Haushalt: „Die Situation welcher Ukraine hat nichts mit einer Notlage zu tun“ – WELT

Geht es nach Annalena Baerbock (Grüne), liegt die einfachste Lösung im Haushaltsstreit zu nah: Die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP setzen mit ihrer Kanzlermehrheit erneut die Schuldenbremse aus. Ein Grund, um wieder eine „außergewöhnliche Notsituation“ auszurufen, ist für die Außenministerin mit dem andauernden Ukraine-Krieg gegeben.

„Welch größere Notlage sollte es geben als diesen Krieg mitten in Europa? Es wäre fatal, in ein paar Jahren sagen zu müssen: Wir haben die Schuldenbremse gerettet, aber dafür die Ukraine und die europäische Friedensordnung verloren“, sagte Baerbock der „Süddeutschen Zeitung“. Im Mai hatte schon der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter gefordert, eine Haushaltsnotlage zu erklären. Die Aussetzung der Schuldenbremse sei gerechtfertigt, da die Ukraine dringend mehr Unterstützung brauche.

Auch für Anja Piel, Parteimitglied der Grünen und Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, geht an einem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse „kein Weg vorbei“, um den Haushalt zu retten. Wobei es ihr weniger um sicherheits- als um sozialpolitische Themen geht. Weitere Sanktionsmöglichkeiten für Bürgergeldbezieher in der Hoffnung, dadurch Ausgaben zu sparen, sieht sie skeptisch.

Solche Schuldenbremsenvorstöße sind nicht neu. Schon nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vergangenen November zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) sahen gerade Politiker der Grünen und der SPD in der erneuten Aussetzung der Schuldenbremse ein geeignetes Mittel, um auf keine Ausgaben verzichten zu müssen.

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Die Überlegung dahinter: Wenn das Geld für die Ukraine aus einem schuldenfinanzierten Notlagen-Topf kommt, stehen im eigentlichen Bundeshaushalt mehr Mittel für andere Projekte bereit – beispielsweise für Soziales, Klima und Entwicklungshilfe. Doch das wird schwierig bis unmöglich.

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Denn genau das wollen nicht nur Finanzminister Christian Lindner und seine FDP politisch verhindern. Dem steht auch der Fakt entgegen, dass durch eine Aussetzung der Schuldenbremse jetzt keine Lücke im Bundeshaushalt 2025 geschlossen werden kann. Das machten die Richter des Verfassungsgerichts in ihrem Urteil im Herbst klar. Möglich wäre es, durch einen erneuten Notlagen-Beschluss die erwarteten Löcher im Haushalt 2024 zu stopfen. Auch dort fehlen wegen höher als erwarteter Ausgaben wahrscheinlich Milliarden, unter anderem für Ökostrom-Förderung, Bürgergeld und Verteidigung.

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Ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse dürfte aber vor allem durch das Grundgesetz verhindert werden. Namhafte Verfassungsrechtler halten es für schwierig bis unmöglich, eine gerichtsfeste Begründung für das Ausrufen einer erneuten Notlage zu finden. Das zeigt eine WELT-Umfrage.

„So schwierig die Situation der Ukraine gegenwärtig auch ist, so hat dies nichts mit einer Notlage zu tun, die sich in die verfassungsrechtlichen Kategorien der Haushaltsnotlage einfügen lässt“, sagte Kyrill-Alexander Schwarz von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die militärisch prekäre Lage sei absehbar gewesen und beruhe auch auf dem zögerlichen Verhalten der Bundesregierung. Auch bei der Schwäche der militärischen Verteidigung in Deutschland handele es sich um kein unvorhergesehenes Ereignis, das sich der Kontrolle des Staates entzogen habe.

Verfassungsrechtler Kube sieht Grenzen für die Politik

Entscheidend ist Artikel 115 des Grundgesetzes. Darin heißt es, dass die Kreditobergrenzen der Schuldenbremse „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, überschritten werden könnten.

Auch Hanno Kube, Verfassungsrechtler an der Universität Heidelberg, leitet daraus Grenzen für die Politik ab. „Notlagenkredite dürfen nur dann aufgenommen werden, wenn sich der Mittelbedarf schockartig auf die Haushaltslage auswirkt“, sagte der Mann, der im Vorjahr einer der Prozessbevollmächtigten der CDU/CSU-Fraktion bei der erfolgreichen Klage in Karlsruhe war.

Die Notlagenkreditaufnahme diene dann zur Abfederung des Schocks. Der Krieg in der Ukraine habe zwar erhebliche Konsequenzen für den Bundeshaushalt, so Kube weiter. „Doch sind diese Bedarfe seit Langem bewusst und können in die Haushaltsplanung aufgenommen werden“, sagte der Jurist.

Auf die zeitliche Komponente verwies auch Alexander Thiele, Professor an der Business & Law School in Berlin. Das Bundesverfassungsgericht verlange einen engen Zusammenhang zwischen Notlage und konkreten finanziellen Folgen, die zu ihrer Behebung notwendig sind. „Und da käme es jetzt entscheidend darauf an, ob es der Regierung gelingt, konkrete finanzielle Herausforderungen in dieser Form mit dem Ukraine-Krieg mehr oder weniger direkt zu verknüpfen“, sagte Thiele, der die Bundesregierung bei der Klage in Karlsruhe vertrat.

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Eine solche Begründung sei „nicht trivial, zumal die Anforderungen steigen, je länger der eigentliche Auslöser zeitlich zurückliegt“, sagte er. Warum es sich auch mehr als zwei Jahre nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch um ein plötzliches und unerwartetes externes Ereignis handelt, müsse „sehr konkret“ dargelegt werden, es reiche nicht, pauschal „auf den Krieg“ abzustellen.

Aus Thieles Sicht lässt die enge Auslegung der Schuldenbremse durch das Verfassungsgericht außerhalb von selbstständigen Sondervermögen wie dem für die Bundeswehr kaum noch Spielraum. Da ein selbstständiges Sondervermögen direkt im Grundgesetz verankert werden muss, bräuchte die Ampel-Regierung auch dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat – genauso wie für eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse. Beides ist in dieser Legislaturperiode nicht in Sicht.

Source: welt.de