Im Gespräch | „Berechtigtes Misstrauen gegen die Politik wird von Populisten in falsche Kanäle gelenkt“

Der Verein Lobbycontrol – Initiative für Transparenz und Demokratie wurde 2005 mit dem Ziel gegründet, Lobbyismus in Deutschland transparenter zu machen. Seitdem klärt der Verein über Einflussnahme auf politische Entscheidungen auf und kritisiert problematische Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft. In diesem Zusammenhang auffallend problematisch: die neue schwarz-rote Regierung.

der Freitag: Frau Deckwirth, inwiefern ist Lobbyismus eine Gefahr für die Demokratie?

Christina Deckwirth: Es kommt darauf an, was wir darunter verstehen. Lobbyismus im Sinne einer Interessensvertretung ist absolut notwendig für eine Demokratie. Es ist wichtig, dass sich Politikerinnen und Politiker mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren austauschen und nicht in ihrem stillen Kämmerlein Entscheidungen treffen.

Trotzdem ist der Begriff sehr negativ belastet. Warum?

Weil mitschwingt, dass Lobbyinteressen sehr ungleich verteilt sind. Es sind vor allem wirtschaftliche Akteure, die viel mehr Möglichkeiten haben, über Geld und Netzwerke Einfluss zu nehmen. Umweltverbände, Sozialverbände oder auch kleine Initiativen, die sich zum Beispiel zum Thema Mieterschutz engagieren, stehen dieser mächtigen Konzernlobby gegenüber. Dank des noch vergleichsweise jungen Lobbyregisters wissen wir, dass 81 der größten 100 Lobbyakteure aus der Wirtschaft kommen und nur sieben Nichtregierungs- oder zivilgesellschaftliche Organisationen sind. Interessenvertretung ist zudem häufig intransparent. Für Bürgerinnen und Bürger ein Problem, weil sichtbar sein muss, wer in welcher Form auf die Politik Einfluss nimmt. Einseitiger und intransparenter Lobbyismus befördert unausgewogene Entscheidungen zugunsten der Mächtigen – das ist sehr wohl eine Gefahr für die Demokratie.

Die Folge: Bürger:innen haben das Gefühl, dass die Politik nicht ihre Interessen vertritt.

Absolut. Wir merken, dass das Thema Lobbyismus wirklich sehr viele Menschen empört und bewegt. Und das führt natürlich dazu, dass viele das Vertrauen in die Politik verlieren, wenn sie es immer wieder so wahrnehmen, dass nicht Politik für ihre Interessen gemacht wird, sondern für Konzerne. Das wird von populistischen Parteien, gerade vom rechten Rand, wie von der AfD ausgenutzt, um dieses Misstrauen in die Politik auf bestimmte Akteure wie zum Beispiel NGOs umzulenken. Dabei blenden rechte Akteure komplett aus, dass die eigentliche Lobbymacht bei Konzernen und teilweise einzelnen Superreichen liegt. Das berechtigte Misstrauen gegen die Politik wird also in falsche Kanäle gelenkt und damit die Demokratie insgesamt angegriffen und weiter zerstört. Hier ist es für alle demokratischen Kräfte wichtig, hinzuschauen und genau zu benennen, wo die eigentlichen Probleme liegen und eine Politik zu machen, die die Interessen der Menschen berücksichtigt.

Die CDU geht da aber gerade in die entgegengesetzte Richtung.

Es ist gerade sehr sichtbar, wie sich die CDU von wirklich antidemokratischen Kräften treiben lässt. Die Anfragen der CDU zu den NGOs beispielsweise dienen nicht einem Erkenntnisinteresse, sondern ihrer Diffamierung. Zivilgesellschaftlichen Organisationen wird vorgeworfen, sie würden von der Politik – insbesondere den Grünen in der Ampelregierung – gesteuert oder hätten sehr viel Einfluss auf diese. Ihre Methoden und Finanzierung werden zum Feindbild aufgebaut. Nicht alle NGOs bekommen öffentliche Gelder, aber einige eben doch, weil sie auch als Gegenmacht gegenüber der Übermacht der Konzernlobby agieren sollen. Andere zivilgesellschaftliche Instrumente, etwa Auskunftsrechte wie das Informationsfreiheitsgesetz, aber auch Klagerechte und Beteiligungsrechte sind Instrumente, die zivilgesellschaftliche Organisationen brauchen, um ihre Arbeit zu machen, und um als Korrektiv funktionieren zu können – diese werden angegriffen. Das ist dieselbe Methode wie die der AfD und total gefährlich. Da werden demokratische Grundstrukturen der Gesellschaft angegriffen. Zivilgesellschaftliche Akteure sind absolut wichtig, um Menschen für demokratische Prozesse zu interessieren, für Demokratien zu begeistern und Räume für Engagement zu schaffen.

War Lobbycontrol als Verein, der sich für Informationsfreiheit und Transparenz einsetzt, davon auch betroffen?

Durch diese 551 Fragen der Unionsfraktion zu NGOs ist das Thema sehr stark in die Öffentlichkeit gespült worden. Wir waren zwar nicht dabei, aber auch wir merken zunehmend, dass unsere Arbeit angegriffen wird, auch wenn wir es jetzt noch nicht auf die Titelseite der Bild geschafft haben.

Inwiefern?

Es hat sich etwa ein Verein gegründet, der sich Initiative Transparente Demokratie nennt und damit unserer Bezeichnung Initiative für Transparenz und Demokratie sehr ähnelt. Wichtig ist zudem, dass dieser Verein von PR-Beratern gegründet wurde, die etwa Unternehmen aus der Chemiebranche beraten. Zu den Gründungsmitgliedern zählt außerdem der Leiter der Corporate Communications vom Chemie- und Pharmakonzern Bayer und Vertreter der arbeitgeberfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die immer wieder durch fragwürdige Kampagnen zugunsten von Konzerninteressen auffällt. Die Initiative Transparente Demokratie ist ganz klar Teil der Diffamierungskampagne gegen NGOs, gibt sich aber nach außen als unabhängiger Verein. Die Methode, vermeintlich unabhängige Bürgerinitiativen als Deckmantel für Geschäftsinteressen zu gründen, ist uns als Lobbystrategie schon länger bekannt. Nun wird das auch mit unseren Themen versucht. Wir stören offenbar manche durch unsere Arbeit, die intransparente und gemeinwohlschädigende Einflussnahme sichtbar macht.

Hat sich an der Arbeit von Lobbycontrol etwas verändert, seit die schwarz-rote Regierung im Amt ist?

Ja, auf jeden Fall. Das fing schon während der Koalitionsverhandlungen an. Personen mit Lobbyverbindungen, beispielsweise in den Bereichen Landwirtschaft oder Verteidigung, waren daran beteiligt. Als dann die Regierungsmitglieder ernannt wurden, zeigte sich auch, dass verschiedene Personen mit starken Interessenskonflikten Teil der Regierung sein werden.

Hat es das zuvor schon einmal gegeben?

Dass ein Bundeskanzler mit so einer starken Verbandelung mit Wirtschaftsinteressen in ein Regierungsamt kommt, ist schon neu. Zwar ist auch Olaf Scholz mit dem Cum-Ex-Skandal gestartet und war in eine Lobby-Affäre involviert, aber bei Friedrich Merz ist es auffällig, weil er vorher tatsächlich als Lobbyist gearbeitet hat, unter anderem für den Vermögensverwalter Blackrock.

Sollten wirtschaftserfahrene Menschen gar nicht in die Politik wechseln?

Wir sind gar nicht dagegen, dass Menschen von der Wirtschaft in die Politik wechseln. Es kann durchaus gut und hilfreich sein, wenn Leute aus der Praxis in die Politik kommen und Erfahrung aus einer anderen Lebenswelt mitbringen. Es wird aber problematisch, wenn das eigene oder das Geschäftsinteresse des vorherigen Arbeitgebers sich mit dem Amt überschneidet. Das sehen wir insbesondere bei Katherina Reiche. Sie kommt aus einem Energieunternehmen, das Geschäftsinteressen im Bereich Gas hat. Als Wirtschafts- und Energieministerin ist sie jetzt genau für diesen Bereich zuständig. Wie sich schnell gezeigt hat, vertritt sie politische Maßnahmen, die im Interesse ihres früheren Arbeitgebers sind.

Merz, Weimer, Reiche: Sie alle hatten zuvor eine Funktion im Wirtschaftsrat der CDU.

Der Wirtschaftsrat der CDU ist ein Lobbyverband, trotz seines Namens, denn er ist formal überhaupt nicht mit der CDU verbunden. Ein Verband, der außerhalb der CDU organisiert ist, in dem Unternehmerinnen und Unternehmer Mitglieder sind und der Lobbyarbeit für ihre Unternehmensinteressen macht. Herr Merz war dort lange in zentralen Funktionen tätig, zunächst als Schatzmeister, später als Vizepräsident. Auch Frau Reiche hatte eine Funktion im Wirtschaftsrat, genau wie Patrick Schnieder, der jetzige Verkehrsminister.

Minister:innen mit Interessenkonflikten und ein eigener Lobbyverband – hat die CDU ein besonderes Lobbyproblem?

Die CDU hat als bürgerliche Partei mit einer gewissen Wirtschaftsnähe schon sehr starke Lobbyverbindungen. Es war sehr auffällig, dass es immer wieder Lobby-Skandale gab, in die die Union, sowohl CDU als auch CSU, verwickelt waren, wie zum Beispiel die Maskenaffäre von Jens Spahn. Aber die SPD ist da überhaupt nicht ausgenommen. Gerade wenn man sich die Verbindung zur Gaslobby anschaut, die deutsch-russischen Netzwerke. Vor kurzem ist der frühere Bundestagsabgeordnete der SPD, Bengt Bergt, zu einem zentralen Gaslobbyisten geworden. Aber in der neuen Bundesregierung ist es tatsächlich so, dass das kritische Personal vor allem auf der CDU-Seite ist.

Würde Schwarz-Rot das Thema Lobbyismus und Transparenz angehen: Was schlagen Sie vor?

Einiges: Regierungsmitglieder müssen bisher etwa ihren Aktienbesitz nicht offenlegen. Bei der Parteienfinanzierung gibt es keine Obergrenze und institutionell müsste auch viel verbessert werden. In Frankreich gibt es praktisch eine Behörde für Lobbyüberwachung. In Deutschland gibt es lediglich ein Lobbyregisterreferat, das ist aber – genau wie die Überwachung der Parteienfinanzierung – beim Bundestag angesiedelt. Bei beiden stellt sich die Frage, wie unabhängig sie sind. Für die Aufsicht der Parteienfinanzierung ist jetzt die ehemalige Schatzmeisterin der CDU, Julia Klöckner, als Bundestagspräsidentin zuständig. Dann gibt es im Lobbyregister Ausnahmen: Akteure, die sich beispielsweise nicht eintragen müssen. Im Bereich Konzernmacht braucht es starke Regeln, um ihre Lobbymacht einzuschränken. Und wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und Maßnahmen, die diese stärker schützen.

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Wie viel Einfluss haben Business-Interessen auf die Politik? Diese Frage ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte von Schwarz-Rot noch virulenter. Immerhin war Bundeskanzler Friedrich Merz bis 2020 als Blackrock-Lobbyist tätig – und in den USA sitzt gleich ein Milliardär im Weißen Haus.

In unserer mehrteiligen Serie „Regiert uns die Wirtschaft? schauen wir auf die Situation in Deutschland, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt. Was hilft wirklich gegen die „stille Übermacht“ des Lobbyismus?

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Christina Deckwirth (geboren 1978) ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Seit 2011 arbeitet sie bei Lobbycontrol, Schwerpunkt: Klima. Auf die Frage, was „das Unverschämteste“ sei, das sie aufgedeckt habe, sagte sie 2022 dem Spiegel: den Lobbyismus des Glyphosat-Herstellers Monsanto