Magdeburg: Weihnachtsmärkte bleiben Orte dieser Verwundbarkeit und Versuchung

Der Anschlag in Sachsen-Anhalt zeigt, es gibt keine Inseln der Glückseligen, denen eine aus den Fugen geratene Welt ringsherum nicht viel anhaben kann. Trotzdem Normalität zu beschwören, wirkt wie ein Ritual, das nicht recht überzeugt


Magdeburg, Sachsen-Anhalt, 20. Dezember 2024

Foto: Erik-Holm Langhof/News5/AFP/Getty Images



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Es ist eben fragwürdig, wenn in Deutschland ostentativ und ausgelassen Weihnachten gefeiert wird, als sei die Welt ringsherum nur dazu da, darin zu bestärken und sich nicht beirren zu lassen. Wehe, wer die Stirn hat, diese Insel der Glückseligen und Berauschten zu stören. Aber wie Magdeburg und die Analogie zum Geschehen auf dem Berliner Breitscheid-Platz vor acht Jahren zeigen, bleiben Weihnachtsmärkte trotz aller Sicherheitsmaßnahmen Orte der Gefahr und Verwundbarkeit, wohl auch der Versuchung für die Täter.

Das Grauen von Gaza-Stadt, von Rafah und Chan Yunis, von Kobane und Odessa hat für einen Abend Magdeburg

Es hätte in diesem Jahr aus Anstand und Mitgefühl nahegelegen, auf vieles an Festputz und Feststimmung zu verzichten, statt es wie gehabt auszuleben, als sei nichts passiert, aber es passiert eben doch. Es hätte entschiedener Gesten der Empathie bedurft mit Tausenden toter Kinder im Gazastreifen – denen die schon gestorben sind und denen die noch sterben werden. Man konnte die Menschen in der Ukraine vor Augen haben, die einem vierten Kriegswinter ausgesetzt sind und von westlichen Politikern inklusive der deutschen Regierung mit Durchhalteparolen versehen werden. Sie bekommen zu hören, es dürfe keinen „Diktatfrieden“ geben, was im Umkehrschluss heißt, bis auf weiteres ist das Kriegsdiktat die bessere Variante.

Die Weihnachtsbotschaft kann durch die kriegsbedingten Zustände im Gazastreifen, im Libanon, in Syrien, im Jemen oder in Libyen, im Sudan, in Somalia oder in Teilen des Kongo nur beschwiegen, nicht zitiert werden. Das übliche Grauen und stete Entsetzen von Gaza-Stadt, von Rafah und Chan Yunis, von Kobane, von Beirut oder der jemenitischen Hafenstadt Hudeida, von Kiew und Odessa hat für einen Abend Magdeburg in Sachsen-Anhalt erreicht. Und das in viel geringerem Ausmaß, als Tod, Vernichtung und Untergang an diesen Schauplätzen ihr schauerliches Dasein fristen. Das soll nicht zynisch klingen, aber es muss gesagt werden. Das Mitgefühl mit den und für die Opfer ist damit keineswegs in Frage gestellt.

Man erinnere sich der Nacht des islamistischen Massakers von Paris vom 13. zum 14. November 2015, an die Terroranschläge in Brüssel am 22. März 2016, die Todesfahrt von Anis Amri 2016 auf einem großen Weihnachtsmarkt in Berlin, als zwölf Menschen, später sollten es 13 sein, aus Deutschland, Polen, Israel, Italien, der Ukraine und Tschechien ums Leben kamen. Am 3. Juni 2017 bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Anschlag auf der London Brigde und das Viertel Borough Market, als Passanten mit einem Auto niedergefahren oder erstochen worden.

So nachvollziehbar und erklärbar es auch sein mag, nach Gewalttaten dieser Art zu beschwichtigen, dass man sich in seiner westlichen Lebensweise davon nicht beirren lasse – ein solches Beschwören von Normalität hat Züge eines Rituals, dass nicht mehr überzeugt. Der Todesfahrer in Magdeburg oder der Tunesier Mohamed Bouhlel, der am 14. Juli 2016 in Nizza mit einem Truck in einen Umzug zum französischen Nationalfeiertag fuhr und 86 Menschen tötete, oder eben Anis Amri – sie trugen keinen Sprengstoffgürtel, sondern benutzten Fahrzeuge als Waffe. Sie passten ihr tödliches Equipment den hohen Sicherheitsstandards europäischer Metropolen an, um diese zu unterlaufen und zu „konterkarieren“, weil demonstrativ außer Dienst zu stellen.

Sollte man von einem Zustand zwischen Nichtkrieg und Nichtfrieden sprechen?

Das Muster des motorisierten Amoklaufs offenbart die fatale Synchronität von Sicherheitsversprechen und Gefahrenpotenzial in urbanen Zentren. Würde es nicht übertrieben klingen, könnte man von einem Zustand zwischen Nichtkrieg und Nichtfrieden sprechen. Und doch erscheint es notwendig, dies wenigstens anklingen zu lassen. Menschen im Nahen Osten, in Nord- oder Ostafrika wären froh, wenn ihnen das zuteil würde.