Kriminalroman: Dürrenmatt und Böll lassen grüßen

Zwei Bedienstete sterben im Haus der reichen Familie Alga-Croce. Der Anwalt Valentino Bruio ermittelt in einem elitären Netz voller Rassismus


Der Schriftsteller De Cataldo legt von Beginn an den Finger in die Wunde der italienischen Gesellschaft

Foto: Massimo Merlini/Getty Images


Spätestens seit Romanzo Criminale (2002), den Michele Placido verfilmte, ist der italienische Autor Giancarlo De Cataldo, geboren 1956 im apulischen Tarent, auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Das Besondere: De Cataldo nimmt in seinen Texten Themen vorweg, die wenig später virulent werden. Etwa die Machenschaften des organisierten Verbrechens in der italienischen Hauptstadt (Mafia Capitale), die ab Ende 2014 aufgedeckt wurden. Der vor Kurzem pensionierte Richter hatte sie bereits so ähnlich 2013 im Krimi Suburra, den er gemeinsam mit Carlo Bonino geschrieben hat, erzählt.

Nun erscheint De Cataldos Debüt Schwarz wie das Herz erstmals auf Deutsch. Es wurde im Original 1989 veröffentlicht, jedoch hat der Autor 2016 seinen Text aktualisiert und die ursprüngliche Handlung aus den 1980er Jahren in die Nullerjahre verlegt. Jetzt finden etwa Handys und Internet Einzug. Der Handlungsort ist dagegen gleich geblieben: Rom, die heimliche Protagonistin in De Cataldos Werken.

„Der erste Klient seit einer Woche. Ich hatte jedoch überhaupt keine Lust, mich noch einmal mit einem Schwarzen auseinanderzusetzen, der nichts auf die Reihe brachte“, ächzt Protagonist und Anwalt Valentino Bruio, der sich ansonsten als links versteht. Da Ray Anawaspoto gebrochenes Italienisch spricht und Bruio ihn kaum versteht, schickt er ihn weg. Ein fataler Fehler, er wird wenig später tot aufgefunden und Bruio macht sich schwere Vorwürfe. In seinem Stammlokal Sun City, wo sich meist Schwarze treffen, erfährt Bruio, dass Anawaspoto sich häufig hier aufgehalten hat. Dessen Kumpel und Besitzer des Ladens Rod beauftragt Bruio, den Fall zu lösen. Denn auf die Polizei sei kein Verlass. Bruios Spur führt zu Anawaspotos letztem Arbeitsplatz: die Villa der reichen Alga-Croce. Dort sagt man ihm, dass der Ermordete von heute auf morgen verschwunden sei. Die Familie nimmt an, dass er es nicht verkraftet habe, dass sein sechsjähriger Sohn zu seiner Mutter zurückgekehrt ist. Latif, ein anderer Bediensteter der Alga-Croces, ist nicht sehr gesprächsfreudig, Tage später ist auch er tot. Zufall, dass beide Toten Bedienstete der Alga-Croce gewesen sind? Was hat die einflussreiche Familie zu verbergen?

De Cataldo hat eine ernüchternde Analyse der italienischen Gesellschaft geliefert. Wer reich ist, hat Macht und kann sich vieles erlauben. Geschicke werden im Verborgenen, etwa durch die Mitgliedschaft einer Geheimloge, gelenkt. Ein Telefonat reicht, und schon werden unbequeme Personen entweder versetzt, wie etwa ein engagierter Kommissar, oder kurzerhand liquidiert. Das erinnert an die Geheimloge Propaganda Due, die Anfang der 1980er aufgedeckt wurde samt einer hochbrisanten Mitgliederliste mit mächtigen Namen aus Politik, Justiz und Wirtschaft, unter anderem mit Silvio Berlusconi, damals großer Bauunternehmer und aufstrebender Medienmogul.

Das andere große Thema ist der Rassismus in Italien, der teils in den Medien forciert wird. Sie schüren gegenüber Migranten Angst und Schrecken, machen sie zu Sündenböcken. Eine eingehende Ursachenforschung wird gar nicht erst geboten. Als eine bürgerliche Zeitung einen rassistischen Kommentar verfasst, stellt Bruio bitter fest: „Entweder hatte das Bürgertum sich verändert oder jemand hatte das Licht der Aufklärung ausgeknipst.“ Diese Beobachtung spiegelt am besten die Nullerjahre unter Premierminister Berlusconi wider – der die meisten Medien kontrollierte –, in denen angsteinflößende Berichte über Migranten verfasst wurden.

Lesenswert sind ebenfalls die gewinnbringenden Überlegungen, die Anwalt Bruio mit unterschiedlichen Figuren über Anstand, Wahrheit und Gerechtigkeit anstellt. Im Krimi gibt es zudem Referenzen zu anderen Autoren, etwa zu Camilleri und Dürrenmatt. Außerdem wird über die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll – ohne je den Autor namentlich zu nennen – gespottet, sodass unterschiedliche Enden der Böll-Erzählung ausgedacht werden – eine hyperkapitalistische und eine revolutionäre.

De Cataldo legt von Beginn an den Finger in die Wunde der italienischen Gesellschaft und zeigt ein Gespür für Themen, die hochaktuell in der Luft liegen. Nicht zuletzt überrascht dieser intelligente Krimi mit einem unerwarteten Twist.

Schwarz wie das Herz Giancarlo De Cataldo Karin Fleischanderl (Übers.), Folio Verlag 2024, 240 S., 22 €