Hildegard Knef: Endlich Hilde Knef
Es lässt sich weder restlos nachvollziehen noch überzeugend vermitteln, wie hier bisher ohne erweiterte Kenntnisse über Hildegard Knef gelebt werden konnte. Die Nummer mit den roten Rosen war mir durchaus ein Begriff, nicht jedoch, was für eine elegante, erhabene, sich so wunderbar zum Vorbild eignende Frau sie doch war. Wie dumm, wirklich außerordentlich dumm, das nicht schon früher bemerkt zu haben, und nur wegen dieses permanenten Starrens auf die Gegenwart. Ganz normales Generationending also; die Knef ist ja schon 1925 geboren (happy Hundertster im Dezember!), und da muss jetzt ordentlich was nachgearbeitet werden: die frühen Jahre als Ikone des deutschen Nachkriegsfilms und der sich anschließende „Weltruhm“ bis nach Amerika, die mittleren Jahre als Chanson-Sängerin und Autorin sowie die späten mit dem neuen Gesicht. Das ist ganz schön viel für ein einziges Leben, aber der Dokumentarfilm Ich will alles von der Schweizer Regisseurin Luzia Schmid bietet einen herrlich übersichtlichen Einstieg. Oder eine ehrfürchtige Erinnerung, sollte das alles längst bekannt sein.
In diesem Film blickt und spricht die 2002 verstorbene Hildegard Knef dem Zuschauer vorzugsweise direkt in die Seele hinein – durch ihre dunkel geschminkten, mit dichten Wimpern beklebten Augen, die stets wissen, wo die Kameralinse gerade hinhält, und durch ihre so klugen und präzise formulierten Sätze: „Das Leben schuldet uns nichts als das Leben, und alles andere haben wir zu tun.“ Von dem Getanen und Erlebten erzählen Aufnahmen ihrer Auftritte, Ausschnitte aus Interviews und Zitate aus Knefs autobiografischen Büchern. Sie, von rasendem Ehrgeiz angetrieben und zu endloser Arbeit bereit, gibt darin maximal ehrlichen und reflektierten Zugang zu ihrem Innersten. Über das Außen berichten unterdessen die wahlweise jubelnden oder vernichtenden Pressestimmen von damals sowie Christina Gardiner, ihre Tochter aus zweiter Ehe, und ihr dritter Ehemann Paul von Schell. Sehr liebevoll, aber keineswegs unkritisch blicken sie auf Hildegard Knef und die mit ihr verbrachte Zeit zurück.
Als Leitmotiv dieser irren Biografie wählt Luzia Schmid das Überleben: den Krieg; die Skandale (wenige Sekunden nackte Brust in dem Film Die Sünderin von 1951, eine Beziehung zu einem verheirateten Mann); die Karriereknicke (fehlende Aufträge, schlechte Filme, um Geld betrügende Angestellte) und die persönlichen Niederlagen (Scheidungen, Krankheiten). Die liebste Frage der Interviewer dieser Zeit, sollten sie nicht gerade mit dem Versuch einer Charakterisierung dieser überaus widersprüchlichen Frau beschäftigt sein, scheint es gewesen zu sein, ob sie sich schon einmal umbringen wollte oder zumindest vorstellen kann, es noch zu tun. Und natürlich beantwortet Hildegard Knef auch diese Frage. „Bekenntnisblöde plappere ich allzeit präpariert, mich plündern zu lassen“, sagt sie an anderer Stelle im Film. Aus der Gegenwart kommend sind solche Unterhaltungen unvorstellbar; dass damals überall und permanent geraucht wurde, aber auch.
Nach 98 Minuten Dokumentarfilm nun so richtig in diese neu entdeckte Welt eingestiegen und neugierig auf weitere sogenannte Inhalte, liefert mir das Internet dankenswerterweise viele weitere tolle Sätze und Szenen dieser charmant bösartigen, zu lakonischem Witz neigenden Knef: Von Wolfgang Korruhn eher besorgt auf ihre Mastektomie angesprochen, sagte sie 1990 weiterhin rauchend, dass sie vielleicht doch mehr ausmache als nur ihr Busen, und „wenn man ihn jeden Tag auch auf sämtlichen Zeitungen auf der ersten Seite sieht, dann wird er ja doch ein bisschen langweilig; da findet man es beinahe schön, ihn nicht zu haben“. Als Wolfgang Menge ihr 1985 nicht so recht zuhören wollte, ließ sie ihn das Etikett einer Wasserflasche vorlesen. Es ist ein Riesenspaß. Und Hildegard Knef eine außerordentliche, bewundernswerte Frau – ambitioniert, selbstsicher bestimmend, aber zur Verletzlichkeit bereit. Sie war ihrer Zeit so dermaßen voraus; die Gegenwart könnte nun für sie bereit sein.