Meinung: Europa muss endlich lernen, sich selbst zu verteidigen

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Europa muss endlich lernen, sich selbst zu verteidigen






Noch immer vertrauen wir auf den Schutz der USA – ein Irrglaube. Europa muss  Geld in seine Verteidigung zu investieren, und zwar jetzt. Russland wird nicht auf uns warten.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird US-Vizepräsident JD Vance die Forderung Trumps betonen, dass Europa selbst die Verteidigung Europas übernehmen muss. Darauf sind wir nicht vorbereitet. Ein Sicherheitsvakuum droht. Wie lässt es sich vermeiden?

Bei aller berechtigten Sorge um Handelskriege oder um die Einmischung von Elon Musk in den deutschen Wahlkampf droht die vielleicht größte Herausforderung unterzugehen, die der Amtsantritt der Trump-Regierung nach sich zieht: die militärische Abkehr der USA von Europa. 

Bereits vor einem Jahr erklärte der damalige Senator JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz einem schockierten Publikum, dass die USA nicht mehr in der Lage seien, zur gleichen Zeit die Ukraine und Israel zu unterstützen sowie auf alle Eventualitäten im Indo-Pazifik vorbereitet zu sein. In einer „Welt der Knappheit“, so Vance, könnten die USA nicht mehr als Weltpolizist auftreten, sondern müssten ihr Engagement in der Welt radikal priorisieren. Wenn auch unausgesprochen, so war allen Anwesenden klar, was gemeint war: Europa hat im Vergleich zum Indo-Pazifik und Mittleren Osten die geringste strategische Bedeutung. 

Die alten Zeiten sind vorbei

Ein Jahr später sitzt Trump im Weißen Haus, der noch im Wahlkampf Russland ermutigt hat, die Länder anzugreifen, die nicht genug für Verteidigung ausgeben. Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit ist seine Regierung gespickt mit Leuten, die die US-Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf stellen wollen. Die Zeiten, in denen die USA als Garant der internationalen Ordnung und der Sicherheit in Europa auftraten, sind vorbei. Obschon auch die USA von einer stabilen Ordnung profitiert haben, gilt jetzt in Washington die Devise, nur noch nationale Interessen zu verfolgen. Und diese Interessen werden im Weißen Haus viel enger definiert als in der Vergangenheit. Dies könnte die im Munich Security Report 2025 beschriebene „Multipolarisierung“ der Welt weiter vorantreiben.

Die sicherheitspolitische Wende der USA hat zwei konkrete Folgen für Europa. Erstens wird Europa die Hauptlast bei der Unterstützung der Ukraine tragen müssen, insbesondere nach einem möglichen Waffenstillstand. Zwar liegt dieser noch in weiter Ferne, doch in den Hauptstädten des Westens wird bereits darüber diskutiert, wie ein Frieden abgesichert werden kann. Der amerikanische Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz sagte dazu, Trump werde zwar den Krieg beenden, aber die Europäer müssten die Hauptverantwortung für Sicherheitsgarantien übernehmen. Übersetzt heißt das: keine „american boots on the ground“ in der Ukraine. Klar ist auch, dass unter dieser US-Regierung die Ukraine nicht der Nato beitreten wird. 



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Damit bleiben zwei Optionen, um Russland von einem erneuten Angriff abzuschrecken – und beide sind schlecht. Die Europäer könnten eigene Truppen in der Ukraine stationieren. Ohne amerikanische Unterstützung wäre dies allerdings eine Einladung an Putin, durch einen Angriff auf die europäischen Truppen die Glaubwürdigkeit der Nato auf die Probe zu stellen. Es ist auch fraglich, ob die Europäer überhaupt in der Lage wären, die erforderliche Truppenstärke rechtzeitig aufzustellen. Alternativ könnten die Europäer versuchen, die Ukraine so aufzurüsten, dass sie sich alleine gegen künftige Angriffe verteidigen kann. Dies würde aber weit mehr Unterstützung erfordern als bisher – und selbst dann wäre nicht sicher, ob Russland davon abgeschreckt würde. 

Zweitens werden die USA absehbar zumindest einen Teil der in Europa stationierten Truppen und Ausrüstung abziehen. Bereits im Wahlkampf forderten Trump-nahe Think Tanks, dass unter anderem Luftabwehrfähigkeiten, Langstreckenraketen, Kampfflugzeuggeschwader, und Aufklärungskapazitäten in den Indo-Pazifik verlagert werden sollten. Kurz nach seinem Amtsantritt hat der neue US-Verteidigungsminister Hegseth bereits eine Überprüfung der Truppenstärke in Europa angekündigt. Ersten Medienberichten zufolge plant die Trump-Regierung bereits den Abzug von 20.000 Soldaten. 

Die Tragweite dieser sicherheitspolitischen Wende in den USA wird von vielen Europäern dramatisch unterschätzt. Militärexperten sind sich weitgehend einig, dass sich die Europäer ohne substanzielle amerikanische Unterstützung nicht verteidigen können. Oberst Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, attestierte vor Kurzem noch, dass die Bundeswehr trotz des Sondervermögens „blanker als blank“ dastehe. Mit anderen Worten: Bei einem Abzug amerikanischer Ausrüstung und Truppen, droht die Gefahr eines Sicherheitsvakuums in Europa, das Russland zu füllen versuchen könnte. Denn gleichzeitig gehen Geheimdienste davon aus, dass Russland bereits zum Ende des Jahrzehnts wieder in der Lage sein könnte, Nato-Gebiet anzugreifen. 

Europa muss Geld aufbringen. Nicht nur Worte in die Luft werfen

Die 500 Millionen Europäer müssen sich endlich in die Lage versetzen, sich auch ohne 330 Millionen Amerikaner gegen 140 Millionen Russen verteidigen zu können – genau damit der Ernstfall niemals eintritt. Die Politik Trumps unterstreicht die Notwendigkeit, endlich selbst für die Sicherheit Europas einzustehen und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Oder um Kanzler Scholz auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz zu zitieren: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“ Aber den Europäern läuft die Zeit davon: Aus Trumps Lager ist zu vernehmen, dass die USA spätestens beim Nato-Gipfel in Den Haag im Juni eine Kraftanstrengung der Europäer erwarten. Andernfalls droht eine Eskalation. 

Deshalb ist es dringend erforderlich, dass die Europäer einen Plan vorlegen, wie die Abschreckung Russlands und die langfristige Unterstützung der Ukraine mit nur minimaler Unterstützung aus Washington gewährleistet werden kann. Dazu sollten die europäischen Nato-Partner eine ambitionierte Initiative ins Leben rufen, um zeitnah jenes US-amerikanisches Militärgerät zu ersetzen, das im Indo-Pazifik militärisch relevant ist. Nur so könnte die Trump-Regierung davon überzeugt werden, dass die transatlantischen Beziehungen im geopolitischen Wettbewerb ein Trumpf sind – und keine Belastung. Damit könnten die USA vielleicht doch noch für ein entschlosseneres Engagement zur Stärkung der Ukraine gewonnen werden. 

Voraussetzung dafür sind langfristig deutlich höhere europäische Verteidigungsausgaben. Insbesondere in Deutschland fehlt es der Debatte an Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit. Die jüngste Debatte, wie Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des BIP finanziert werden können, geht an der Realität vorbei. Denn Nato-Schätzungen zufolge sind durchschnittlich mehr als 3,5 Prozent notwendig, um auf die sicherheitspolitischen Bedrohungen vorbereitet zu sein. Trump fordert gar 5 Prozent. 

Die Europäer sollten die Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende nutzen, um den Vertretern der Trump-Regierung zu signalisieren, dass sie den Schuss gehört haben. Nur dann besteht die Möglichkeit eine gemeinsame, transatlantische Politik der Stärke gegenüber Russland zu entwickeln und die Sicherheit Europas, inklusive der der Ukraine, zu garantieren

Dr. Leonard Schütte ist Senior Researcher bei der Münchner Sicherheitskonferenz und Mitherausgeber des gerade erschienenen Munich Security Report 2025.

Source: stern.de