Immigration: Deutschland spart sich die Integration – dasjenige Beispiel Sachsen

„Jetzt weht ein anderer Wind“, soll die Leiterin einer Geflüchtetenunterkunft in Dresden zu den Bewohnern gesagt haben, und weiter: „Ihr müsst mal was zurückgeben.“ Geschildert haben das ein Politikwissenschaftler und ein Elektroingenieur, deren Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt sind und die zu dem Zeitpunkt in dem Haus untergebracht waren. Man sei daraufhin gedrängt worden, in 80-Cent-Jobs, wie sie in der Wäscherei und anderen Betrieben der Unterkünfte üblich sind, zu arbeiten und von den Wartelisten für die Integrationskurse genommen worden.

Das berichtet Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR). Weniger Qualifikations- und Ausbildungsmöglichkeiten, dafür unqualifizierte Jobs im Niedriglohnsektor und zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung von Geflüchteten: Das ist der Weg, den die Bundesregierung einschlägt, vor allem auch mit ihrer Haushaltspolitik.

Mehr Geld für Beschleunigung von Asylverfahren

Weniger als die Hälfte des Geldes aus den Vorjahren sollten im neuen, gerade wieder zur Disposition stehenden Bundeshaushalt 2025 für Integrationskurse für Menschen im und nach dem Asylverfahren zur Verfügung gestellt werden. 500 Millionen werden angesetzt, anstatt wie im aktuellen Haushalt 1,1 Milliarden Euro. Eine Aufstockung im Bereich Migration und Integration ist nur für die Beschleunigung von Asylverfahren und die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vorgesehen, dessen Maßnahmen ab 2026 in Kraft treten sollen.

Das Bundesinnenministerium rechtfertigte die Kürzungen damit, dass man die Bedarfe noch nicht berechnet habe. Im Jahr 2022, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hatte sich die Teilnahme an den Integrationskursen auf gut 340.000 Teilnehmende verdreifacht, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Anfrage des Freitag mitteilt. 2023 war ein erneuter Zuwachs auf 360.000 Teilnehmende festgestellt worden. Aktuell stünden ausreichend Kursplätze in Deutschland zur Verfügung.

Lieber schlecht bezahlte Jobs

Dem widerspricht Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat: Drei Träger der Kurse aus Sachsen hätten berichtet, dass die Kursplätze bei Weitem nicht ausreichten. Das liege auch am hohen bürokratischen Aufwand und fehlenden Lehrkräften. Zwischen zwei Wochen und drei Monate müssten die Menschen nach ihrem Asylverfahren auf einen Kursplatz warten. „Es ist eine tote Zeit, in der sich für die Menschen nichts regelt“, so Schmidtke. „Das frustriert und hemmt die Motivation, in Deutschland teilzuhaben. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es extrem schwer, je länger sie aus dem Bildungsweg rausgefallen sind.“ Viele Menschen würden daher schlecht bezahlte Jobs ergreifen, um unabhängig vom Jobcenter zu werden und Geld an ihre Familien im Ausland senden zu können. Mangelnde Sprachkenntnisse führten dazu, dass die Menschen ihre Rechte nicht wahrnehmen könnten und ausbeuterische Arbeitsverträge unterschrieben.

Bereits Anfang des Jahres hatte das Jobcenter den sogenannten „Job-Turbo“ eingeführt, um Geflüchtete schneller in Arbeit zu bringen. Der SFR kritisierte bereits im Mai, dass man durch fehlende Qualifizierung und Missachtung individueller Berufsziele Geflüchtete immer weiter in die Prekarität treibe. Auch durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das Chancen-Aufenthaltsrecht machte die Ampelkoalition klar: Bleiben soll nur, wer billige Arbeitskraft zur Verfügung stellt.

Faktische Kürzung der Integrationsgelder in Sachsen

Integrationskurse bestehen unter anderem aus Sprachkursen, die nicht nur für die Arbeitsaufnahme, sondern auch die Teilhabe am Alltag essentiell sind. Wichtig für die Teilhabe sind zudem im ländlichen Raum auch Rechtsberatungsstellen und unabhängige Träger der Integrationsarbeit. Doch auch diese stehen aktuell unter Beschuss. Während der Haushaltskrise Ende vergangenen Jahres hatte sich die Bundesregierung für massive Kürzungen im Migrationsbereich entschieden: Um fast die Hälfte wurde das Geld für unabhängige Asylverfahrensberatungen, Migrationsberatungen und psychosoziale Zentren für Geflüchtete, die nach eigenen Angaben bereits davor nur einen kleinsten Teil der Bedarfe decken konnten, gekürzt. Fehlende Beratungsstellen bedeuten für die Schutzsuchenden einen erheblich eingeschränkten Zugang zu ihren Rechten. Im schlimmsten Fall kann das zu einer Abschiebung und massiven psychischen Problemen führen – obwohl die Person eigentlich ein Bleiberecht hätte.

Auch auf der Ebene der Bundesländer finden Kürzungen im Bereich der Integrationsarbeit statt. So mussten in Sachsen einige Vereine Anfang dieses Jahres bis zu drei Monate auf die Förderzusagen warten, obwohl der Förderzeitraum längst begonnen hatte. Die Träger berichten von Mitarbeiter-Entlassung und Schwierigkeiten, die Mieten zu bezahlen – eine faktische Kürzung der Integrationsgelder. Zudem sollte eine neue „Extremismus-Klausel light“ die politische Meinungsäußerung der Träger einschränken. Auch Anfang nächsten Jahres wird ein „Kahlschlag in der Integrationsarbeit“ erwartet, da auch im neuen Sächsischen Integrationsgesetz keine Gelder festgeschrieben sind.

Hinzu kommt eine Welle von Reformen im deutschen Ausländerrecht und auf EU-Ebene, so im Januar 2024 ein neues Abschiebe-Gesetz und Einschränkungen des Bezugs von Sozialleistungen für Geflüchtete. Es folgte ein Wettlauf um die Bezahlkarte. Die im April mit deutscher Zustimmung beschlossenen Reformen der Europäischen Asylsystems bezeichnete die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl als „historischen Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa“.

Nach dem Messerangriff in Mannheim

Nach dem Messerangriff in Mannheim forderte die Innenministerkonferenz Abschiebungen von strafrechtlich verurteilten Personen nach Afghanistan und Syrien – obwohl ihnen dort Lebensgefahr und Folter drohen. Im Juni hatte der Bundestag zudem ein Gesetz beschlossen, das es ermöglicht, Menschen ohne deutschen Pass, die pro-palästinensische Beiträge in den sozialen Medien teilen oder liken, unter dem Vorwurf der „Terrorverherrlichung“ auszuweisen. Auch Beschleunigungen des Asylverfahrens, wie sie für 2025 eingeplant sind, bedeuten in der Umsetzung den Abbau der Rechte von Schutzsuchenden.

Indes sind im Haushalt mit rund 7,1 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des Etats des Bundesinnenministeriums für Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Feuerwehren und Rettungskräfte eingeplant. Man wolle den Fokus auf „den Schutz vor Kriminalität, vor Extremismus, vor Cyberattacken und anderen inneren und äußeren Bedrohungen“ setzen, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Sozialdemokratin zeigte sich erfreut über diesen „echten Sicherheitshaushalt“. Man setze „die richtigen Prioritäten in diesen rauen Zeiten“.

Getrieben vom nationalistischen bis hin zum faschistischen Populismus der AfD setzt die Ampel damit Gesetze zur Nutzbarmachung und Kontrolle Geflüchteter um. Die Sparpolitik im sozialen Sektor selbst könnte dabei den rassistischen Diskursen weiteren Aufwind geben. Der Umgang mit Migrant*innen und Geflüchteten dient als Blaupause für Kontrolle und Kürzungen in allen sozialen Sektoren – die CDU forderte bereits vor Monaten, die Bezahlkarte auch für Bürgergeld-Empfänger*innen bundesweit einzuführen.