Home Office: Ich bin selbst Raum genug

Mein Tisch in der Ecke, mein Platz am Fenster, da sitze ich
und schreibe. Schön ist er nicht, aber hell immerhin.

Zu klein, zu nah am Bett, zu nah an den Kindern, zu nah an
allem, was Geräusche macht, mich an das erinnernd, was unerledigt ist und lange
unerledigt bleiben wird. Zu dicht am Alltag, zu sehr in meinem Leben, der Tisch
steht so, dass mich jeder sehen kann, aus dem Flur schon, wenn die Tür
offensteht. Man muss gar nicht erst hereinkommen.

Wie schreibst Du, fragen die, die sich dafür interessieren. Jeden
Tag? Immer zu einer bestimmten Zeit? Und wo: zu Hause? In einem Büro? Ja, jeden
Tag, antworte ich ihnen, fast jeden Tag, meistens am Vormittag, und ja, zu Hause.
Wenn alle anderen weg sind, geht es, dann lässt es sich in Ruhe schreiben, im
Wohnzimmer, an einem kleinen Tisch, rechts von mir das Fenster. Die Fragenden nicken
verständnisvoll, neigen den Kopf ein wenig zur Seite, ist das Mitgefühl? Ich
sehe ein, dass man so eigentlich nicht arbeiten kann: im Wohnzimmer, keine zehn
Schritte vom Bett entfernt. Hier gibt es kein Zimmer für mich allein, keines nur
zum Schlafen. Hier gibt es ein Zimmer für alles, fürs Schlafen und
Beieinandersitzen, Arbeiten und Spielen, wenn auch niemand spielt, jedenfalls
nichts, wozu man eine Schachtel aus dem Schrank nehmen und Figuren auf einem
Brett aufstellen müsste. Es ist ein Glück, dass hier nicht noch mehr stattfinden
muss. Es gibt ein Bad, eine Toilette und eine Küche, die so groß ist, dass zehn
Stühle um den Tisch passen. Dort kann man Hausaufgaben machen, Zoom-Meetings
abhalten, schreiben eher nicht. Ich schreibe in der Ecke, wo sich Staub und
tote Fliegen sammeln.

Hier, fragen die anderen und lächeln, ihre
Verblüffung aber bleibt. Ja, sage ich, ich weiß. Also, wenn ihr etwas hört,
wenn ihr etwas wisst, wenn ihr jemanden kennt. Und sie hören und sie wissen,
denn sie kennen Leute mit Büros, sie haben selbst welche und schätzen die
Vorzüge eines eigenen Schreibzimmers. Vorzüge gibt es mehr als genug und ich
stelle mir vor, wie es wäre, ein Zimmer ganz für mich zu haben. Es hätte eine
Tür, die ich am Morgen auf- und am Nachmittag wieder abschließen könnte, die
Arbeit bliebe dort und würde brav warten auf den nächsten Tag. Mein Büro hätte
ein schönes Fenster mit herrlichem Ausblick, sogar der Fensterrahmen wäre schön
und auch das Fensterbrett. Muscheln könnte ich darauflegen, einen runden Stein
oder einen Klumpen Ton, den eines der Kinder geformt hat. Vielleicht wären dort
sogar Kolleg:innen zum Kaffeetrinken.

Das eine ergibt das andere und einen Monat lang kommt zu
meinen Wohnungsschlüsseln ein neuer hinzu, einer für dieses Büro mit großem
Tisch und schönen Fenstern, die sich zur Straße öffnen. Nebenan liegt eine
Buchhandlung, in der es immer Kaffee für mich gibt, und nur ein paar Häuser weiter
wohnt meine Freundin. Alle paar Minuten kommt die Tram vorbei und füllt die
Fenster gelb aus. Im Büro steht Selbstgebautes und Selbstgemachtes, die Wände
voller Bücher und Bilder, hier gibt es Pinsel, Stifte, Pflanzen und ein
Bänkchen in der Sonne. Meinen Freund:innen schicke ich Fotos von mir am Tisch, von
mir am Fenster, von mir neben den Pflanzen. Ich verabrede mich mit ihnen auf
einen Kaffee in der Buchhandlung nebenan. 

Und arbeite am nächsten Tag doch wieder zu Hause. Ich schreibe wie immer nach dem Aufstehen, sobald alle aus dem Haus
gegangen sind, und auch wenn niemand irgendwohin geht, fange ich an zu
schreiben, halte fest, was mir durch den Kopf gegangen oder beim Radiohören
eingefallen ist. Es schreibt sich leichter, wenn schon etwas dasteht, was ich löschen,
umschreiben und neu schreiben kann. 

Am folgenden Morgen schreibe ich mehr, als
ich mir vorgenommen habe, es gibt keinen Grund, noch ins Büro zu fahren. Auch
an den Tagen darauf geht das Schreiben gut, ich sitze in der Ecke und komme voran,
nicht besser als sonst, nicht schlechter, so, dass es sich gerade richtig
anfühlt. Ich denke an mein Büro, das verschwendete Geld, die gelbe Tram, an das
Sollen und das Müssten und schreibe noch einen Absatz.

In der Woche drauf fahre ich am Mittwoch ins Büro, stelle
eine Tasse, eine Packung Tee, ein paar Äpfel und Kekse auf meinen Tisch. Papier
habe ich dabei, Stifte und ein Ladekabel fürs Handy. Den Laptop nicht, ich habe
schon in der Früh geschrieben. Weil ich nun hier bin, notiere ich ein paar
Sätze in meinen Block, die ich für nichts brauchen werde, aber ich bin ja
gekommen, um zu schreiben. Länger als zwei Stunden halte ich es nicht aus,
fahre nach Hause und schalte am Abend den Laptop noch einmal ein, ich will mir
den Text wenigstens kurz ansehen. Nach zwei Sätzen verfängt sich mein Blick im
ungemachten Bett, in dem Hemd, das jemand auf dem Sofa liegengelassen hat. Ich
lösche den letzten Satz und taste einer Erinnerung nach, einem Gefühl, ich horche
in mich hinein, probiere Worte aus, schreibe, lösche und lese mir leise vor,
was da nun steht und noch nicht erzählt, was ich sagen möchte. Ich lösche, tippe,
lese, probiere den Klang aus, lösche, schreibe und lass es stehen. Aus den zwei
Sätzen werden neun, wird ein Absatz, werden anderthalb Seiten.

Hier kann ich sitzen und die aufgeschlagene Bettdecke
anstarren, die anderen lärmen in der Küche und schlagen die Schranktüren zu, ein
Kind kommt herein und sucht etwas im Regal hinter mir, ich ziehe mich noch
weiter in mich hinein, rolle mich ein, schließe die Läden. Mittendrin und ganz
für mich schaffe ich mir meinen eigenen Raum, niemand stört und doch bin ich
beim Schreiben nicht einsam. Das Büro werde ich aufgeben. Zum Schreiben brauche
ich keins, ich bin selbst Raum genug. Für alles andere hätte ich gerne ein
eigenes Zimmer.