Löhne: Die USA hängen uns ab
Es ist schon frappierend, wie weit sich die USA in den vergangenen Jahren von Deutschland entfernt haben. Noch Mitte der 90er-Jahre waren die Löhne in Deutschland durchschnittlich fast so hoch wie die in den Vereinigten Staaten.
Doch das hat sich in der vergangenen Generation nach und nach deutlich geändert. Nur in Deutschlands goldenem Jahrzehnt, den Zehner-Jahren, hielten die Lohnsteigerungen mit den USA mit. Heute können sich angestellte Amerikaner von ihren Gehältern durchschnittlich ein Drittel mehr leisten als angestellte Deutsche. Dafür gibt es einige Gründe.
Das beginnt damit, dass die Arbeitszeiten in Deutschland über die vergangenen Jahre weiter zurückgegangen sind als die in den USA. Die Deutschen haben sich offenbar entschieden, dass ihnen Freizeit wichtiger ist als zusätzliches Geld.
Inzwischen arbeiten zwar in Deutschland oft beide Ehepartner, doch die Arbeitszeiten gingen noch schneller zurück. Wenn heute in Deutschland insgesamt so viele Arbeitsstunden geleistet werden wie nie zuvor, dann liegt das nicht zuletzt an der Zuwanderung.
Insgesamt wird deutlich: Weder die USA noch Europa haben wieder den Wachstumstrend für ihr Bruttoinlandsprodukt erreicht, den sie vor der Finanzkrise hatten. Doch die USA haben es immerhin geschafft, zu ihrem Vor-Corona-Wachstumstrend zurückzukehren.
Deutschland hat das nicht auf eine Weise geschafft, dass es den Wohlstand mehren würde – allenfalls hat Deutschland den Vor-Corona-Trend so aufgenommen, dass die Wirtschaft schon vor Corona und dem Ukrainekrieg stagnierte und es heute immer noch tut.
Die Arbeitszeiten sind dafür längst nicht der einzige Grund. Die Deutschen sind auch in ihrer Produktivität zurückgefallen: Die Amerikaner erwirtschaften in einer Arbeitsstunde immer mehr Wohlstand, für Deutschland gilt das längst nicht im gleichen Maß.
Auch diese Entwicklung begann Mitte der 90er-Jahre, ungefähr gleichzeitig mit dem Aufkommen des Internets. Damals ließen sich die Deutschen – so wie viele andere Europäer – von der neuesten Technik abhängen. Bis heute sind Deutschland und die anderen Europäer in der Entwicklung digitaler Technik nicht wieder an der Weltspitze angekommen.
Kommende Woche treffen sich Notenbanker aus aller Welt auf Einladung der EZB in Sintra in Portugal, um über den Zustand der Weltwirtschaft zu sprechen. Dort wird der französische Ökonom Antonin Bergeaud eine Studie vorstellen, in der er dem Phänomen zurückbleibender Produktivität ausführlich auf den Grund gegangen ist. Er stellt fest, dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten höher sind als in Europa. Es fehlt an digitaler Infrastruktur und nicht zuletzt an Qualität im Management der europäischen Unternehmen, die seit Beginn der digitalen Revolution immer wichtiger geworden ist.
Junge Unternehmensgründungen, die neue Techniken in die Welt bringen und den Wettbewerb in der Wirtschaft verschärfen, haben in Europa schlechtere Erfolgschancen als in den USA. Das liegt nicht nur daran, dass sie in den USA einen größeren Markt haben. Es liegt auch daran, dass in Europa der Weg der Neuentwicklungen von den Universitäten in die Wirtschaft steiniger ist – und an der Unternehmensfinanzierung, die in Europa oft von relativ konservativen Bankern übernommen wird und nicht etwa von aggressiv investierenden Risikokapitalgebern. Übrigens auch selten von Aktionären, denn die Aktienkultur ist in den Vereinigten Staaten viel ausgeprägter.
Und dann sind da noch die Deutschen selbst und ihre Einstellung zur Technik. Der Internetaktivist Sascha Lobo hat ihnen kürzlich in der Zeitschrift „Der Spiegel“ Antiamerikanismus vorgeworfen: Viele würden neue Technik besonders dann ablehnen, wenn sie in den USA entwickelt worden sei. So weit muss man gar nicht gehen, um festzustellen: Auch in der nächsten Runde des technischen Fortschritts werden die Deutschen nicht vorne dabei sein.
Auch Künstliche Intelligenz scheint bei den Deutschen nämlich keinen Drang dahin auszulösen, dass sie sich ausführlicher mit der neuen Technik beschäftigen. Die Unternehmensberatung Boston Consulting hat gerade mehr als 150.000 arbeitende Menschen weltweit gefragt, wenn auch nicht unbedingt repräsentativ.
Das Ergebnis war trotzdem deutlich: Nirgends fanden die Menschen ihre Arbeitsstelle so sicher wie in Deutschland, nicht in den USA, nicht in der Schweiz, auch nicht in Brasilien und nicht in Kenia. Die Deutschen fanden mehrheitlich, sie müssten höchstens ein bisschen dazulernen. Entsprechend waren die Deutschen auch kaum bereit, sich für die Arbeit fortzubilden.