Medienpolitik – Einfach zeugen!
Anfang dieses Jahres legte der „Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ kurz: Zukunftsrat seine seit März 2023 erarbeiteten Ideen als Bericht vor.
Dem Gremium gehörten der Medienrechtler Prof. Dr. Mark D. Cole, gegenwärtig Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht, die frühere Zeit-Online-Chefredakteurin und Publix-Gründungsintendantin Maria Exner, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Peter M. Huber, die frühere Gruner+Jahr-Verlagschefin Julia Jäkel, die Urheberrechtlerin Prof. Dr. Nadine Klass von der Universität Mannheim, die Präsidentin der Hochschule für Film und Fernsehen München und ehemalige BR-Fernsehdirektorin Prof. Bettina Reitz, die Journalistikprofessorin Dr. Annika Sehl (Universität Eichstätt) sowie der Publizist und frühere Generaldirektor des Schweizer öffentlich-rechtlichen Rundfunks SRG, Roger de Weck an.
Die Empfehlungen des Zukunftsrates sind nachvollziehbar und wären – würden sie tatsächlich umgesetzt – nicht weniger als ein Meilenstein der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Den Angebotsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen möchte der Zukunftsrat in zentralen Aspekten schärfen und fortentwickeln. Die Demokratie- und Gemeinwohlorientierung sollte deutlicher und nachdrücklicher formuliert sein – mit dem Ziel, die Öffentlich-Rechtlichen stärker auf ihren Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung zu verpflichten und einen „common ground“ zu schaffen. Darüber hinaus sollen die Öffentlich-Rechtlichen im Angebotsauftrag verpflichtet werden, Angebote und Gelegenheiten zu bieten, die Menschen zusammenbringen. Dass die inzwischen unzeitgemäße nahezu alleinige Ausrichtung des Angebotsauftrags auf deutsche Staatsangehörige entsprechend überwunden werden muss, liegt auf der Hand, wenn die Öffentlich-Rechtlichen für alle da sein sollen. Die Möglichkeiten der digitalen Partizipation der Gesellschaft und ihrer Akteure soll durch den Ausbau non-linearer Formate in den Blick genommen, die Eigenständigkeit und Unterscheidbarkeit der Angebote verstärkt sowie der „Unabhängigkeit“ und „Ausgewogenheit“ der Beiträge ein wesentliches Augenmerk durch die Öffentlich-Rechtlichen geschenkt werden.
Neben diesen Empfehlungen für den Auftrag an ARD, ZDF und Deutschlandradio unterbreitete der Zukunftsrat drei Strukturvorschläge für die Anstalten selbst.
Die weitreichendste Maßnahme ist die Errichtung einer ARD-Anstalt mit zentraler Leitung. Diese neue Dachorganisation soll die Arbeitsgemeinschaft der Landesrundfunkanstalten ersetzen und hat die alleinige Strategie-, Steuerungs-, Finanz- und Organisationskompetenz für die bundesweiten Angebote der ARD und für alle zentralen Aufgaben und Dienstleistungen. Das Leitmotiv des Vorschlags, der auf die Beschleunigung von Entscheidungswegen sowie effiziente Führung abzielt, lautet: Zentrales zentral – Regionales regional. In diesem Sinne würden die Landesrundfunkanstalten von zentralem Abstimmungsaufwand befreit und könnten sich stärker auf ihre Aufgabe konzentrieren: regionale Grundversorgung und regionale Perspektive.
Für die zukünftige ARD-Anstalt, das ZDF und das Deutschlandradio schlägt der Zukunftsrat jeweils einen pluralistisch besetzten Medienrat als Hüter der Auftragserfüllung, einen überwiegend nach Fachexpertise besetzten Verwaltungsrat zur Stärkung von Strategiefähigkeit und Kontrolle sowie eine kollegiale Geschäftsleitung statt dem bisherigen Intendanten-Modell vor, die die bisher bestehenden Organe ersetzen.
Um die Digitalisierung rasch, erfolgreich und zu vernünftigen Kosten voranzutreiben, sollen die ARD, das ZDF und das Deutschlandradio die Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft für die Entwicklung und den Betrieb einer gemeinsamen technologischen Plattform vorantreiben. Diese Gesellschaft soll das technische System für alle öffentlich-rechtlichen digitalen Plattformen aber keine Inhalte bereitstellen. Inhaltlich blieben die drei Partner autonom.
Ergänzt werden diese drei Strukturvorschläge durch eine Reihe von Maßnahmen, um Managementkompetenz und Veränderungsbereitschaft im Inneren der Anstalten zu steigern, Fortbildung zu verbessern und mehr Externe zu gewinnen. Zwar lehnt der Zukunftsrat einen von vornherein auf niedrige Gehälter abzielenden „Gehaltspopulismus“ ab, diskutiert aber funktionsadäquate Gehälter, die sich nicht an Amazon, Netflix et al orientieren sollten.
Last but not least plädiert der Zukunftsrat für die Umstellung des Finanzierungsverfahrens der Öffentlich-Rechtlichen. Dabei soll die Ex-ante-Bewertung durch die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) durch eine am Maßstab der Auftragserfüllung ausgerichtete Ex-post-Bewertung von einer modifizierten KEF ersetzt werden. Entsprechende Bewertungskriterien sind staatsvertraglich festzulegen. Was die Höhe des Beitrags betrifft, geht der Zukunftsrat von einem Modell aus, das Auftragserfüllung und Beitragsindexierung kombiniert, wobei die vorgeschlagenen Reformen mittelfristig zu signifikanten Einsparungen führen werden. Inwieweit diese zur Absenkung des Rundfunkbeitrags oder zur besseren Auftragserfüllung verwendet werden, müssen aus Sicht des Zukunftsrates die Länder entscheiden.
Der Wettbewerb um Sportrechte insbesondere für Fußballereignisse und die dafür zu zahlenden Summen gehörte in den vergangenen Jahren zu den häufig kritisierten Bereichen der Ausgaben der Öffentlich-Rechtlichen. Der Zukunftsrat empfiehlt, Investitionen in Sportrechte im Lichte ihres Beitrags zur Erfüllung des Angebotsauftrags kontinuierlich zu überprüfen“. Der Zukunftsrat stellt zurecht fest, dass die Übertragung von Sportereignissen das Potenzial hat, als gesellschaftliche Klammer zu wirken. Gleichzeitig können und sollten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Eigenständigkeit betonen, in dem sie auch Sportarten jenseits der großen Ereignisse Raum geben. Das schafft Identifikationsmöglichkeiten in der gesamten Breite der Gesellschaft Deren Vielfalt, insbesondere auf regionaler Ebene, kann so deutlich besser abgebildet werden.
Mit seinen Vorschlägen hat der Zukunftsrat die an ihn gesetzten Erwartungen, die – so viel Ehrlichkeit muss sein – aufgrund bisheriger Erfahrungen nicht übermäßig hoch waren, mehr als übertroffen. Die Empfehlungen sind ausgewogen, adressieren sowohl die den Auftrag gebenden Länder als auch die Anstalten, davon am stärksten die ARD und formuliert ein Finanzierungsmodell, das den seit Jahren auf dem Tisch liegenden Index-Gedanken klug weiterentwickelt.
Bereits im Januar 2024 setzte sich die Rundfunkkommission der Länder mit dem Bericht des Zukunftsrates vertieft auseinander und setzte ihn in Bezug zu den von der Rundfunkkommission parallel erarbeiteten 29 Themenkomplexen einer angestrebten Auftrags- und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Der Zukunftsrat unternahm nicht den Versuch, alle Themen der Reformdebatte im ÖRR zu thematisieren. So legte er zu einzelnen Themenbereichen keine konkreten Empfehlungen vor, benannte aber die Klärung dieser Punkte als notwendig für die weitere medienpolitische Debatte. Hierzu zählen u.a.
– die konkrete Ausgestaltung der Dualen Rundfunkordnung,
– die Frage der Werbung innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems,
– Art und Umfang der Beteiligungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sowie
– auftragsferne Sachverhalte im Beitragssystem (wie zum Beispiel die Finanzierung der Landesmedienanstalten, die Finanzierung und der Betrieb der vielen Klangkörper sowie Denkmalschutzaspekte im Immobilienportfolio des öffentlich-rechtlichen Rundfunks).
Auf die Länder kommt nun die Aufgabe zu, die Erkenntnisse des Zukunftsrates umzusetzen, statt sie in partei- und wahlpolitischen Taktikspielen zu zerreden und zu vertagen. Denn im Grunde wissen alle Beteiligten, dass ein besserer Vorschlag in absehbarer Zeit nicht auf den Tisch gelegt werden wird. Die Entscheidung der Rundfunkkommission, die KEF um ein Sondergutachten zu bitten, in dem die Effizienzgewinne und Einsparpotentiale der Vorschläge des Zukunftsrates bemessen werden, sollte nicht dazu benutzt werden, die Umsetzung der Maßnahmen zu verlängern oder gar zu umgehen.
Diese Gefahr droht bei den Öffentlich-Rechtlichen. Während ZDF und Deutschlandradio die Vorschläge des Zukunftsrates in ausführlichen Stellungnahmen bewerteten, war die bisherige Reaktion der ARD gelinde gesagt mau. Deutlicher hätte die man die Unlust, sich mit dem ambitionierten Reformvorschlag des Zukunftsrates auseinandersetzen zu wollen, nicht ausdrücken können. Dabei ist festzuhalten: Diejenigen großen Sender und deren Trägerländer wie NRW für den WDR, Bayern für den BR und Baden-Württemberg als Teil des SWR, die sonst als erste die Eigenständigkeit des Saarländischen Rundfunks sowie Radio Bremen in Frage stellten, können sich einer ARD-Anstalt auch dann nicht verweigern, wenn damit naturgemäß der bisherige Einfluss in der Dachorganisation der ARD-Anstalten geschmälert werden sollte.
Statt weiterhin der irrigen Annahme zu unterliegen, mit einem Rundfunkbeitragspopulismus könnten der AfD Wähler:innenstimmen abgeluchst werden, sollten ebenfalls seit Jahren auf dem Tisch liegende Vorschläge zur Entlastung des Rundfunkbeitrags umgesetzt und ansonsten dem Indexierungsvorschlag des Zukunftsrates gefolgt werden.
Ilja Braun und Heiko Hilker legten im vergangenen Jahr in der Süddeutschen Zeitung Vorschläge vor, mit denen sich der Rundfunkbeitrag senken ließe. Diese sollten parteiübergreifend aufgegriffen und umgesetzt werden, auch und gerade weil damit die öffentlichen Haushalte belastet würden.
Wer Bürgergeld bekommt, ist vom Rundfunkbeitrag befreit. Diese Befreiung wird jedoch nicht staatlich, sondern durch alle Rundfunkbeitragszahlenden finanziert. Klüger wäre es, wenn der Staat wie bei der Miete die Rundfunkbeiträge zahlt und damit alle Beitragszahlenden entlastet. Der Effekt wird überschlägig mit 600 Mio. EUR im Jahr berechnet. Obwohl die Union das Bürgergeld reformieren – einige kritisieren dies zurecht als Rückkehr zu Hartz IV – will und die Höhe des Rundfunkbeitrags kritisiert, fehlte dieser sozialpolitisch richtige Ansatz im Vorschlag der CDU.
Die Rundfunkanstalten tragen eine enorme Versorgungslast von jährlich 750 Mio. EUR, die den Beschäftigten zusätzlich zu den gesetzlichen Renten als betriebliche Altersversorgung gezahlt wird. Nach intensiven Tarifvertragsverhandlungen wurde 2017 bereits eine spürbare Anpassung vorgenommen. „Mit dem nun gültigen Abschluss leisten die Beschäftigten einen wichtigen Beitrag für die Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dafür akzeptieren sie persönliche Einschnitte“, erklärte Frank Werneke, seinerzeit stellvertretender ver.di-Vorsitzender und heute Chef der Dienstleistungsgewerkschaft. Gleichwohl sollte die Altersversorgung durch die jeweiligen Trägerländer übernommen werden, der Anstieg dieser Versorgung falls nötig weiter gedeckelt und zudem bei den Spitzengehältern ein Verzicht auf einen Teil der betrieblichen Zusatzversorgung durchgesetzt werden.
Nicht zuletzt ist das sogenannte „Ruhegeld“ abzuschaffen. Mit ihm sichern einige, nicht alle, öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Intendant:innen und Direktor:innen für den Fall ab, dass deren Verträge noch vor Eintritt ins Rentenalter nicht verlängert werden. So beim MDR, dem RBB, dem NDR, dem Hessischen Rundfunk, bei Radio Bremen aber auch beim ZDF. In manchen Fällen gilt das lebenslang. Manche bekommen die Versorgung schon vor dem Renteneintrittsalter, einige sogar nach nur einem Arbeitstag als Direktor:in.
Die Landesmedienanstalten sind insbesondere zuständig für die Aufsicht über die privaten Rundfunk- und Fernsehsender. Dafür erhalten die Landesmedienanstalten, die zudem eine bedeutsame Aufgabe bei der Medienkompetenzvermittlung wahrnehmen, einen Anteil von 1,89 Prozent des Rundfunkbeitrags. Ilja Braun und Heiko Hilker schlagen vor, dass – wie in anderen Bereichen auch üblich – diejenigen, über die die Aufsicht ausgeübt wird, die Kosten der Aufsicht tragen sollten. Also die privaten Rundfunk- und Fernsehsender selbst. Dagegen wird kritisch eingewandt, dass dies zwar den Rundfunkbeitrag entlasten aber die Aufsicht nicht mehr unabhängig wäre. Zudem würde sich die Frage stellen, ob Aufgaben wie die Förderung der Medienbildung oder des Lokaljournalismus dann noch durch die Landesmedienanstalten durchgeführt werden könnten. Insoweit wäre der Vorschlag von Braun & Hilker zu modifizieren und die privaten Rundfunk- und Fernsehanbieter in geeigneter Form zur Finanzierung heranzuziehen, um in entsprechender Weise den Rundfunkbeitrag zu entlasten.
Nach den ostdeutschen Landtagswahlen besteht ein kurzes Zeitfenster bis zur Bürgerschaftswahl in Hamburg, der Landtagswahl NRW und der Bundestagswahl 2025 um einen echten Reformstaatsvertrag vorzulegen und eine tatsächliche Strukturreform der Öffentlich-Rechtlichen sowie beim Rundfunkbeitrag auf den Weg zu bringen. Wer dies tatsächlich will, sollte tunlichst vermeiden, sich wie beispielsweise in Sachsen-Anhalt geschehen, im Koalitionsvertrag eine ÖRR-Fußfessel anzulegen (vgl. S. 139f.), die mutige Schritte verhindert. Stattdessen sollten sich die Länder in der Ministerpräsident:innenkonferenz an frühere Föderalismus-Reformkommissionen erinnern, die deshalb am Ende Ergebnisse vorlegen konnten, weil maßgebliche Akteure sich einig waren: einfach machen!
Transparenzhinweis: Der Autor gehörte bis Anfang des Jahres 2024 dem Fernsehrat des ZDF als Mitglied an.