlich der angegriffenen Ukraine. Scholz hat sich im öffentlichen Bewusstsein als Kanzler festgesetzt, der einen von Russland überfallenen Staat nicht uneingeschränkt unterstützen wollte. Für Polen, das an die Ukraine angrenzt, ist dies allerdings eine Schlüsselfrage: Wer die Ukraine verteidigt, verteidigt Europa. Scholz hat diesen Charaktertest nicht bestanden. 

Dieses negative Scholz-Bild wurde durch den jüngsten Vorschlag Deutschlands, das Patriot-Luftabwehrsystem an Polen zu übergeben, ein wenig verbessert. Die nationalkonservative Regierung in Warschau reagierte hierauf allerdings zwiespältig. Erst akzeptierte sie die Raketenbatterie, dann aber lehnte sie doch ab.   

Denn in Polen hat bereits der Wahlkampf begonnen. Und für den rechten Teil der politischen Szene wird Deutschland das Feindbild bleiben, egal wer in Berlin an der Macht ist. In Polen wettern rechte Politiker über das Diktat Deutschlands in Europa. Berlin und Paris dominierten alles, heißt es seit Jahren. Ganz gleich, ob das wirklich stimmt. 

Michał Kokot, Warschau

Afrika: Ein bisschen Chefsache

Der hat’s aber eilig! Das war der erste Eindruck, den Olaf Scholz auf dem Nachbarkontinent hinterlassen hat. Kaum sechs Monate im Amt – und schon reiste der Bundeskanzler nach Afrika. Angela Merkel hatte für ihren ersten Besuch zwei Jahre gebraucht – und Afrika ansonsten in der Ablage Entwicklungshilfe abgeheftet.

Senegal, Niger und Südafrika waren Scholz‘ Stationen im vergangenen Mai. Allerdings fragte sich die südafrikanische Zeitung Daily Maverick, ob es dem Kanzler um die drei Länder ging oder eher um die Deutschen, die daheim aufgrund der Energiesanktionen gegen Russland kalte Wohnungen zu Weihnachten fürchteten. Scholz bekundete großes Interesse an senegalesischem Erdgas und südafrikanischer Kohle – zur Freude der jeweiligen Regierungen und zum Entsetzen dortiger Umweltorganisationen.

Inzwischen hat die Bundesregierung auch bei Afrikas Klimaschützern punkten können, weil sie deren zentrales Anliegen bei der jüngsten UN-Klimakonferenz in Scharm al-Scheich unterstützte: einen Entschädigungsfonds für Entwicklungsländer, die am massivsten unter der Erderwärmung leiden, zu der sie am wenigsten beigetragen haben.

Wieder hat deutsches Eigeninteresse eine Rolle gespielt. Was nicht verwerflich sein muss. In Berlin versteht man endlich, dass auf dem Nachbarkontinent wichtige Bündnispartner sitzen, um die sich China, Russland oder die Golfstaaten bemühen. Und in Dakar oder Pretoria nimmt man zufrieden zur Kenntnis, dass der deutsche Kanzler Afrika, wenn nötig, auch mal zur Chefsache macht.

Andrea Böhm

Frankreich: Der Königsberger Klops

Olaf Scholz kennen selbst nach einem Jahr Amtszeit nur
wenige Franzosen und Französinnen. „Wie hießt noch mal der Nachfolger von Angela
Merkel?“, fragen manchmal selbst Politikjournalisten in Livesendungen. Kein
Kommentar zu Scholz kommt ohne Merkel aus, die linksliberale Libération
titelte einst über ihn: „Der Mann, der sich für Merkel hielt.“ Ein Mann, der
stets als „unsichtbar“ und „grau“ wahrgenommen wird. Eine Einschätzung, stets
unterfüttert mit seinem „preußischen“ Lieblingsgericht, die Königsberger
Klopse: Für Frankreich Buletten in  „unscheinbarer Soße“, die den Bundeskanzler für sie offenbar treffend
beschreibt.

Er sei eben ein „diskreter Norddeutscher“, schreibt der
Radiosender France Info, „unscheinbar, pragmatisch und trübe“, nennen ihn andere. Der allerdings, und
das werfen Scholz viele vor, Europa vernachlässige, sich „einfach behaupte und
Frankreich zu einem Anhängsel mache„.
Dass er – offenbar ohne Absprache – 200 Milliarden Euro in der Krise für
Haushalte und Industrie ausgeben will, nehmen ihm viele übel, aus Sorge, von
Deutschland ökonomisch abgehängt zu werden.

Annika Joeres, Nizza