Garnisonkirche Potsdam: Nationalistisches Denkmal mit „Wow-Wahrzeichen“-Effekt

Die Breite Straße in Potsdam teilt zwei Lager. Auf der einen Seite hält jemand ein Pappschild hoch, auf dem die Buchstaben TNT stehen – Sprengstoff als Architekturkritik –, und als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus einem schwarzen Mercedes steigt, rufen sie: „Heuchler!“ Ein SUV fährt schnell vorbei, hupt, und der Fahrer zeigt den Protestierenden den Mittelfinger. Auf der anderen Seite ein paar Journalist*innen, die nicht zum Festakt hereingelassen wurden, sowie Bürger*innen Potsdams. Die Stimmung: angespannt.

Die Garnisonkirche, deren Turm an diesem Tag feierlich eingeweiht wurde, ist umstritten, schon lange. Aus der evangelischen Kirche und aus der Linken regte sich Widerstand. Das Gebäude liegt zwischen dem Museum Barberini – vor wenigen Jahren rekonstruiert – und dem Rechenzentrum aus DDR-Zeiten, heruntergekommen, aber genutzt, beispielsweise als Lernort zur Geschichte der Garnisonkirche, der mit einem wissenschaftlichen Beirat die Geschichte des Baus kritisch beleuchtet, aber nichts mit den Wiederaufbau-Bestrebungen zu tun hat.

Die Garnisonkirche als Gegenort zur Demokratie

Die von Johann Philipp Gerlach für den preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. entworfene Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und dann zu DDR-Zeiten abgerissen. Die Stiftung Garnisonkirche – unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und mit Unterstützung einer Fördergesellschaft – zeigt auf ihrer Website eine Timeline zur Geschichte der Kirche: Bau von 1730 bis 1735, Bombardierung 1945, Sprengung 1968.

Dazwischen ist aber noch viel mehr passiert. Die Kirche war auch der Ort, an dem die Soldaten gesegnet wurden, die in die deutschen Kolonialkriege Anfang des 20. Jahrhunderts gezogen sind. In der Weimarer Republik war sie ein Ort der Zusammenkunft für den Kyffhäuserbund und den Stahlhelm, beides Soldatenbünde, bald kam hier auch die NSDAP zusammen. Der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt nannte die Kirche den Gegenort zu Weimar, den Gegenort zur Demokratie.

Im März 1933 fand hier der Tag von Potsdam statt, der berühmte Handschlag von Reichspräsident Paul von Hindenburg und Adolf Hitler, der die Allianz der Konservativen und der Faschisten in Deutschland besiegelte. Im letzten Kriegsjahr wurde die Kirche ausgebombt, in der DDR wurde sie endgültig gesprengt, um Platz zu machen für das Rechenzentrum mit seinem um das Sockelgeschoss laufenden Mosaik, ein Symbol für den unaufhaltsamen technischen Fortschritt der SED-Republik.

Rekonstruktionsprojekte als Identitätsbildung

Die Garnisonkirche in Potsdam ist eins von vielen Rekonstruktionsprojekten in Deutschland, als würde, so sagte es Oswalt einmal, das Land nicht von einer Zukunft, sondern von einer alternativen Geschichte träumen, in der Deutschland nicht das Land der Täter, sondern der Opfer ist. Im wiedervereinigten Berlin galt die Maßgabe der kritischen Rekonstruktion, die ein homogenes, historisierendes Stadtbild herstellen sollte. Das Ideal für die Architektur war preußisch, als könnte Deutschland eine unproblematische nationale Identität vor der Nazizeit finden.

Eines der ersten Projekte dieser Art war wahrscheinlich das Goethe-Haus in Frankfurt am Main, das 1951 wiederaufgebaut wurde; danach kamen die Dresdner Frauenkirche, später das rekonstruierte Berliner Stadtschloss. Jährlich prämiert der Verein Stadtbild Deutschland Bauten, die entweder alten Gebäuden nachempfunden sind oder irgendwie traditionell alt aussehen. 2020 war es die Rekonstruktion des Berliner Schlosses, und wer weiß, vielleicht ist es in diesem Jahr der Turm der Potsdamer Kirche.

Die Vorgeschichten dieser Bauvorhaben ähneln sich. Die Idee beispielsweise zur neuen Altstadt von Frankfurt kam Ende der 1980er von Claus Wolfschlag, einem Abgeordneten der rechtsextremen Kleinpartei „Bürger für Frankfurt“, später wurde der Vorschlag von CDU und Grünen umgesetzt. Das Berliner Stadtschloss war dank der Unterstützung rechter Großspender möglich. Den Wiederaufbau der Potsdamer Kirche regte Max Klaar vom Verband deutscher Soldaten an. Der Oberstleutnant der Bundeswehr, der erst das Glockenspiel der Kirche nachbauen ließ und dann sechs Millionen Euro für den Wiederaufbau sammelte, wollte nicht, dass in der Kirche „Schwule getraut oder Kriegsdienstverweigerer beraten werden“. 2004 stufte der Verteidigungsminister Klaar und seinen Verband als rechtsextrem ein. Das rechte Magazin Compact begrüßte den Wiederaufbau, die AfD-Fraktion im brandenburgischen Landtag forderte Bundesmittel für die Rekonstruktion.

„Hell, nüchtern und modern wirkt alles hier“, sagt Bundespräsident Steinmeier bei seiner Festansprache, und es stimmt, der 57 Meter hohe Barockbau mit seinem klassizistisch klaren Tympanum und den strengen vertikalen Linien, die den Blick nach oben ziehen, ist elegant, aber nicht zu sehr. Der Kirchturm ist nicht nur ein nationalistisches Denkmal, er soll auch Touristen anlocken – die Stiftung nennt das ein „Wow-Wahrzeichen“. Bei seiner Rede gelingt Steinmeier ein rhetorisches Kunststück. Denn seine Ansprache ist so ausgewogen, dass er auf der einen Seite alle Widersprüche dieses Baus erodiert. Auf der anderen Seite wendet er sich gegen jeden Geschichtsrevisionismus. „Ein Ort, der nicht mehr da ist, würde das kritische Erinnern auch nicht leichter machen“, sagt er, und eine Ausstellung soll sich mit der Geschichte des Ortes auseinandersetzen. Bloß eine Sache fällt dabei unter den Tisch, nämlich wessen Projekt hier eigentlich umgesetzt wird.