Krisenmanagement: Wenn’s mal wieder länger dauert
Über die Deutschen sagt man dieses: Sie sind gut darin, die Dinge vom Ende her zu denken. Qualität. Vorsprung durch Technik. In Deutschland baut man für die Ewigkeit, in England für den nächsten Winter. Worin wir angeblich nicht so gut sind: Improvisieren. Einfach mal machen und schauen was passiert.
Aber vielleicht ist genau das Gegenteil richtig.
Es fällt jedenfalls auf, dass Deutschland auch ganz gut durch diese Krise zu kommen scheint. Natürlich: Der Winter hat erst angefangen und es kann noch viel passieren. Aber bislang wird trotz Krieg und Inflation einigermaßen normal weiter produziert und konsumiert. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen hat kaum zugenommen. Und nach Einschätzung der Industrieländerorganisation OECD wird die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen. Das ist nicht schön, aber eben auch kein Drama, vor allem wenn man bedenkt, dass das Land den Ausfall seines wichtigsten Energielieferanten verkraften musste.
Dass der große Absturz vermieden werden konnte, hat auch mit der Politik der Regierung zu tun. Sie hat die Speicher mit Russengas gefüllt, als es noch geflossen ist, sie hat alternative Lieferanten aufgetan und sie hat umfangreiche Entlastungspakete aufgelegt. Nach Berechnungen der Commerzbank entspricht das Volumen der verschiedenen Maßnahmen in etwa dem Anstieg der gestiegenen Kosten für die Nettoimporte von Rohöl und Erdgas. Mit anderen Worten: Die zusätzlichen Belastungen durch höhere Energiepreise werden durch staatliche Maßnahmen mehr oder weniger ausgeglichen. Das stützt die Konjunktur, selbst wenn es dabei nicht immer gerecht zugeht, weil auch Haushalte Hilfe erhalten, die wegen ihres hohen Einkommens eigentlich ganz gut alleine zurechtgekommen wären.
Rettungspakete verhindern Schlimmeres
Damit wiederholt sich ein Muster, das auch in früheren Extremsituationen zu beobachten war. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Deutschland der ökonomische Untergang vorhergesagt wird. Ob Finanzkrise, Griechenland-Krise oder Corona-Krise: Immer hieß es, es könne so nicht weitergehen mit dem deutschen Geschäftsmodell. Es ging dann aber doch immer irgendwie weiter, weil der Staat mit großzügigen Rettungspaketen Schlimmeres verhinderte. Die hatten damals zwar noch nicht so lustige Namen wie heute, aber Olaf Scholz hatte auch schon seine Finger im Spiel: Während der Finanzkrise war er Arbeitsminister und an der Erleichterung der Zugangsvoraussetzungen für das Kurzarbeitergeld beteiligt, die viele Jobs gesichert hat.
Die Deutschen sind also offenbar nicht ganz so unflexibel, wie es ihnen nachgesagt wird. Das zeigt sich auch am Umgang mit der Schuldenbremse. Die steht zwar im Grundgesetz, aber es gibt jede Menge Haushaltstricks, mit denen sie umgangen werden kann, wenn mehr Geld für die Bundeswehr oder die Gaspreisbremse benötigt wird. Die Ampel hat inzwischen drei so genannte Sondervermögen eingerichtet, mit denen außerhalb des amtlichen Haushalts Kredite aufgenommen werden können. Was nicht passt, wird im Zweifel eben passend gemacht. Und das Bundesverfassungsgericht hat bislang nichts dagegen.
Problem mit Langfristprojekten
Das klappt allerdings nicht immer. Denn während im Kampf gegen die vielen Krisen Milliarden mobilisiert wurden, droht die physische und intellektuelle Infrastruktur des Landes zu verfallen. Es fehlen Lehrer, Erzieher, Bauarbeiter, Installateure. Die Autobahnbrücken sind kaputt, die Bahn ist überlastet und der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde über Jahre hinweg vernachlässigt. Wir sind gut, wenn es schnell gehen muss. Aber nicht so gut, wenn es einmal etwas länger dauert.
Die Regierung hat das Problem erkannt. Sie will zum Beispiel das Planungsrecht modernisieren, damit neue Vorhaben schneller umgesetzt werden können. Das ist sinnvoll und richtig. Es kann aber nur ein erster Schritt sein. Denn das Problem mit Langfristprojekten ist: Die Kosten dafür fallen jetzt schon an, der Nutzen zeigt sich erst in einer möglicherweise fernen Zukunft. Das ist für jeden Politiker eine Herausforderung, denn irgendwo sind immer Wahlen. Und zwar nicht erst in der Zukunft. Aber wenn sich Politik nur auf die Erfüllung von Wählerwünschen reduzierte, könnte den Job eines Politikers auch eine künstliche Intelligenz übernehmen.