Markus Kamieth: Der Drahtseilakt des neuen BASF-Chefs

Jeder neue Chef muss sich von seinem Vorgänger abgrenzen. Das fällt leicht, wenn der Neue und der Alte einander sowieso nie ausstehen konnten. Oder wenn eine unübersehbare Misere den Wechsel überhaupt erst herbeigeführt hat. Der seit April amtierende BASF-Vorstandsvorsitzende Markus Kamieth hatte eine delikatere Aufgabe zu lösen, als er am Donnerstag in Ludwigshafen seine Strategie für den bald 160 Jahre alten Chemiekonzern vorstellte.

Kamieth stand bei seiner Inthronisierung vor knapp einem halben Jahr Arm in Arm mit seinem Vorgänger Martin Brudermüller auf der Bühne, einem Koloss der deutschen Industrie. Beide haben eine lange gemeinsame Vergangenheit und teilen viele Überzeugungen. Als Michael Sen bei Fresenius das Ruder übernahm, zerlegte er bei erster Gelegenheit genüsslich, was ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte. Als Bill Anderson an die Bayer-Spitze kam, rief er zum Kampf gegen die zuvor wuchernde Bürokratie auf. Für Kamieth kam ein Frontalangriff nach diesem Vorbild nicht infrage. Ein „Weiter so“ aber auch nicht. Denn so archaisch tickt die Menschheit auch im 21. Jahrhundert mehrheitlich noch: Wer ernst genommen werden will von der Gefolgschaft, muss als Anführer aus eigener Kraft wahrgenommen werden.

Was also tat Kamieth? Brudermüllers umstrittenste Weichenstellung, die mit einigem geopolitischen Risiko verbundene Ausrichtung auf China und den asiatischen Markt, tastete er nicht an. Für das Stammwerk in Ludwigshafen hatte er auch keine Überraschung zu verkünden, der eingeschlagene Sparkurs wird fortgesetzt. Umso bemerkenswerter ist, in wie vielen anderen Fragen, mit welchen Zwischen- und Untertönen der Neue auf Distanz zum Alten ging.

Scharfe Kritik, geschickt verpackt

Drei Punkte stechen heraus. Erstens sagte Kamieth bei seinem Auftritt am Donnerstag kein Wort über die politischen Rahmenbedingungen für sein Unternehmen. Das war unter Brudermüller anders. Er tat sich etwa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mit der drastischen Warnung hervor, mit einem Gas-Embargo gegen Putin würde die Bundesregierung „sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören“.

Danach drehte bekanntermaßen nicht Deutschland, sondern Putin den Hahn zu. Kamieth gab nun zu Protokoll, der Gaspreis habe sich auch ohne russische Lieferungen dem Vorkriegsniveau angenähert und sei kein entscheidender Faktor mehr für die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion in Deutschland. Er rief nicht nach Subventionen oder Vergünstigungen. „Wir haben unsere Zukunft viel mehr selbst in der Hand, als es manche von uns glauben“, gab er als Losung aus.

Kamieth verabschiedete sich zweitens nonchalant vom alten Anspruch der einstigen „Badischen Anilin- und Sodafabrik“, der größte Chemiekonzern der Welt zu sein und zu bleiben. Brudermüller fand an diesem Titel sichtlich Gefallen. Sein Nachfolger sagte nun nüchtern, darauf komme es ihm nicht an. Viel wichtiger sei es ihm, dass BASF in den Kerngeschäften besser sei als der Wettbewerb und damit Werte schaffe für die Aktionäre.

„Ein Seufzer der Erleichterung“

„Shareholder Value“ soll nun also das oberste Kriterium sein, von einem höheren Zweck („Purpose“) war nicht die Rede. Kamieth sprach auch noch über ein weiteres englisches Begriffspaar: Über die Verteilung von Investitionsmitteln soll künftig nicht mehr „bottom-up“ entschieden werden, also den Vorschlägen aus den einzelnen Geschäftseinheiten folgend, sondern „top-down“, nach den Zielvorgaben aus der Zentrale.

Drittens erlaubte sich Kamieth eine Bemerkung, die tief blicken ließ. Als er seine Pläne den obersten Führungskräften vorgestellt habe, sei „ein Seufzer der Erleichterung“ durch die Reihen gegangen: Endlich würden die drängenden Fragen im Konzern geklärt.

Darin steckte eine scharfe Kritik am Vorgänger, aber sie war geschickt verpackt: Kamieth legte Brudermüller damit indirekt erhebliche Versäumnisse zur Last, ohne dies mit einem Wort selbst so zu sagen. Der Neue bei BASF ist kein Polterer, auf manche Beobachter wirkt er blass. Aber Achtung: Wer so ein Kunststück beherrscht, ist nicht zu unterschätzen.