Kann China die EU-Zölle noch bremsen?

Mangelnde Aufmerksamkeit konnte Chinas Handelsminister Wang Wentao der Europäischen Kommission am Donnerstag nicht vorwerfen. Mehr als fünf Stunden – inklusive Mittagessen – nahm sich EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis Zeit, um über die im Juli angekündigten Schutzzölle auf in China gefertigte Elektroautos zu sprechen. Die sollen die Hersteller in der EU vor einem unfairen Wettbewerb durch die hoch­subventionierten Chinesen schützen. Anfang November sollen sie nach dem Willen der Kommission in Kraft treten.

Wang war deshalb in dieser Woche zu einer Rundreise durch Europa aufgebrochen, um die Zölle doch noch zu verhindern. Vor Brüssel hatte er Station in Rom und Berlin gemacht. Schon am kommenden Mittwoch könnte die Entscheidung fallen. Dann steht die nächste Sitzung des zuständigen Ausschusses der Mitgliedstaaten an. Am Donnerstag hieß es allerdings in der Kommission, das Votum könne sich noch verschieben. Können sich die Chinesen also doch noch Hoffnung machen, die Zölle von bis zu 35,3 Prozent zusätzlich zum Standardzollsatz von zehn Prozent zu verhindern?

Seit Monaten bearbeitet China ein EU-Land nach dem anderen, um genau das zu erreichen. Handelsminister Wang ist zu einer Art Zollverhinderungsminister geworden, der fast jede Woche mit euro­päischen Politikern verhandelt, ob in Peking oder anderswo. Lange wirkte die Strategie unkoordiniert: Ständig wurden neue Drohungen oder Angebote platziert, meistens in Chinas Staatsmedien. Nach­einander nahm Peking europäischen Brannt­wein, Schweinefleisch, Milch­­pro­dukte und auch Autos mit besonders großen Verbrennungsmotoren ins Visier.

Mitunter stand erst im Raum, die Handels­bedingungen für diese Produkte zu ver­schlechtern, dann sie zu verbessern. Eine Anti-Dumping-Untersuchung gegen Brannt­wein, die besonders französische Cognac-Hersteller hätte treffen können, kam zwar zu dem Schluss, dass Branntwein aus der EU zu Dumpingpreisen verkauft wird, auf Zölle verzichtete China aber zunächst. Es entstand der Eindruck, als werfe Peking einfach möglichst viel in den Raum und schaue, was verfängt.

China punktet in Spanien

In den vergangenen Tagen schien die Strategie erstmals Wirkung zu zeigen. Mit Spanien ist es Peking gelungen, ein Land umzudrehen und zu einem Gegner der Zölle zu machen. Das Land galt zuvor gemeinsam mit Frankreich als einer der Hauptbefürworter der Zölle. Nun aber hat sich Spaniens Regierungschefs Pedro Sanchez auf einer Chinareise klar dagegen ausgesprochen. Es war die bewährte Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche, die wirkte. Einerseits richtet sich die Anti-Dumping-Untersuchung gegen europäisches Schweinefleisch vor allem gegen Spanien, den größten EU-Exporteur von Schweinefleisch nach China. Andererseits kündigten etliche chine­sische Konzerne zuletzt große Investi­tionen in Spanien an. Der Autokonzern Chery baut eine Fabrik, der Energiekonzern Envision steckt eine Milliarde Dollar in Wasserstoffprojekte in Spanien.

Das Bundeskanzleramt nahm das positiv auf. Es hat das Ziel der Kommission, die aufstrebenden Autohersteller aus China mit Zöllen vom Binnenmarkt fernzu­halten, von Anfang an mit großer Skepsis gesehen. Die Sorge von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war, dass dies Peking zu Gegenmaßnahmen verleiten dürfte, was wiederum die deutschen Premiumhersteller in einem besonderen Maße treffen würde. An dieser Positionierung hat sich nichts geändert. Das Kanzleramt habe in den vergangenen Tage viel telefoniert, um die Zölle zu stoppen, heißt es.

Keine europäische Mehrheit gegen Zölle

Allerdings gibt es mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) innerhalb der Regierung auch Befürworter der Zölle. Der sagte am Mittwoch nach seinem Treffen mit Wang zwar, dass ein Handelskonflikt mit einer Zollspirale unbedingt verhindert werden müsse: „Die EU-Kommission und China sollten alles daransetzen, eine Verhandlungs­lösung zu finden.“ Wang sagte nach dem Treffen, China wolle den Fall lösen und hoffe, dass Deutschland die Führung übernehme, damit die Kommission po­litischen Willen zeige.

Es gilt jedoch in Brüssel weiter als ausgemacht, dass sich Deutschland in der entscheidenden Abstimmung über die Zölle wegen der verschiedenen Positionen in Berlin enthält. Das hatte es auch bei einer Probeabstimmung im Juli schon getan. Auch ansonsten spricht nach Ansicht von EU-Diplomaten wenig dafür, dass die Stimmung unter den Mitgliedstaaten gegen die Zölle kippt. Im Juli hatten sich nur vier Staaten, darunter Ungarn, die Slowakei und Zypern, gegen die Zölle gestellt. Elf weitere Staaten hatten sich enthalten.

Um die Zölle zu stoppen, müsste das Kanzleramt eine Mehrheit von 15 Staaten organisieren, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Das gilt als äußerst unwahrscheinlich – zumal sich Wang an anderen Staaten wie Italien bisher die Zähne ausbeißt. Außenminister Antonio Tajani hat nach einem Treffen mit Wang am Montag seine Haltung nicht geändert, obwohl auch Italien um chinesische Investitionen wirbt. So wird in Brüssel zwar damit gerechnet, dass sich zahlreiche Staaten bei der Abstimmung über die Zölle enthalten. Vielleicht werde auch der eine oder andere noch dagegen stimmen. Es gehe dabei aber nicht darum, die Zölle zu verhindern. Die Staaten wollten allein verhindern, dass sie anschließend von China mit Gegenmaßnahmen belegt würden.