Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik: Lindner beklagt nachher Veröffentlichung seines Papiers „Indiskretion“

FDP-Parteichef Christian Lindner beklagt „eine Indiskretion“, nachdem sein Grundsatzpapier über eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik öffentlich geworden ist. Das 18-seitige Papier hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb Lindner in einer E-Mail an Parteifreunde, die auch ZEIT ONLINE vorliegt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe vergangene Woche seine Vorschläge zur Bewältigung der Herausforderungen inklusive eines kreditfinanzierten Sondervermögens öffentlich gemacht, schrieb Lindner. Mit seinem Papier schlage er „eine alternative Richtungsentscheidung für unser Land“ vor. „Wir werden im Gesamtkontext nun in Regierung und Koalition beraten.“

„Deutschland kann mehr als Durchschnitt“, schrieb Lindner weiter. Manche wollten das Blatt wenden, indem sie Wohlstand durch Umverteilung versprächen. „Sie erwecken den Eindruck, ein Staat ohne Schuldenbremse könne neues Wachstum kaufen. Dabei unterschlagen sie, dass Schulden Geld kosten“, schrieb der Finanzminister. Aus der Kanzlerpartei SPD waren wiederholt Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse gekommen.

Deutschland habe weder zu niedrige Steuern noch zu geringe Staatsausgaben, schrieb der FDP-Chef. „Eine neue Realpolitik muss vielmehr benennen, dass Deutschland sich einen Arbeitsmarkt leistet, der nicht Aktivität belohnt, sondern Untätigkeit toleriert.“ Deutschland habe das Kapital, um das Land zu modernisieren, seine Sicherheit zu stärken und Freiräume für einen neuen Aufschwung zu öffnen. „Wir setzen unser Kapital nur falsch ein.“ Die Wende sei dringlich geworden.

Kritik von der SPD-Bundestagsfraktion

Aus der SPD-Bundestagsfraktion kam deutliche Kritik zum Grundsatzpapier von Lindner. „Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben. Vor allem brauchen wir keine Opposition in der Regierung“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, dem Tagesspiegel.

Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid bezeichnete das Papier indes als „neoliberale Phrasendrescherei“. Lindner bleibe Antworten schuldig zu den drängenden Fragen, wie Industriearbeitsplätze über einen gesenkten Strompreis für energieintensive Branchen erhalten werden könnten, sagte Schmid dem Tagesspiegel. Und dort, wo Lindner konkret werde, sei das Papier „nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag„.

Miersch fordert Zusammenarbeit der Koalitionspartner

Der CDU-Politiker Mathias Middelberg wertete das Papier als „Ultimatum“ Lindners an die Koalitionspartner. Lindner setze „sich damit aber auch selbst unter Druck“, sagte Middelberg der Welt am Sonntag. Wenn es dem Minister nicht gelinge, bis zum Abschluss der Haushaltsverhandlungen Ende des Monats die Kernforderungen seines Konzepts durchzusetzen, müsse er „zwingend die Ampel-Koalition beenden“, sagte Middelberg.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch forderte die Koalition auf, für die Stabilisierung der Wirtschaft „konstruktiv und lösungsorientiert“ zusammenzuarbeiten. Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz riet Lindner, „nicht einen öffentlichen, unabgestimmten Überbietungswettbewerb an großteils nicht finanzierten Wohltaten“ zu beginnen.

In dem Papier distanziert sich der Bundesfinanzminister in Teilen von der Politik der Ampelregierung. Mit Blick auf den Bundeshaushalt will Lindner weitere Einsparungen. Unter anderem fordert er die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener. Zudem will Lindner einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen sowie einen Kurswechsel in der Klimapolitik. Es gehe um eine „teilweise grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden, schrieb Linder in seinem Positionspapier.