Gazastreifen: Israel will den Gazastreifen weiter unterteilen

Die Armee werde im Gazastreifen „einen Gang höher schalten“, erklärte Israels Premier Netanjahu Benjamin Netanjahu am Mittwoch. Was er angesichts der dort von Israel ohnehin wieder aufgenommenen Kämpfe meinte, war die offene Landnahme eines strategischen Teils des Gazastreifens: Im Süden soll das Militär einen weiteren Landkorridor einnehmen, die sogenannte Morag-Route. Sie ist benannt nach einer ehemaligen israelischen Siedlung, die sich bis 2005 zwischen Chan Junis und der Stadt Rafah befand, ehe sich Israel damals aus dem palästinensischen Küstenstreifen zurückzog. 

Bisher gibt es zwei relevante Korridore im Gazastreifen, den Philadelphi-Korridor zwischen Rafah und der Grenze zu Ägypten und den Netzarim-Korridor. Letzterer liegt ein gutes Stück weiter nördlich der Morag-Route, verläuft aber auch quer von der Grenze Israels bis zum Mittelmeer. Beide Korridore waren für Monate entscheidender Bestandteil der indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas.

Während der knapp zweimonatigen Waffenruhe hatte sich Israel von dem Netzarim-Korridor zurückgezogen, ein privates Sicherheitsunternehmen aus den USA hatte die Kontrolle übernommen. Als Israels Armee, die IDF, vor mehr als zwei Wochen dann wieder verstärkt mit Bodentruppen in Gaza einmarschierte, stand die Wiederaufnahme der Kontrolle des Netzarim-Korridors durch die IDF im Vordergrund.

Der Morag-Korridor würde Rafah vom übrigen Gazastreifen abtrennen

Mittels dieser Korridore kann Israel die Bewegungen der rund zwei Millionen Bewohnerinnen und Bewohner im Gazastreifen kontrollieren. Israels Armee erklärte dazu wiederholt, die Kontrollpunkte dienten dazu, Terroristen der Hamas, vor allem aber auch Waffenschmuggel zu stoppen. Der laut Netanjahu geplante Morag-Korridor würde die Stadt Rafah ganz im Süden vom übrigen Gazastreifen abtrennen.

In Rafah hatten nach Kriegsbeginn vor anderthalb Jahren Hunderttausende Zivilisten Zuflucht gefunden. Wie die israelische Zeitung Ha’aretz mit Verweis auf namentlich nicht genannte Militärquellen am Donnerstag berichtet, hat Netanjahu mit seiner öffentlichen Ankündigung die Armee „überrascht“. Wie es heißt, sei der „Plan noch nicht genehmigt worden und die Veröffentlichung könnte die Kräfte im Gazastreifen gefährden“. Zudem verlaufe die geplante Route teilweise durch ein als humanitäre Zone definiertes Gebiet.

Der Bericht der Ha’aretz beleuchtet ein Problem, das sich seit der Wiederaufnahme der Kriegshandlungen in Gaza stärker zeigt denn je: Der Gazastreifen ist überwiegend eine Blackbox. Zum einen gestattet Israels Armee internationalen Journalisten keinen Zugang. Zum anderen deuten sich wachsende Widersprüche an zwischen den Interessen der Armee und den politischen Interessen Netanjahus. Seit der Wiederaufnahme der Kämpfe werfen die Familien der 59 im Gazastreifen verbliebenen israelischen Geiseln dem Premier vor, den Krieg aus Eigennutz zu verlängern − und damit das Leben der Verschleppten zusätzlich zu gefährden. Wie Umfragen wiederholt zeigen, will mit etwa 70 Prozent der Israelis eine Mehrheit die Wiederaufnahme der Waffenruhe.

Aus Israels Verteidigungsministerium heißt es, durch die erneuten Kämpfe und die Kontrolle der Korridore soll auf die Hamas Druck ausgeübt werden. Allein: Seit Monaten werden die Stimmen lauter, die sagen, dass sich die Terrororganisation erstens nicht allein militärisch ausschalten lasse und zweitens alle militärischen Taktiken ohne politische Strategie nutzlos seien. „Es ist ein Klischee, aber es ist wahr: Die Hamas ist eine Ideologie. Die muss man mit etwas anderem bekämpfen“, sagte etwa Barbara Leaf, langjährige US-Diplomatin und Sicherheitsexpertin in der Regierung von Joe Biden, im Gespräch mit der Times of Israel bereits im Januar. Demnach hat es Netanjahu versäumt, eine politische Alternative zur Hamas in Erwägung zu ziehen, und sich allein auf den militärischen Ansatz beschränkt.