Libanon | Hybrid-Busse von welcher EU: Unterwegs im Hisbollah-Verbrenner

Als ich las, dass im libanesischen Zahlé neuerdings von der EU gespendete hybridelektrische Autobusse verkehren, hatte ich einen Grund mehr, „die Stadt des Weines und der Poesie“ in meine lang ersehnte Libanon-Reise einzuschließen. Zahlé – eine traditionell mit Rom verbundene Christenbastion im Süden der fruchtbaren Hochebene Bekaa – hatte bis zum Sommer 2024 gar keinen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gekannt. Die Stadt litt unter Luftverschmutzung, wegen des libanesischen Autokults: Wo nach all den Kriegen und Krisen noch altes Geld da ist, fährt man ab 18 Jahren gern den eigenen Verbrenner.

Was es im Libanon gibt, das sind private, rachitische, auf Zuruf haltende Minibusse. Einer brachte mich für einen Dollar vom Flughafen nach Beirut, durch die südliche schiitische Vorstadt, in der bis zum Abwurf von mindestens 80 Tonnen Bomben durch Israel der Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah gelebt hatte. Dahieh war menschenvoll und sichtbar arm, die achtsame Stapelung und Wiederverwendung simpler Verpackungskartons vermittelte einen Eindruck von durchaus vorbildlichem Recycling. Überall sah man die gewaltigen gephotoshopten Porträts des erst neulich begrabenen Nasrallah. Normalerweise ist es tabu, nach Dahieh reinzugehen. Selbst libanesische Journalisten tun das nicht ohne Not. Auch ich ließ Vorsicht walten.

Fokus auf Verschmutzung

In den „Beirut Souks“, einem sterilen Development im teilweise zerstörten Zentrum, fand ich den Economic and Social Fund for Development. Der ESFD hat im Libanon seit 2002 EU-Projekte für umgerechnet 81 Millionen Euro verwirklicht und beschäftigt ein konfessionell gemischtes Team, in dessen Arabisch es von Anglizismen wie „visitor“ wimmelt. Zwei Maronitinnen, Public Relations and Communication Officer Diana und Senior Community Development Officer Souad, berichteten mir, dass die vier hybriden IVECO-Busse der EU nach einer dreimonatigen Testphase „voll im Einsatz“ seien. Die Idee zur Einführung von ÖPNV sei von Zahlés Bürgermeister, „einem der besten“ im Libanon, gekommen, der Fokus auf Maßnahmen gegen Verschmutzung am Flusslauf des Litani von der EU und der belgischen EU-Botschafterin.

Souad räumte ein, dass manche in Zahlé noch nicht wüssten, wie man die Busse benutzt. Ich fragte: „Gibt es keine Fahrpläne?“ „Fahrpläne gibt es“, antwortete Diana und spekulierte darüber, dass manche Dörfler aus Zahlés Umgebung vielleicht nicht lesen könnten. Sie betonte, dass die „visibility“ des EU-Engagements eine ihrer Hauptaufgaben sei, dafür sorge sie bei jedem einzelnen EU-Projekt. Souad nickte: „Das geht so weit, dass uns die Leute auf der Straße nicht für Libanesen, sondern für Europäer halten. ‚Ihr seid Europa‘, sagen sie, ‚gebt uns Geld!‘“

Ich fuhr mit einem desorientierten Taxifahrer weiter und fand mich – ein paar hundert Meter vom Sitz der libanesischen Regierung entfernt – in einer mir unbekannten Hisbollah-Exklave wieder. Schnell weg, beim abendlichen Beirut-Spaziergang landete ich aber wieder in Zokak el-Blat. Nun fiel mir ein Haus auf, an dem die Porträts von sechs „Märtyrern“ im reifen Mannesalter hingen. Die Fahne über den Porträts ähnelte stark dem Parteiwappen der Hisbollah. Die Fassade des Hauses stand noch, das Innere war weggebombt.

Der Inhaber des verglasten Cremetorten-Stands direkt daneben starrte mich hasserfüllt an. „Der rechts oben war mein Schwiegervater“, sagte er, „Israel nicht gut. Die sechs hatten nichts mit der Hisbollah zu tun, sie sammelten vier bis fünf Millionen Dollar für Schulen im Südlibanon.“ Ganz anders als in Gaza und anders als in südlibanesischen Schiitendörfern, die von Israels Armee schlicht eingeebnet wurden, schien es sich beim Bombardement dieses Beiruter Viertels um einen Präzisionsschlag gehandelt zu haben.

Tortenhändler Hossein sprach selbst von einer „kleinen Bombe“. Als sie am 18. November fiel, erzählt er, sei auch sein dreijähriger Sohn, der draußen bei der Tortenvitrine herumlief, „an der Hand verletzt“ worden. Als Hossein hörte, dass ich aus Österreich kam, wurde er richtig nett: „Auch wenn er schon lange keine Partie zu Ende gespielt hat, bin ich ein Fan von David Alaba bei Real Madrid.“ Ein Händedruck wie unter Freunden, und Hossein half mir, aus Zokak el-Blat wegzukommen.

Panoramafahrt über den Libanonberg

Von Beirut nach Zahlé, so die offizielle Information, gibt es keinen Direktbus. Es sei denn, man lässt sich von einem Nasrallah verehrenden Dahieher Schiiten, der sein kriegsversehrtes Zwei-Zimmer-Häuschen „in zwei Monaten“ wiederaufgebaut hat, an einen Hisbollah-Kreisverkehr am Rand von Dahieh bringen und steigt in einen der laufend abfahrenden Minibusse, die über Zahlé in den schiitisch dominierten Norden der Bekaa-Ebene fahren. Ich teilte den Minibus mit acht Männern, die meisten jung und bärtig, alle aber mit finsterer Miene vor sich hin starrend, und einer jungen Schiitin im schwarzen Hidschab, die als einzige Englisch sprach und nur einmal in bestürzter Trauer versank – als sie einer bettelnden Witwe eine für sie hohe Geldsumme gab.

Für fünf Dollar bekam ich eine Panoramafahrt über den Libanonberg. Unten im Mittelmeer konnte man schon schwimmen gehen, oben leckten noch Schneezungen an den Serpentinen. Alle paar hundert Meter eine andere Community mit ihren Madonnen, Parteiplakaten und Heldendenkmälern, christlich, drusisch, schiitisch, sunnitisch, an einem Haus reckte sogar der längst untergegangene irakische Diktator Saddam Hussein seine Faust.

Wenn sich die flachen schiitischen Vororte zu den mit angeblich 57 Kirchen besetzten Steilhängen im „Tal des Weines“ verengen, dann ist man in Zahlé. Die lateinische Schrift hat dann die arabische weitgehend abgelöst. Und zum Baalbeker Rotwein der Marke „Ksara Reserve du Convent“ werden in frischem Salzwasser geschwenkte Möhren gereicht. Nachtblaue BMWs parken in zweiter Spur vor hyperwestlichen Bars.

Zahlé bot den wohl größtmöglichen innerlibanesischen Kontrast auf: Christen allein am Steuer panzerähnlicher SUVs, auf der anderen Seite minderjährige schiitische Mädchen, die kichernd in einen Kleinwagen kletterten – zu zehnt, vier allein in den Kofferraum. Den EU-Bus sah ich von ferne, Europas Sternenkranz war hintendrauf. In Zahlé selbst gab es kaum schiitische Minibusse, dafür dreirädrige Kraftfahrzeuge mit einem ihr Wesen perfekt enthüllenden Namen: „Tuktuk“. Ich fragte nach der Wahrnehmung des EU-Projekts. Ein junger Joseph, der militant christliche Erbe der Bäckereikette „Nasrallah“, fand die neuen Busse gut, weder er noch sein Bruder seien aber je eingestiegen: „Busfahren macht mich dizzy.“

79 Minuten warten auf den EU-Bus

Ein älterer Joseph fand das Projekt hirnrissig. Er arbeitete als Türsteher eines christlichen Kollegs: „Ich wohne in einem Haus mit 600 Quadratmetern und verdiene hier 300 Dollar.“ Zwei seiner drei Autos habe er wegen der großen Finanzkrise 2019 verkaufen müssen. „Auch den Grand Cherokee.“ Sein Großvater habe ein Landgut besessen, „die schiitischen Landarbeiter küssten ihm jeden Tag die Hand, jetzt arbeiten wir für sie.“ Das war etwas übertrieben, von kulturell-militärischem Empowerment der Schiiten konnte man aber sehr wohl sprechen. So wie Joseph sprachen viele Christen mit Achtung über Hassan Nasrallah.

Elie, der junge Tuktuk-Fahrer meines Vertrauens, sagte den baldigen Bankrott der Busse voraus: „Ich sehe sie immer leer fahren. Die sind viel zu groß, so was passt vielleicht nach Frankreich.“ Einmal fuhr ich mit. Ich stellte mich an eine Haltestelle, die keinerlei Fahrplan aufwies, und setzte mich dann auf den sechs Meter lang hinbetonierten Busstop-Bürgersteig. Es stank nach Auspuffgasen. 71 Tuktuks fuhren vorbei, 52 mit leerer Rückbank. Nasrallahs Bäckerjunge kam vorbei und schüttelte mir mitleidig die Hand: „Weil Sie kein Auto haben, warten Sie auf den Bus?“

Nach 79 Minuten war der EU-Bus auch schon da. Er fuhr wie meistens auf Diesel, bei einer Beschränkung auf 25 Stundenkilometer hatten die Chauffeure den E-Betrieb hassen gelernt. Ich hielt das relativ günstige Fahrgeld anderthalb Stunden lang bereit, doch man fuhr gratis. Bei einer Kapazität von 64 Personen saß nur ein verwahrloster Schrat drin, zwei schiitische Mütter mit kleinen Töchtern stiegen aufgeregt lächelnd zu. Da der Bus vor der engen Innenstadt umdrehte, musste ich raus. Dass die Busse eine EU-Spende waren, das wusste in Zahlé niemand. Auch der schiitische Stadtpolizist, der den lieben langen Tag mitfuhr, hatte „keine Ahnung“.

Bevor das jemand in den falschen Hals bekommt: Brüssel macht das schon ganz richtig. Vielleicht sollte man aber noch ein bisschen mehr Gas geben.