Massenpsychologie statt Wissen – wie Profianleger vom Run uff ETFs profitieren
Entspricht der Preis einer Aktie dem unterliegenden Unternehmenswert? Das Wissen um Fundamentaldaten wird im Wertpapierhandel unwichtiger. Erfolg hat zunehmend der, der den Herdentrieb vorausahnen kann. Davon können auch Kleinanleger etwas lernen.
Als ich Anfang der 90er-Jahre Fischer Black zum ersten Mal traf, beeindruckte mich vor allem eines: Der US-Wirtschaftswissenschaftler war in der Economy-Klasse von New York nach Frankfurt geflogen, während alle anderen Mitarbeiter bei Goldman Sachs mindestens „Business“ gebucht hatten.
Passend zu seiner Bescheidenheit bei der Reise war der selbstironische Titel seines Vortrags bei den Kundenveranstaltungen: „The Holes in Black-Scholes“ (Die Löcher im Black-Scholes-Modell). Der Co-Erfinder der Optionspreistheorie, die im Handel zum Standard geworden war, ging auf Distanz zum eigenen Werk.
Der Beweggrund war in seinem Wechsel von der akademischen Welt an die Wall Street zu suchen, in seinem Umzug vom Charles River in Boston zum Hudson in New York, wie er es nannte. Der Protagonist der modernen Finanztheorie hatte gesehen, dass diese Theorie in der Praxis nicht so funktionierte wie erwartet. Aber Black wäre nicht Black gewesen, wenn er dafür nicht eine Erklärung gehabt hätte.
Informierte Profihändler und halbwissende „Noise Trader“
In einer Rede und einem Aufsatz begründete er die Theorie der widersprechenden Funktionsstörungen der Finanzmärkte mit der Heterogenität der dort anzutreffenden Akteure. Black sah gut informierte Profihändler und schlecht informierte, halbwissende „Noise Trader“ am Werk.
Da diese „Lärm-Händler“ aus Unwissenheit Wertpapiere oft zu Preisen handelten, die nicht ihrem unterliegenden Wert entsprachen, sorgten sie nicht nur für gelegentliche „Irrationalität“ am Markt, sondern boten den Profis auch die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen. Das entsprach dem damaligen Selbstgefühl der „Goldmänner“, die meinten, alles besser zu wissen als die anderen. Das schien die Millionen-Dollar-Boni für die Händler und die 40 Prozent Eigenkapitalrendite für die Partner zu rechtfertigen.
Dies zeugte zwar von einer gewaltigen Portion Selbstüberschätzung, enthielt damals aber doch ein Fünkchen der von Black beschriebenen Wahrheit.
Vier Jahrzehnte später sieht die Welt völlig anders aus. Die „Noise Trader“ haben sich in großer Zahl vom Markt verabschiedet und investieren „passiv“. Sie folgen in Indexfonds den Profihändlern, die zunehmend unter sich sind. Es ist, als ob es im Fußball fast nur noch die Champions League geben würde.
Wenn dennoch weiterhin gehandelt wird, so vor allem deshalb, weil es nicht mehr primär Unterschiede in Wissen und Information der Marktteilnehmer gibt, sondern weil diese Informationen notwendigerweise subjektiv aufnehmen und verarbeiten, weil es keine absolute Objektivität gibt. Dabei kommt es darauf an, nicht die eigene subjektive Wahrnehmung, sondern die Einschätzung der Wahrnehmung der Masse zur Handlungsmaxime zu nehmen. Diese Wahrnehmung kristallisiert sich in Narrativen, die geteilt werden und Gefolgschaft finden.
Wer den Aufstieg von Narrativen zur Massenwahrnehmung früh erkennt, kann sich gewinnbringend positionieren. Wer an Narrativen im Abstieg festhält, fährt Verluste ein. Jüngere Beispiele dafür waren die Erzählung von Technologieaktien als Hommage an den Filmklassiker „The Magnificent Seven“ oder die von der „sanften Landung“ der US-Wirtschaft, die das vorher dominierende Narrativ von der harten Rezession abgelöst hat.
Die besten Profihändler sind entweder die besten Massenpsychologen oder die besten Repräsentanten der Masse. Die von Black identifizierten Gründe für den Handel am Markt haben sich geändert, aber die Ungewissheit über das Verhältnis von Preis und Wert ist geblieben. Tröstlich für den geduldigen Privatanleger ist, dass es auf lange Sicht immer eins ist.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute
Source: welt.de