„Hagen – Im Tal jener Nibelungen“: Die Tragik des Treuen – WELT
Die deutscheste aller Sagen kam schon oft ins Kino. In der Neuverfilmung steht statt Siegfried, dem Drachentöter, der vermeintliche Finsterling Hagen im Mittelpunkt. Aktualisiert wird nichts. Und das ist nicht die einzige Lücke in der Legendenerzählung.
Es ist jetzt – die älteren Bildungsbürger unter uns werden sich erinnern – 32 Jahre her, da beging der Komödiant Loriot einen eigentlich geradezu ungeheuren Frevel. Er stellte sich hin im Mannheimer Musensaal und erzählte die Geschichte von Richard Wagners Opernvierteiler „Der Ring des Nibelungen“ (Netto-Spielzeit: ungefähr 15 Stunden) an einem Abend (Netto-Spielzeit: ungefähr zweieinhalb Stunden).
In Loriots lustiger kommentierter Playlist waren alle Hits von Wagner drin und sämtliche Schlüsselreize der größten aller Germanensagen – Riesen, Götter, Drache, Schatz, Zwerg, Ring, Held und Untergang. Man konnte sich das Absitzen der eigentlich vier Abende sparen, wollte es aber am Ende gar nicht, weil Loriot jeden einigermaßen ergebnisoffenen Nicht-Wagnerianer mit dem Bayreuth-Virus infizierte.
Jetzt müssen wir schnell vom Grünen Hügel ins Tal der Nibelungen kommen, vom Musen- in den Kinosaal. Zu „Hagen“. So heißt der Film, den Cyril Boss und Philipp Stennert nach Wolfgang Hohlbeins Fantasy-Roman gedreht haben und in dem ausnahmsweise nicht Wotan, nicht Alberich und nicht der blonde Drachentöter im Zentrum steht, sondern der Chef-Finsterling der Germanensage Hagen, der legendäre Siegfried-Mörder mit Augenklappe.
Bevor nun einer auf die Idee kommt, diese Perspektivverschiebung für einen revolutionären Akt der Mythenverwaltung zu halten, muss eingeschoben werden, dass sich die Wormser Nibelungen-Festspiele des ehemaligen Ufa-Chefs und Seriengottes Nico Hofmann genau daran seit Jahren abarbeiten.
Da drehte sich die mittelalterliche Gemetzelmär auch schon mal um Kriemhild, des Drachentöters Witwe, oder um Dietrich von Bern, der in diesem Jahr auf der Wormser Bühne als Chefdiplomat im neuen Drama von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel die finale Eskalation am Burgunderhof verhindern soll.
Wer nun schon beim Hohlbeinschen Ansatz den Wokismus in seiner regenbogenfarbenen Feministen-Rüstung durchs Rheintal reiten sieht, sei beruhigt. „Hagen“, der Film, hält sich jeglicher Aktualisierung (und von Wagner und vom Verdacht der Germanenhuldigung) so fern, wie es Gunther, der König von Burgund, von Brunhild, der mächtigen Islandmaid, auch besser getan hätte.
Ein Recke ohne Fehl und Tadel
Aber vielleicht erzählen wir die Geschichte von „Hagen“ mal in Loriotscher Kürze. Hagen von Tronje ist der treueste Vasall des Burgunder-Regenten Gunther. Dessen Vater hatte ihn als Waisenkind aufgenommen, nachdem der letzte verbliebene Drache ihn gerettet hatte, nachdem Hagens Stadt und Familie durch „Alte Wesen“ ausgelöscht worden waren. Hagen dient ohne Fehl und Tadel als Waffenmeister und Chefstratege, den das Reich der Burgunder braucht, weil es von allen Seiten, vor allem aber aus dem Osten angegriffen wird.
Er stellt sich selbst zurück. Auch Kriemhild gegenüber, Gunthers Schwester, die er liebt. Hagen ist in eigentlich allem das finsterblickende, aber grundsympathische Gegenstück zu Wagners Recken – „frühalt, fahl und bleich, hass’ ich die Frohen, freue mich nie“. Und dann kommt Siegfried von Xanten mit seiner wilden Truppe in Worms an. Der Mann, der den letzten Drachen tötete, unverwundbar ist bis auf eine Stelle an der Schulter, nachdem er im Drachenblut badete, und im Bund ist mit den „Alten Wesen“.
Siegfried stört von Anfang an, einer, der sich nicht im Griff hat, sich an keine Regeln hält. Es kommt, wie es in der Sage steht. Eine mörderische Mechanik der Abhängigkeiten und menschlichen Dilemmata wird in Gang gesetzt. Kriemhild wird Siegfried – aus dynastischen Gründen und weil sie den Rockstar-Ritter liebt – angetraut. Der soll dafür helfen, die männermordende, übermächtige Brunhild für Gunther gefügig und damit ihre Schildmaid-Armee als Verstärkung fürs Burgunderheer zu gewinnen.
Am Ende liegt Siegfried durchbohrt im Rücken Kriemhild zu Füßen. Ein Mörder gesteht. Bevor es zu Kriemhilds Rache kommt, ist Schluss mit „Hagen“. So wollte es ja schon Wolfgang Hohlbein.
Dafür, dass Cyril Boss und Philipp Stennert mit einem Bruchteil des schönen Geldes auskommen mussten, das „Game of Thrones“ gekostet hat, sieht „Hagen“ sogar durchaus ordentlich aus (Pfälzer sollten allerdings besser nicht hinschauen, Worms ist in „Hagen“ eine Fantasiestadt, die eine billige KI auf die Hügel überm Rhein halluziniert haben muss). Es wird eifrig und schön choreografiert gekämpft. Der Blutverlust hält sich in Grenzen, um die FSK-Grenze von 12 nicht zu gefährden.
Psychologie findet keine statt. Gijs Naber hält sich als Hagen wacker, Jannis Niewöhner macht alles, was er schon als testosterongestörter Goldmund in Stefan Rusowitzkys entsetzlicher Hesse-Verfilmung getan hat. Der Einsatz von Jördis Triebel und Jörg Hartmann könnte als eine der größten Schauspieler-Ressourcenverschwendungen der jüngeren Kinogeschichte eingehen.
Was, wie alles andere Lückenhafte und Unbefriedigende an diesem Film – und jetzt müssen wir zu Loriot zurückkommen – vielleicht daran liegt, dass „Hagen“ (Netto-Spielzeit: 135 Minuten) die ziemlich unlustige Playlist der hoffentlich schönsten Stellen der „Hagen“-Serie (Nettospielzeit geschätzt fünfeinhalb Stunden) ist, die im kommenden Jahr bei RTL+ läuft. Bis dahin muss man Hohlbein lesen. Oder Wagner hören.
Source: welt.de