Kann die deutsche Linke von Frankreich lernen?
In ganz Europa sind rechtspopulistische Kräfte auf dem Vormarsch, aber spätestens nach der Wahl in Frankreich zeigt sich eine wohl noch stärkere Gegentendenz: Die linken Kräfte sind entschlossen, „den Anfängen zu wehren“, und sie sind erfolgreich. In Westeuropa jedenfalls. In Großbritannien hat Labour gerade fast zwei Drittel der Parlamentssitze geholt, in Skandinavien haben Grüne und Linke bei der Europawahl deutlich Stimmen dazugewonnen, in Spanien regieren immer noch die Sozialisten. Anders sieht es in Italien und den Niederlanden aus. Für Frankreich war eine parlamentarische Dominanz der Le-Pen-Partei befürchtet worden, stattdessen siegte die Neue Volksfront. In Deutschland indessen sortieren sich die Kräfte vorerst anders.
Schon weil Frankreich und Deutschland für die innere Balance der Europäischen Union so besonders wichtig sind, stellt sich die Frage, ob in der französischen Entwicklung nicht ein Vorbild für Deutschland liegen könnte. Ein direkter Vergleich fällt schwer und ist doch lehrreich. So bietet es sich zwar an, in Jean-Luc Mélenchons Partei, die sich den Namen „Das unbeugsame Frankreich“ gegeben hat, etwas Ähnliches wie das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ zu sehen. In beiden Fällen ist einer einzelnen Person ein neuer Aufbruch gelungen. Beide Personen haben ein Autoritätsproblem: Dass Mélenchon autoritär agiert, ist bekannt, von Wagenknecht kann man das zwar nicht sagen, aber ihre mangelnde Kompromissbereitschaft in der deutschen Linkspartei und vor allem die objektive Rolle, die sie jetzt in ihrer eigenen Partei spielt, angefangen mit dem Namen dieser Partei, sind Äquivalente.
Der Name von Mélenchons Partei verweist auf einen Nationalismus, der sich aus sozialpolitischen Gründen gegen die EU wendet, und auch Wagenknechts Sozialpolitik ist deutlich national ausgerichtet. Beide Parteien sind in ihrer Gesellschaft die konsequentesten Friedenskräfte. Mélenchon hatte beispielsweise dafür plädiert, eine Beendigung des Ukraine-Kriegs auch um den Preis anzustreben, dass die ukrainische Regierung nicht zustimmt.
Unterschiede von BSW und LFI
Nur auf die Frage, wie der rechtspopulistischen Gefahr begegnet werden kann, haben sie gegensätzlich geantwortet. Wagenknecht versucht, der AfD das Wasser abzugraben, indem sie deren Wählern und Wählerinnen bedeutet, sie seien in ihrer „linkskonservativen“ Partei besser aufgehoben. Vor ein paar Tagen erklärte sie, in Sachsen wolle sie einer CDU-geführten Regierung beitreten, dafür habe sich in Thüringen die CDU von einer BSW-Ministerpräsidentin führen zu lassen. Mélenchon hingegen arbeitet nur mit linken Kräften zusammen, und er zahlt dafür den Preis, seine Friedenspolitik abzuschwächen: Er trägt den Standpunkt der Neuen Volksfront mit, dass der Ukraine weiter „notwendige Waffen“ geliefert werden und dass Friedensverhandlungen nur aufgenommen werden, wenn die Ukraine zustimmt.
Überraschend ist der Unterschied nicht. Frankreich ist eine westliche Gesellschaft, während in Deutschland immer noch nachwirkt, dass es in ein west- und ein osteuropäisches Gebiet geteilt war. Wagenknechts Politik ist aus diesem Grund nachvollziehbar. Man kann dennoch fragen, ob es nicht besser wäre, auch in Deutschland die rechtspopulistische Gefahr auf eindeutig linke Weise zu bekämpfen.
Die französische Neue Volksfront verbindet konsequente Sozialpolitik mit konsequenter Ökologie. Ihrem Standpunkt entspricht in Deutschland am ehesten die von Wagenknecht verlassene Linkspartei. Diese ist aber derzeit schwach: Eine wirkliche deutsche Entsprechung wäre nur möglich, wenn in der SPD der linke Flügel statt des Scholz-Flügels die Führung übernähme. Eine solche SPD würde aufhören, vor Friedrich Merz (CDU) und Christian Lindner (FDP) zurückzuweichen, sie würde mit der Linkspartei zusammenarbeiten, die Grünen auf ihre Seite ziehen und die Politik der Wagenknecht-Linken verändern. Leider deutet vorerst nichts darauf hin. Es wäre ja anfangs ein harter Weg.