Migration: So will sich Deutschland für Einwanderer attraktiv machen
Mit drei Großvorhaben für eine liberalere Einwanderungspolitik hat die Ampel-Koalition in dieser Woche für Aufregung gesorgt. Die CDU warnt vor einem Ausverkauf des Asylrechts und einer Einwanderung in die Sozialsysteme. Was plant die Ampel und wo stimmt die Kritik? Der Überblick
Übersicht:
Diese drei neuen Regeln plant die Koalition für die Einwanderung
- Chancenkarte für Fachkräfte – für ausländische Fachkräfte soll es künftig viel einfacher werden, nach Deutschland zu kommen. Vorbild ist das Einwanderungsland Kanada.
- Schneller zum deutschen Pass – wer in Deutschland gut integriert ist, soll früher eingebürgert werden. Doppelte Staatsbürgerschaft soll einfacher möglich sein.
- Chance für abgelehnte Asylbewerber – wer in Deutschland nur geduldet, aber gut integriert ist, soll nach einer einjährigen Bewährungszeit eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. So sollen Geflüchtete aus den Jahren 2015/2016 mit einer einmaligen Sonderregelung legalisiert werden.
Fachkräfteoffensive und Chancenkarte
So ist es bisher: In Deutschland fehlen derzeit rund 400.000 Arbeitskräfte im Jahr, die nur aus dem Ausland gewonnen werden können, weil es sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt gar nicht gibt. Schon in den vergangenen Jahren wurden deswegen die Einwanderungsregeln für ausländische Fachkräfte gelockert. So dürfen Nicht-EU-Ausländer mit anerkannter Berufsausbildung nun auch ohne Arbeitsvertrag für sechs Monate zur Jobsuche nach Deutschland kommen. Für Akademiker gibt es die „Blaue Karte EU“, allerdings bekommt die nur, wer das derzeit für die meisten Berufe erforderliche Jahresbruttogehalt in Höhe von 56.400 Euro nachweisen kann; (in manchen Mangelberufen ist die Einkommensgrenze etwas niedriger).
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger hingegen dürfen schon lange ohne Hürden in Deutschland arbeiten, aber nur bedingt Sozialleistungen beanspruchen. Und auch Personen, die Staatsangehörige eines privilegierten Staates wie etwa der USA, Neuseeland oder Australien sind, haben es bei der Einreise leicht. Sie gelten als sogenannte privilegierte Staatsangehörige und dürfen sogar visumfrei einreisen.
Die frühere Vorrangregelung, wonach für eine offene Stelle erst eine qualifizierte Deutsche oder ein qualifizierter Deutscher gesucht werden muss, wurde übrigens im Jahr 2020 abgeschafft. Sie führte dazu, dass die Verfahren oft viel zu lange dauerten.
Der neue Plan: Künftig soll es noch einfacher werden, bereits für eine Berufsausbildung oder zum Studieren nach Deutschland zu kommen. Visa sollen schneller vergeben werden, zudem soll die berufliche Erfahrung, die jemand aus seinem Heimatland mitbringt, stärker berücksichtigt werden. Er oder sie soll hier auch ohne Anerkennung seines Abschlusses arbeiten können. Für Akademiker und IT-Spezialisten werden die Gehaltsschwellen abgesenkt, IT-Spezialisten sollen keine Deutschkenntnisse mehr nachweisen müssen. Als Spezialist gelten Menschen, die zum Beispiel einen Meisterabschluss oder einen Bachelorabschluss vorweisen können.
Deutlich weitgehender ist die Idee der Ampel-Koalition, eine Chancenkarte einzuführen. Sie soll dazu dienen, dass Ausländerinnen zur Arbeitssuche einfacher nach Deutschland kommen können. Vorbild ist das Punktesystem für Einwanderung nach kanadischem Vorbild. Über die konkreten Pläne sind aber bisher nur wenige Details bekannt: „Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören“, heißt es in den Eckpunkten. Eine weitere Möglichkeit soll eine zweiwöchige Probebeschäftigung in Vollzeit in deutschen Betrieben sein. Mehr Details sollen Anfang des kommenden Jahres genannt werden.
Die Bedenken: Aus Sicht der Ampel-Koalition muss die Einwanderungsoffensive auch auf gesellschaftliche Akzeptanz treffen: „Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung“, wird Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht müde zu betonen, „es ist wichtig, dass wir eine weltoffene Gesellschaft sind, in unserem eigenen Interesse.“ Denn schon heute habe Deutschland Wettbewerbsnachteile gegenüber französisch- und englischsprachigen Ländern, die deutsche Sprache – und die für die Arbeitsmigration gestellten Anforderungen an das Sprachniveau der Einwandernden – stellen bislang eine große Hürde dar. CDU-Chef Friedrich Merz hatte kritisiert, dass die Bundesregierung zu wenig dafür tue, die bereits in Deutschland lebenden Ausländer zu integrieren: „Wir haben viele Menschen hier, die im Arbeitsmarkt in Deutschland einfach nicht verwendbar sind (…) und die, die wir brauchen, wollen nicht kommen“, sagte er.
So geht es weiter: Es handelt sich erst mal nur um ein Eckpunktepapier, das die Bundesregierung beschlossen hat. Anfang 2023 sollen alle für die Fachkräfteoffensive nötigen Gesetzesänderungen – es werden mehrere sein – von der Bundesregierung offiziell auf den Weg gebracht werden.
Schneller zum deutschen Pass
So ist es bisher: Bisher muss man in der Regel acht Jahre in Deutschland gelebt haben, um einen Antrag auf Einbürgerung stellen zu können, bei besonders guten Integrationsleistungen ist das auch nach sechs Jahren möglich. Die Dauer allein ist aber nicht entscheidend, es müssen auch andere Voraussetzungen erfüllt sein: So braucht man schon vor der Einbürgerung ein unbefristetes Aufenthaltsrecht, man muss für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen können – also eine Arbeit haben, man muss sehr gute Sprachkenntnisse nachweisen, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und darf nicht straffällig geworden sein. EU-Staatsbürger und Schweizer dürfen ihren bisherigen Pass bei der Einbürgerung behalten, das gilt auch für Staaten, die, wie etwa der Iran, ihre Staatsbürger grundsätzlich nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen. Alle anderen müssen in der Regel ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben.
Der neue Plan: Die Bundesregierung will, dass Menschen künftig schneller Deutsche werden können und damit auch alle Rechte einer Staatsbürgerin haben, sich also beispielsweise an Wahlen beteiligen oder auch selbst zur Wahl stellen können. Deswegen sollen die Aufenthaltsfristen für eine Einbürgerung verkürzt werden. Bei besonders guten Integrationsleistungen soll diese künftig schon nach drei Jahren, im Regelfall nach fünf Jahren möglich sein. Auch weiterhin gelten dafür aber die oben genannten Kriterien. Allerdings will die Bundesregierung eine Ausnahmeregelung für Menschen über 67 Jahre schaffen, sie sollen keinen Einbürgerungstest (also Kenntnisse der deutschen Geschichte und des Staatswesens) mehr vorweisen müssen. Zudem reicht es, wenn sie sich mündlich auf Deutsch verständigen können, ein bestimmtes nachgewiesenes Sprachniveau ist für sie nicht erforderlich. Damit will man gezielt Angehörigen der ersten Gastarbeitergeneration die Einbürgerung erleichtern. Denn als diese nach Deutschland kamen, gab es oft keinerlei Angebote, um die Sprache zu lernen, insbesondere die Familienangehörigen wie die Ehefrauen hatten kaum Zugang zu Sprachkursen. Diese Menschen hatten also schlechtere Bedingungen als heutige Migranten und Migrantinnen.
Die Bedenken: Die Union fürchtet, die Staatsbürgerschaft verliere durch die Regelungen an Wert, werde „verramscht“. Tatsächlich könnten die erleichterten Bedingungen dazu führen, dass künftig mehr Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Zuletzt lag die Einbürgerungsquote hierzulande allerdings unter dem EU-Durchschnitt. Nur 1,3 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer ließ sich 2019 einbürgern, EU-weit waren es zwei Prozent. Auch eine Absenkung der Mindestaufenthaltsfrist von acht auf fünf Jahre wäre im internationalen Vergleich nicht besonders großzügig, sondern entspricht dem, was in vielen Staaten üblich ist.
Die Union fordert zudem, dass die Staatsbürgerschaft am Ende des Integrationsprozesses stehen müsse, nicht am Anfang. Das wird allerdings auch künftig so sein. Aus diesem Grund wird die Änderung auch nicht wie von der Union befürchtet zu einem Zuzug in die Sozialsysteme führen. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft sieht die Union kritisch. Die Ampel-Fraktionen halten dagegen, dass bereits heute bis zu 70 Prozent der Eingebürgerten ihre frühere Staatsbürgerschaft behalten dürfen.
So geht es weiter: Ein Gesetzentwurf liegt vor, der geht nun in die Ressortabstimmung zwischen den Ministerien. Sowohl in diesem Prozess als auch später im Bundestag kann er natürlich noch verändert werden. Die Bundesregierung geht allerdings davon aus, dass das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, die Union könnte es dort also nicht blockieren. Allerdings verlangt die FDP vor Änderungen am Staatsangehörigkeitsrecht Verbesserungen bei der Abschiebung. Außerdem will die FDP erreichen, dass doppelte Staatsbürgerschaften nicht vererbt werden können. Heute nämlich können Kinder von Eltern mit einem Doppelpass diesen erben.
Spurwechsel Asylsystem
So ist es bisher: In Deutschland leben 242.000 Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden können, weil ihre Identität unklar oder ihr Herkunftsland zu unsicher ist. Diese Menschen sind im Land nur „geduldet“, sie können nur bedingt arbeiten und sich ein Leben aufbauen. Nach der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wurden zwischen 40 und 50 Prozent der Asylanträge nicht bewilligt, wie zum Beispiel der Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Engelhard Mazanke, sagt: „Diese Menschen sind aber immer noch da.“
Der neue Plan: Die Ampel-Koalition will diesen Geduldeten jetzt eine einmalige Chance geben, ihren Aufenthalt in Deutschland zu legalisieren. Die Bedingung: Sie müssen am 31. Oktober 2022 mindestens fünf Jahre im Land gewesen sein, davon ein Jahr als Geduldete und nicht straffällig gewesen sein (Geldstrafen sind ausgenommen) und ihren Lebensunterhalt „überwiegend“ selbst bestreiten können. Nach Auslegung von Ausländerbehörden bedeutet das, dass sie 51 Prozent ihrer Ausgaben für Miete und Lebensmittel selbst aufbringen können.
Profitieren könnten von der Regelung viele Menschen aus dem Irak, Afghanistan, Nigeria. Die Betroffenen sollen ab Januar einen Antrag auf einen sogenannten Chancenaufenthalt stellen können und dann 18 Monate Zeit haben, alle nötigen Unterlagen für eine „richtige“ Aufenthaltsgenehmigung vorzulegen. In dieser Bewährungszeit können sie nicht abgeschoben werden und werden außerdem im Sozialsystem bessergestellt. Statt den niedrigen Asylbewerberleistungen bekommen sie Bürgergeld, Kindergeld und werden durch das Jobcenter betreut. Sie können ihren Wohnort im Gegensatz zu früher frei wählen.
Nach den 18 Monaten soll das Ausländeramt bewerten, ob sie die Auflagen für einen legalen Aufenthaltstitel erfüllen. Stimmt das Amt zu, können die bisher Geduldeten zunächst für drei Jahre in Deutschland bleiben, ganz normal arbeiten und am Leben teilnehmen, ohne Abschiebung fürchten zu müssen. Auch Kinder und Familienangehörige können dann den einjährigen Schutzstatus erhalten.
Mit der Ausnahmeregelung (das Gesetz läuft 2026 aus) sollen die Betroffenen auch dazu motiviert werden, ihre Identität zu klären. Dahinter steckt die Annahme, dass viele Migranten bei der Einreise falsche Angaben zu ihrer Herkunft gemacht haben, um bessere Chancen auf Asyl zu haben. Wenn nun jemand seinen Pass, der bisher beispielsweise als verloren galt, während des Bewährungsjahrs erstmals bei der Ausländerbehörde vorlegt und sonst alle Kriterien erfüllt, soll er oder sie dennoch einen Aufenthaltstitel erhalten können. Soweit die Theorie – allerdings steht im Gesetzentwurf auch, dass Personen, die „wiederholt und vorsätzlich Falschangaben gemacht haben“, sich gar nicht erst um einen Chancenaufenthalt bewerben können.
Die Bedenken: Sozial- und Flüchtlingshilfsorganisationen befürchten daher, dass Betroffene doch für frühere Falschangaben zu ihrer Identität sanktioniert werden könnten, vor allem wenn sie nach einem Jahr die Auflagen für den Aufenthaltstitel nicht erfüllen – und dann wieder in den Geduldetenstatus zurückfallen. Das liege im Ermessen der Ausländerbehörden, die mancherorts strenger, andernorts hilfsbereiter seien. Gleiches gilt für die Personen, die Probleme dabei haben, bei der Botschaft ihres Heimatlandes ihren Pass neu zu beantragen oder unter langen Bearbeitungszeiten leiden. Die Union hingegen verurteilt das Gesetz als Anreiz zur „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Auch Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag beklagte, dass „erneut der Eindruck erweckt wird, dass man nach Deutschland kommen kann, ohne die rechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen“. Die FDP will außerdem, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehen Rückführungen abgeschobener Ausländer vereinfacht wird. Hier haben SPD und Grüne noch keine Initiative gezeigt.
So geht es weiter: Nachdem einige Kritikpunkte eingearbeitet wurden, soll das Gesetz nun am Freitag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP im Bundestag beschlossen werden.