Kiewer Haushaltsnöte: Ukraine will schneller aufwärts russische Milliarden zupacken

Wegen der angespannten Finanzlage der Ukraine fordert die Regierung eine schnelle und unkonditionierte Freigabe jener 50 Milliarden Dollar, die die G 7 dem Land aus Zinserträgen im Westen festgesetzter russischer Vermögen bereitstellen will.

Man werde darum kämpfen, den Zugriff auf die gesamten eingefrorenen russischen Mittel und nicht nur deren Erträge zu erhalten, sagte die stellvertretende Finanzministerin Olga Zykova in einer Videokonferenz des Centre for Economic Strategy in Kiew. Die Debatte hatte an Fahrt aufgenommen, weil die Bundesregierung bilaterale Hilfen im kommenden Jahr durch diese Gelder ersetzen und den eignen Haushalt schonen will.

Deutschland ist laut dem vom Institut für Weltwirtschaft Kiel erstellten Ukraine-Support-Tracker nach den USA der zweitgrößte Geldgeber der Ukraine. Bis Mitte 2024 hat Berlin Kiew demnach seit dem Überfall Russlands im Februar 2022 mit 14,7 Milliarden Euro unterstützt. Wegen des Kriegs und der Folgeschäden, die die Wirtschaft des Landes schwer erschüttert haben, fehlt es überall an Geld.

Loch von 15 Milliarden Dollar

Laut Zykova flossen in diesem Jahr bisher 24,5 Milliarden Dollar westlicher Hilfen in den Staatshaushalt, der damit bis Juli zu 52 Prozent von den Zuweisungen finanziert wurde. Weitere 13,5 Milliarden Dollar seien bis zum Jahresende zugesagt. Doch da der Krieg vermutlich bis dahin nicht ende, dauerten die Geldnöte an. Für den Haushalt 2025 erwartet Kiew eine budgetäre Unterstützung in Höhe von 35 Milliarden Dollar. Doch da klafft nach aktuellen Berechnungen der Kiewer Ökonomen ein Loch von 15 Milliarden Dollar.

Die Lücke will Vizefinanzministerin Zykova mit den Zinseinnahmen auf die blockierten russischen Gelder schließen. EU- und G-7-Staaten wollen die komplizierte Rechtsmaterie dem Vernehmen nach bis zum Jahresende klären. Kiew dauert das zu lange. Sie erhoffe sich eine schnelle Klärung, möglichst bis September, wenn der Währungsfonds die aktuellen Finanzhilfen überprüfe, sagte Zykova. Mehrfach machte sie deutlich, dass Kiew selbst darüber entscheiden wolle, wie diese Gelder einzusetzen seien: für das Militär, als allgemeine Budgethilfe, in Sozialprojekten oder für den zügigen Aufbau der kriegszerstörten Infrastruktur.

Im September überprüft der Internationale Währungsfonds (IWF) routinemäßig seine Hilfsprogramme für die Ukrai­ne. Die Einhaltung dort verabredeter Kriterien ist auch für andere Geldgeber wichtig. Der Vertreter des IWF in der Ukraine, Gavin Gray, spielt darauf an, als er die laufenden Umschuldungsverhandlungen Kiews mit privaten Gläubigern erwähnte, die die Ukraine in den kommend drei Jahren um 11,4 Milliarden Dollar entlasten sollen. Eine Folge des Deals aus dem Juli ist aber auch, dass Ratingagenturen dem Land inzwischen jede Kreditwürdigkeit entzogen haben.

Steuererhöhungen gefordert

Der Internationale Währungsfonds verlangt von der Regierung in Kiew mehr Engagement, die Finanzbasis durch Steuererhöhungen zu stärken. Das sei eine der Schlüsselfragen für eine nachhaltige Budgetfinanzierung, sagte Gray. Er lobt das von der Regierung an das Parlament gesandte Steuerreformpaket.

Er wisse um die Sorgen und Proteste der Wirtschaft, doch sei die Konsolidierung des Budgets 2025 nur mit höheren, in der Ukraine generierten Einnahmen möglich: „Wenn die Steuereinnahmen steigen sollen, dann wird man um Steuererhöhungen nicht herumkommen.“ Gray sagte, internationale Finanzhilfen, Umschuldung und Steuererhöhungen seien untrennbar miteinander verbunden.

Die Staatsverschuldung der Ukraine dürfte aktuell 94 Prozent des Bruttoinlandproduktes betragen. Um diese Quote einzudämmen, hatte Kiew einige Steuern erhöht, sodass die Einnahmen daraus im Juni um 50 Prozent über Vorjahresniveau lagen. Unter anderem hatte sie Banken mit einer Gewinnsteuer von 50 Prozent belegt, auch Erträge aus der Mehrwertsteuer und Dividenden der Staatsunternehmen stiegen.

Die Wirtschaftslage ist angespannt, auch wegen der Störungen der Energieversorgung. Das Wachstum wird 2024 auf etwa 3,5 Prozent veranschlagt, die Inflation auf 8,5 Prozent. Die Erwartungen der Betriebe haben sich zwar aufgehellt, liegen aber unter dem langjährigen Schnitt. Der für den Export wichtige Agrarsektor dürfte 2024 etwas schlechter abschneiden, doch sichert der von Kiew etablierte, vor russischen Attacken sichere Exportkorridor durch das Schwarze Meer der Branche das Überleben.