Kaffeepreise: Die Krönung

Die Kaffeekirschen hängen noch grün und klein am Strauch. Miguel Erthal streicht über die unreifen Früchte, drückt sie prüfend mit Daumen und Zeigefinger, hebt die Blätter an. „Sieht ganz gut aus“, sagt er. „Ich könnte nächstes Jahr wieder Kaffee ernten – wenn das Wetter mitspielt.“

Miguel Erthal ist brasilianischer Kaffeeplantagen-Besitzer, und Ungewissheit mag er gar nicht. Er möchte möglichst genau wissen, ganz ohne Konjunktiv, wie viele Sack Kaffee er im Jahr ernten und welchen Preis er dafür bekommen wird. Aber solche Gewissheiten gibt es in seiner Branche nicht mehr. Was derzeit Landwirte wie er und Kaffeekonsumenten auf der ganzen Welt zu spüren bekommen.

Der Preis für ein Pfund Kaffee steigt und steigt. An der New Yorker Rohstoffbörse hat er seit Jahresbeginn um 80 Prozent zugelegt und Anfang Dezember mit 3,44 Dollar den höchsten Stand seit 1977 erreicht. Auf die Preise in den Supermärkten und Straßencafés schlägt das direkt durch. Unter fünf Euro gibts das Pfund kaum noch zu kaufen. „Wird Kaffee zum Luxusgut?“ wurde kürzlich in der Tagesschau gefragt.

Der Grund für den Preisanstieg ist erst einmal simpel: Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Weltweit wird mehr Kaffee getrunken, als Bauern wie Miguel Erthal ernten können. In großen Ländern, in denen früher viel Tee getrunken wurde, etwa in China und Indien, wird immer mehr Kaffee konsumiert. Doch neuerdings kommt ein weiterer Faktor hinzu: Das Klima ist nicht mehr so kaffeefreundlich wie früher.

In alten Jeans, einem ausgeleierten T-Shirt und Lederstiefeln stapft Erthal durch die langen Reihen seiner Kaffeesträucher. Der 65-Jährige begutachtet kritisch Blätter und Boden, hält Ausschau nach Schädlingen oder Pilzbefall. Der Brasilianer ist groß gewachsen, ausgestattet mit rundem Bauch, zunehmender Glatze und vor allem mit kräftigen Händen, die von einem langen Arbeitsleben erzählen. „Schon als Zehnjähriger musste ich meinem Vater in der Plantage helfen“, sagt er. Das Geschäft ist schwieriger geworden.

Erthals Fazenda heißt Santa Rita und liegt im landwirtschaftlich geprägten Bergland des Bundesstaats Rio de Janeiro. Mit der gleichnamigen Stadt am Zuckerhut hat es nur wenig gemeinsam, hier oben dominiert Landwirtschaft das Lebensgefühl, nicht der Strand. Kurvige Straßen führen in diese Gegend hinauf, sie bieten spektakuläre Ausblicke über den Atlantischen Regenwald, bevor man Bom Jardim erreicht. Die Viehwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig der Kleinstadt, gefolgt vom Kaffeeanbau, den Erthal hier kontrolliert. Seine Kaffeesträucher bedecken die Hänge der Gegend, insgesamt 650 Hektar.

Erthal ist damit der größte Kaffeebauer im Bundesstaat Rio de Janeiro. Er hat Millionen von Kaffeesträuchern gepflanzt, beschäftigt ganzjährig 150 Arbeiterinnen und Arbeiter. Rund 90 Prozent seiner Arabica-Hochlandbohnen-Ernte gehen ins Ausland, werden nach Deutschland, Italien, Japan und in die USA verschifft. „Kaffee ist das am zweitmeisten konsumierte Getränk der Welt“, sagt Erthal. „Nach Wasser.“

Seit fünf Jahrzehnten ist er schon in diesem Geschäft, umso überraschter war er. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt er und kratzt sich im sonnenverbrannten Nacken.

Das Klima an seinen Kaffeehängen, das sei nämlich „völlig aus der Kurve geraten“, sagt er. „Im vergangenen Jahr fiel zwischen Mai und Oktober kein einziger Tropfen Regen“, so Erthal. „Sechs verdammte Monate lang!“ Ausgerechnet in der kritischen Phase der Pflanzenentwicklung, wenn eine schöne Blüte entstehen soll, aus der sich anschließend eine saftige Frucht bildet.

Klimawissenschaftler in Brasilien registrieren schon seit Jahren, dass es in den Kaffeegebieten heißer und trockener geworden ist. Über die genauen Ursachen sind sie sich allerdings noch nicht einig. Die einen betonen die Rolle des Klimaphänomens El Niño, einer vorübergehenden Strömungsänderung des Pazifiks mit weltweiten Folgen für das Klima. Andere vermuten den wichtigsten Grund in der menschengemachten Erderwärmung. Wenn Letztere recht haben, werden Dürre und Hitze dauerhaft sein – wie es zum Beispiel die internationale Forschungsgruppe World Weather Attribution (WWA) erwartet. Eine dritte, hauptsächlich regionale Ursache für die Dürre sieht der brasilianische Klimaforscher Carlos Nobre in der Zerstörung des Amazonasregenwaldes: Aufgrund der Abholzung bildeten sich über dem Amazonas immer weniger Wolken, sodass es in Südamerika immer weniger regne.

Miguel Erthal ist die Ursache für die Trockenheit „egal“. Er hofft nur, dass das Klima bald wieder „normal“ werde.



Woher der Kaffee kommt

Atlantischer

Ozean

BRASILIEN

Kaffee-Fazenda

Santa Rita

Rio

de Janeiro

1500 km

©ZEIT-GRAFIK

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Brasilien ist seit rund 150 Jahren der größte Kaffeeproduzent der Welt. Auf zwei Millionen Hektar werden die Bohnen angebaut, was der Fläche Sachsen-Anhalts entspricht. Die Ernte beträgt rund 3,3 Millionen Tonnen Rohkaffee, zwei Drittel davon werden exportiert. Kaffee ist auf Platz fünf der landwirtschaftlichen Ausfuhrprodukte Brasiliens.

Doch fast alle der rund 300.000 brasilianischen Kaffeebauern haben zuletzt ungewöhnliche Trocken- und Hitzeperioden erlebt. Einige der wichtigsten Kaffeeregionen Brasiliens registrierten 2024 die niedrigste Niederschlagsmenge der vergangenen 40 Jahre. Die Folge: Ernteausfälle.