In Brandenburg könnten Dietmar Woidkes SPD und Sahra Wagenknechts BSW regieren

Dass Dietmar Woidkes Wette aufgehen würde, war einige Tage vor Brandenburgs Landtagswahl in Frankfurt (Oder) zu erahnen: Um „Dinge, die festgefahren sind, wieder in Bewegung bringen“ hatte dort ein einstiger Pfarrer und Mitstreiter der Friedlichen Revolution von 1989 Vertreter allein der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf ein Podium geladen. Das hätte andernorts einen anti-populistischen Aufschrei provoziert.

Im äußersten Osten der Republik hingegen wünschten sich einige aus dem Publikum, diese beiden Parteien mögen doch miteinander koalieren. Der Veranstaltungsinitiator, der ehemalige Pfarrer und 1989er-Revolutionär, war zufrieden mit dem Gespräch – und antwortete auf die Frage, was er selbst wählen würde: Na SPD, um die AfD als stärkste Partei zu verhindern. So ambivalent liegen die Dinge häufig in der peripheren Realität jenseits zentraler Debatten.

1,7 Prozent mehr als die AfD

SPD wählen, um die AfD als stärkste Partei zu verhindern: Das haben bei dieser Landtagswahl derart viele andere Brandenburgerinnen und Brandenburger getan, dass nicht nur Ministerpräsident Dietmar Woidkes Wette – Ich und meine SPD landen vor der AfD oder ich trete zurück – aufgegangen ist; wie in Sachsen und anders als in Thüringen käme eine – ohnehin rein theoretische – Koalition aus AfD (29,23 Prozent) und BSW (13,48 Prozent) noch nicht einmal auf eine Mehrheit der Sitze im Landtag in Potsdam.

Dort wird die SPD (30,89 Prozent) als stärkste Fraktion weiter den Ministerpräsidenten stellen und der wird weiter Dietmar Woidke heißen. Es hat sich für den Sozialdemokraten noch einmal ausgezahlt, der Strategie zu folgen, die lange Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen und zuletzt einmal mehr erfolgreich Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen praktiziert haben: Als Landesvater einen Wahlkampf auf das Duell mit der AfD zuspitzen und sich von der Bundespolitik und der eigenen Bundespartei maximal abgrenzen, um sich mit allerlei Leihstimmen und zulasten kleinerer Parteien die Macht noch einmal zu sichern.

2026: Sachsen-Anhalt

Doch die extrem knappen Vorsprünge vor der AfD von 1,3 Prozent in Sachsen und 1,7 Prozent in Brandenburg, vor allem aber die Ramelow-Dämmerung in Thüringen zeigen, wie schmal dieser Grat ist. Spätestens 2026, wenn Sachsen-Anhalt seinen Landtag neu wählt, könnte er schon zu schmal sein für den dann 72-jährigen Ministerpräsidenten und Anti-AfD-Zuspitzexperten Reiner Haseloff (CDU).

Für die Demokratie ist diese Art der Verengung nicht das Schlechteste, zumindest gemessen an der Wahlbeteiligung, die auch in Brandenburg, so das vorläufige Ergebnis der Landtagswahl, ein Rekordhoch verzeichnet, von 72,9 Prozent. Neben 47.000 ehemaligen Bündnis 90/Die Grünen- und 25.000 ehemaligen Linken-Wählern waren es vor allem 51.000 vormalige Nichtwähler, die der SPD zum Sieg verhelfen, so die Berechnungen zur Wählerwanderung. Bündnis 90/Die Grünen (4,13 Prozent) und Linke (2,98 Prozent) kostet das die parlamentarische Existenz, auch weil alle Hoffnung vergebens war, mittels eines Direktmandates und der Grundmandatsklausel in Fraktionsstärke in den Landtag einziehen zu können.

41.000 Nichtwähler mobilisierte das BSW

Dieser gerät vom Sechs- zum Vier-Parteien-Parlament – in dem plötzlich gar wieder eine einfache Zwei-Parteien-Koalition ohne die AfD (und, wegen deren miserablem Wahlergebnis von 12,1 Prozent, ohne die CDU) möglich ist: eine aus SPD und BSW. An dessen Spitzenkandidaten Robert Crumbach, einem langjährigen Sozialdemokraten, sollte das wohl kaum scheitern.

Es wäre dies eine Koalition aus zwei Parteien, deren Erfolge sich aus ähnlichen Quellen speisen: 41.000 ehemalige Nicht-Wähler und 44.000 ehemalige Linken-Wähler hat das BSW mobilisiert, zudem 26.000 Wähler von der SPD, 16.000 von der AfD und 14.000 von der CDU. Dietmar Woidkes Zuspitzung ist am Bündnis Sahra Wagenknecht bemerkenswert spurlos vorbeigegangen, weswegen es aber nun in Brandenburg wie in Thüringen und Sachsen vor einer ersten Bewährungsprobe in Sachen innerparteiliche Demokratie stehen könnte.

Anti-AfD-Pakt in Thüringen

Erststimmenmehrheit in Brandenburg

Grafik: Landeswahlleiter Brandenburg/Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

Denn nicht alle im BSW brennen darauf, fortan als Teil der Brandmauer aller anderen gegen die AfD wahrgenommen zu werden. In der AfD nennt längst nicht mehr nur ihr rechtsextremer Spitzenkandidat in Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, das BSW „die jüngste Altpartei“. Mit der CDU bereitet das BSW in Thüringen soeben eine Änderung der Geschäftsordnung des Landtags vor, um eine Landtagspräsidentin von der AfD als stärkster Partei zu verhindern.

Das belehrt die, die an der antifaschistischen Verlässlichkeit des Bündnis Sahra Wagenknecht zweifelten und über eine „Querfront“ unkten, eines Besseren – muss aber für künftige Wahlausgänge aus antifaschistischer Perspektive nicht das Beste versprechen. An der weiteren Verankerung der AfD ändert auch Woidkes Sieg in letzter Minute nichts – wovon schon die Erststimmenergebnisse in den Wahlkreisen zeugen, bei denen Hans-Christoph Berndts Partei insgesamt nahezu zehn Prozent hinzugewinnt. Einmal mehr weicht auf der entsprechenden Landkarte vom dominanten Blau in der Fläche nur im Westen ein kleiner Kordon um die größte Stadt (Potsdam) ab.

Wie spezifisch ostdeutsch solcherlei Ergebnisse tatsächlich sind, wird die nächste Bundestagswahl zeigen. Fände sie tatsächlich erst in einem Jahr statt und muteten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP der Republik noch ein weiteres Jahr Ampel-Koalition zu, könnten sie sich als wesentlich weniger spezifisch ostdeutsch erweisen als heute vielfach angenommen.