Links, laut, visionär: Acht Jungpolitiker:medial, die neue Wege umziehen

Der Rücktritt der Grünen-Jugend-Spitze und ihr Parteiaustritt zieht immer weitere Kreise: Angeführt wird diese linke Erneuerungsbewegung von jungen Frauen. Wir porträtieren fünf von ihnen. Und drei junge HoffnungsträgerInnen der SPD


Svenja Appuhn bildete gemeinsam mit Katharina Stolle die Grüne-Jugend-Spitze

Fotos: dpa, Jan Tecklenburg, Imago Images, Selin Jasmin, Grüne Jugend Bayern, Chris Stark


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Svenja Appuhn

wurde vor einem knappen Jahr mit Katharina Stolla Co-Bundessprecherin der Grünen Jugend. Jetzt tritt sie aus

Svenja Appuhn (*1997) kam im selben Geburtshaus wie Stolla zur Welt, lernte sie aber erst bei der Grünen Jugend kennen. Sie studiert seit einigen Jahren Medizin und sagt, sie dachte einmal, Krankenhäuser seien „Orte der Menschlichkeit“. Nach einigen Jahren im System ist sie nun „vollkommen desillusioniert – was zählt, sind Effizienz und Profit“. Auch die Krankenhausreform der Ampel werde nicht „mit der neoliberalen Logik und der massiven Unterfinanzierung“ brechen. Grünen-Größe Renate Künast bezeichnete die Grüne-Jugend-Spitze nach ihrem Rücktritt als „nicht realitätstauglich“. Appuhn und Stolla werden das als Kompliment verbuchen.

Eva Konen

war Grüne-Jugend-Sprecherin in Bayern. Schon länger sah sie den Kapitalismus zunehmend kritisch, nun auch ihre eigene Mutterpartei

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Eigentlich ist Eva Konen (*2000) noch bis November Landessprecherin der Grünen Jugend Bayern. Aber sie äußerte sich schon 2022 kapitalismuskritisch. An ihrer mit Behinderung geborenen Schwester sehe sie: Wer nicht die gewünschte Produktivität vorweise, falle durchs Raster. „Ich konnte immer sehen, wie sehr sie im Alltag ausgeschlossen ist.“ Dass die Grünen daran und an anderen sozialen Ausschlüssen etwas ändern können – oder wollen –, glauben sie und der bayerische Landesvorstand nicht mehr. Der Augsburger Allgemeinen sagten sie: „Zu viele Konflikte haben wir mit der Partei geführt und dabei immer wieder festgestellt, dass die Grünen nicht das linke Projekt sind, das wir uns wünschen.“

Sarah-Lee Heinrich

ist das bekannteste Gesicht des Grünen-Aussteigerprogramms „Zeit für was Neues“

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Die Tochter einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin hielt ihre Armut lange vor Mitschüler:innen geheim, als Politikerin geht sie offen damit um und machte die soziale Frage zu ihrem Kernthema. Schon als Bundessprecherin der Grünen Jugend (2021 – 2023) entfremdete sich Heinrich immer mehr von ihrer Partei. Während sie zunehmend Wörter wie „Klassenkampf“ und „Enteignung“ in den Mund nahm, trug ihre Mutterpartei die Räumung von Lützerath, Asylverschärfungen und Sparpolitik mit. Jetzt trennen sich die Wege. Dafür musste Heinrich kein Parteibuch zurückschicken: Eine E-Mail reicht für den Austritt.

Katharina Stolla

will die soziale Frage und die Klimalkrise nicht länger gegeneinander ausgespielt sehen, sondern zusammendenken

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Katharina Stolla (*1998), gemeinsam mit Svenja Appuhn noch Co-Bundessprecherin der Grünen Jugend, studierte Meteorologie, um die Naturwissenschaft hinter dem Klimawandel besser zu verstehen. Bis sie feststellte: „Es war spannend, sich mit tropischen Wolken und dem arktischen Meereis zu beschäftigen, aber klimapolitisch scheitert es nicht am mangelnden physikalischen Wissen, sondern am fehlenden politischen Willen“, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Danach habe sie die sogenannte Flüchtlingskrise 2015/16 politisiert. Zur Grünen Jugend kam sie aus Frust, „dass die Krisen unserer Zeit angefeuert statt gelöst werden“. Gut möglich, dass sie die Grünen nun aus ebenjenem Grund wieder verlässt.

Ivy May Müller

ist Abgeordnete in Hamburg. Sie tritt jetzt aus: weil die Grünen die Menschen im Stich ließen

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Ivy May Müller (*1997) hatte 2020 noch „richtig Hoffnung“: als sie für die Grünen als eine der jüngsten Abgeordneten in die Hamburgische Bürgerschaft einzieht. Die Lehramtsstudentin engagiert sich im Schul- und Familienausschuss der Bürgerschaft. Doch ihre Hoffnung auf eine sozialere Jugendpolitik wird enttäuscht. Gemeinsam mit dem Bundesvorstand der Grünen Jugend tritt sie aus. In einem angriffslustigen Video zu ihrem Austritt rechnet sie ab: Steigende Mieten, fehlende Aufarbeitung der NSU-Verbrechen, hungrige Kinder in Schulklassen, all das trage ihre Partei mit, statt konsequent für die Menschen einzustehen. In der Bürgerschaft möchte sie nach ihrem Parteiaustritt bleiben – als Parteilose in der Linksfraktion.

Jan Dieren

kritisiert den Kurs seiner Partei – der SPD – von links. Als Anwalt streitet er für Betriebsräte und Beschäftigte

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Seine Masterarbeit hat er über Hegels Rechtsphilosophie geschrieben, im Bundestag zeigt Jan Dieren (*1991), dass Kritik am SPD-Kurs von links nicht nur von den Jusos formuliert werden kann. Schuldenbremse, Waffenlieferungen, harte Gangart gegen Bürgergeldbezieher:innen – Dieren argumentiert immer wieder gegen die Politik der eigenen Partei. Das schlägt sich auch in seinem Abstimmungsverhalten im Bundestag nieder. Daneben engagiert er sich als Rechtsanwalt im Arbeitsrecht für Beschäftigte und Betriebsräte. Im Bundestag zu sitzen, ist für Jan Dieren kein Selbstzweck: Derzeit lässt er offen, ob er 2025 noch einmal für seine Partei kandidieren wird.

Lilly Blaudszun

hat keinen Posten in der SPD, ist aber eines ihrer bekanntesten Gesichter: als „Polit-Influencerin“

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Lilly Blaudszun (*2001) poliert auf X und Instagram das Image der angestaubten Volkspartei SPD für jüngere Zielgruppen auf. Dass sie dabei nicht nur Parteisoldatin auf Regierungslinie ist, zeigte Blaudszun zuletzt, als sie einen offenen Brief mitinitiierte, in dem SPD-Mitglieder sich gegen den Rechtsruck in der Migrationspolitik und die Entmenschlichung von Asylsuchenden unter Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser stellten. Als Regierungssprecher Steffen Hebestreit die deutliche Kritik mit der Darstellung abbügelt, Kanzler Scholz fühle sich von dem kritischen Brief „in seinem Kurs bestärkt“, teilt sie auf Instagram aus: „Hey @olafscholz, nochmal zum Mitschreiben: Wir bestärken NICHT deinen Kurs, sondern appellieren mit unserem Brief eindringlich: Verlasst ihn! Und spart euch solche Kommentare.“

Philipp Türmer

ist Juso-Chef, so wie es Kevin Kühnert einst war. Oder Olaf Scholz. Wird er einen anderen Weg gehen?

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Philipp Türmer (*1996) ist als Bundesvorsitzender der Jusos schon aus Traditionsgründen qua Amt Kritiker der eigenen Partei von links. Für den Doktoranden aus einer SPD-Familie kommt Scholz’ Wahlversprechen, gegen Armut zu kämpfen, in der Regierungspolitik „viel zu kurz“, die Schuldenbremse müsse gekippt werden. Kürzlich kritisierte er deutlich die nach dem Attentat von Solingen beschlossenen Grenzkontrollen: Der Kampf gegen den Islamismus dürfe nicht mit dem Kampf gegen Geflüchtete gleichgesetzt werden. Zuletzt erhöhte Türmer gegenüber dem ZDF den Druck gegen die eigene Partei: „Ich sage es ehrlich, viele Jusos wissen gar nicht mehr, ob sie noch in den Wahlkampf ziehen.“