Lauterbachs Pflegepläne kosten Steuermilliarden

Die Kosten für die Pflegeversicherungen drohen aus dem Ruder zu laufen. Deshalb hat sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für einen höheren Bundeszuschuss ausgesprochen. Doch der Versuch, dadurch weitere Beitragssteigerungen zu vermeiden, könnte den Steuerzahler fast 12 Milliarden Euro kosten – jedes Jahr. Das hat das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherung (WIP der PKV) ausgerechnet. Diese Zahlen liegen der F.A.Z. exklusiv vor.

Die gesetzliche Pflegeversicherung steht 30 Jahre nach ihrer Verabschiedung im Bundestag im April 1994 insgesamt auf tönernen Füßen. Wie die Vorgängerregierungen hat auch die Ampel manche Reform zur Kräftigung des Systems angestoßen. So wurden die Beiträge für die meisten Versicherten erhöht, um die Ausgabensteigerung zu kompensieren. Gleichwohl ist die Finanzierung auf Dauer nicht gesichert, sodass die Regierung bis Ende Mai Eckpunkte für eine zukunftsfeste Ausstattung vorlegen will.

Lauterbach denkt dabei an höhere Bundeszuschüsse. „Ich persönlich glaube, dass wir langfristig ohne eine bessere steuerfinanzierte Absicherung der Pflegeversicherung nicht hinkommen werden“, sagte er in Essen. Die Zahl der Pflegebedürftigen sei auf fünf Millionen gestiegen und nehme in den kommenden Jahren um 40 Prozent weiter zu. „Das ist eine Notsituation, auf die wir zulaufen“, warnte Lauterbach. Es sei nicht gelungen, ausreichend Mittel bereitzustellen, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und genügend Auslandskräfte anzuwerben.

Haushaltsbeschluss des Verfassungsgerichts wirkt auch auf die Pflege

Ursprünglich war die als „Teilkasko“ gedachte Pflegeversicherung das einzige gesetzliche Absicherungssystem, das ohne Bundesgeld auskam. Seit der Corona-Pandemie floss dann jährlich eine Milliarde Euro. Doch hat der Bund nach dem Haushaltsbeschluss des Verfassungsgerichts diese Zuwendungen bis 2027 ausgesetzt. Zur Gegenfinanzierung wurden die Ausgaben der Versicherung für den Pflegevorsorgefonds – der die Babyboomer absichern soll – von 1,6 auf 0,7 Milliarden Euro gekappt.

Jetzt greift der Minister wieder nach mehr Steuermitteln für die Pflegeversicherung. Das dürfte nicht auf Gegenliebe bei Finanzminister Christian Lindner und seiner FDP stoßen, welche das Budget und die Sozialabgaben zusammenhalten wollen. Tatsächlich wären die Zuschüsse enorm hoch, wie das WIP schreibt. Selbst wenn die Versicherungsausgaben nicht schneller wüchsen als die Einnahmen – was unwahrscheinlich ist –, wären zwischen 2025 und 2030 jedes Jahr rund 3,1 Milliarden vom Fiskus zu tragen. Bis 2040 erhöhte sich der jährliche Betrag sogar auf 20,5 Milliarden Euro.

71 Milliarden Euro Zuschuss bis 20230

Realistischer als dieses Basismodell ist ein anderes Szenario des WIP, wonach die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung wie bisher schneller wachsen als die Einnahmen. In den vergangenen 20 Jahren nahmen die beitragspflichtigen Einnahmen je Mitglied um durchschnittlich 2 Prozent im Jahr zu, während die Ausgaben je Versicherten um 5,7 Prozent zunahmen. Schreibt man diese Entwicklung fort, sei bis zum Jahr 2030 ein kumulierter Steuerzuschuss von fast 71 Milliarden Euro nötig, schreibt das Institut, im Durchschnitt 11,8 Milliarden im Jahr.

Nach dem Jahr 2040 erreichen die Kosten für den Haushalt dann annähernd 88 Milliarden Euro im Jahr. Das entspricht etwa dem heutigen Aufwand zur Stabilisierung der Rente. „Die Flucht in zusätzliche Bundeszuschüsse zur Pflegeversicherung bedeutet im Klartext: zusätzliche Schulden“, moniert der PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. „So eine Sozialpolitik auf Pump würde der nachfolgenden Generation noch höhere Lasten aufdrücken, das ist unverantwortbar.“ Ohne eine stärker kapitalgedeckte Pflegevorsorge würden die Beitragszahler und der Haushalt in der alternden Gesellschaft „total überfordert“, warnte Reuther und warb zugleich für die Produkte seiner Mitgliedsunternehmen: „Deshalb empfehlen viele Wissenschaftler eine kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung.“

Enormer Zuwachs seit Fünfzigerjahren

Die Bundeszuschüsse zu den anderen Sozialversicherungen sind ebenfalls stark gestiegen. In der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV begannen sie vor 20 Jahren, 2004, mit einer Milliarde Euro und verharrten bis 2009 bei weniger als 10 Milliarden. Dann aber ging es steil bergauf. Seit 2017 gibt es einen konstanten regulären Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro, doch wurde er in der Coronazeit durch Sondermittel auf bis zu 28,8 Milliarden Euro aufgestockt. Auch 2023 pumpte der Bund noch 16,7 Milliarden Euro ins GKV-System, im laufenden Jahr sind 14,7 Milliarden vorgesehen.

Der Bundeszuschuss zur allgemeinen Rentenversicherung betrug zu Beginn in den Fünfzigerjahren umgerechnet zwischen 340 Millionen und 1,3 Milliarden Euro im Jahr. In den Achtzigern überstieg er erstmals die Grenze von 10 Milliarden. Nach der Wiedervereinigung waren es mehr als 20, seit 1995 mehr als 30 und seit 1998 mehr als 40 Milliarden. Die nächsten Grenzen von 50, 60 und 70 Milliarden wurden 2003, 2012 und 2019 durchbrochen. 2023 waren es vorläufigen Daten zufolge mehr als 84 Milliarden Euro. Hinzu kamen noch weitere Zuschüsse, vor allem Beiträge des Bundes zu Kindererziehungszeiten, sodass die Gesamtaufwendungen 113 Milliarden Euro ausmachen.