Friedrich Merz: Die Muss-weg-Opposition

Mal tritt die CDU unter Friedrich Merz staatstragend und konstruktiv auf, dann populistisch und scheinbar destruktiv. Macht sie es sich in der Opposition zu einfach?

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Friedrich Merz

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Oppositionschef Friedrich Merz auf dem CDU-Parteitag in Hannover

Die Muss-weg-Opposition – Seite 1

Der junge CDU-Mann hat sich allmählich in Rage gebrüllt. „Die Ampel muss weg!“, ruft Jörn Schepelmann, er ist Kreisvorsitzender in Celle und kandidiert für den Landtag. Und weil das beim Publikum ganz gut ankommt, brüllt er hinterher: „Die Gasumlage muss weg!“ In diesem Moment weiß er noch nicht, dass die Bundesregierung ihm zumindest diesen Wunsch ein paar Tage später erfüllen wird.

Auch andere Dinge findet der CDU-Kandidat blöd, und hätte sie gern, nun ja, weg: „Clans“ zum Beispiel („Null Toleranz“) oder auch Stephan Weil. Der Ministerpräsident vom Koalitionspartner der SPD soll, ginge es nach Schepelmann, weg aus der Staatskanzlei: „Ab in den Ruhestand“.

Der junge Konservative steht auf einer Bühne auf dem Marktplatz von Celle. Es regnet, was nicht ungewöhnlich für diesen September in Niedersachsen ist. Unangenehm nasskalt ist es trotzdem. Dennoch ist der Platz gut besucht. Die CDU-Anhänger verharren geduldig unter ihren Regenschirmen. Sie warten auf den Bundesvorsitzenden, auf Friedrich Merz, der sich um mehr als eine halbe Stunde verspätet hat. So lange muss Schepelmann auf der Bühne überbrücken – und reiht daher seine „Muss-weg“-Sätze aneinander.

Genau für diese Haltung hatte Robert Habeck die CDU beim Streit um die Gasumlage im Bundestag als „Muss-weg-Opposition“ kritisiert. Der Wirtschaftsminister wurde, als er gerade über die „multiplen Krisen“ der Gegenwart sprach, mehrfach aus der Unionsfraktion unterbrochen, bis ihm der Kragen platze: „Sind wir hier im Fußballstadion?“, blaffte er die grölenden Christdemokraten an. „Sie sind die Muss-weg-Opposition“, rief der Vizekanzler. Er vermisse „Ehrlichkeit“ und „Verantwortungsbereitschaft“ von der alten Regierungspartei CDU.

Unterkomplex, teilweise dumpf

Ist das nur die Ausflucht eines Ministers, der wegen eigener Fehlentscheidungen in die Defensive geraten ist? Schließlich gehört es zu den Aufgaben der Opposition, Regierungsentscheidungen zu hinterfragen und kritisieren. Oder ist was dran an diesem Vorwurf? Ist die Union wirklich unnötig auf Krawall gebürstet und heizt die allgemeine Verunsicherung an, die angesichts der Gleichzeitigkeit mehrerer existenzieller Krisen ohnehin da ist?

So sehen es jedenfalls viele Politikerinnen und Politiker in den drei Ampel-Parteien: Seit sie in die Opposition musste, trete die CDU meist destruktiv und populistisch auf. Derzeit sei die Union „nicht regierungsfähig“, sagt etwa FDP-Chef Christian Lindner. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bezeichnete Merz als „nörgelnden Onkel“, der aufpassen müsse, dass man ihn ernst nehme. Ähnlich klingt es bei den Grünen. Die Positionen der Union seien unterkomplex, holzschnittartig, teilweise dumpf, heißt es vielerorts – und der komplexen Krisenlage nicht angemessen.

„Sozialtourismus“

Vor allem die Führungsriege der FDP betont das regelmäßig: Mit ihrem alten bürgerlichen Koalitionspartner sei derzeit leider kein Staat zu machen. Der Tenor erinnert an die Kritik, die Liberale seit Jahren an der CSU üben: Ihr Parteichef Markus Söder warb erst für ein schnelles Ende der Atomkraftwerke in Deutschland, nun will er sie bis 2024 behalten. Ähnlich war es bei Corona, wo er mal zum Team Vorsicht, mal zum Team Freiheit gehörte. Söder ist für viele Spitzenliberale der Inbegriff von unseriöser, inkonsistenter Stammtischpolitik. Merz, so die Sorge, könnte sich diesem Stil anpassen.

Die jüngste Äußerung von Friedrich Merz passte in dieses Bild: Seine unbelegte Behauptung, viele Ukrainer nutzten das deutsche Sozialsystem aus, indem sie zwischen ihrer Heimat und Deutschland hin und herpendelten, also eine Art „Sozialtourismus“ betrieben, schweißte die Ampel zusammen, wie schon lange nichts mehr. Scharf und ungewohnt einhellig wiesen sie Merz‘ Aussage zurück: „Schäbig“ nannte sie Innenministerin Nancy Faeser von der SPD. Obendrein, kritisierte die Grünenparteichefin Ricarda Lang, widerspreche Merz sich selbst. Bisher hatte er stets große Solidarität und Unterstützung für die Ukraine eingefordert.

Würde er als Kanzler wirklich Panzer liefern?

Friedrich Merz macht Wahlkampf in Celle

Auch seine spätere Entschuldigung auf Twitter half wenig, die Irritation aus der Welt zu schaffen: „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.“ Unterstellter Subtext: Wer sie okay fand, auch okay! Das sei AfD-Taktik, kritisierte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast.

Diese Art von Vorwurf gegen Merz ist nicht neu. Er, der in den Nullerjahren den Begriff Leitkultur prägte, gilt den linken Parteien seit jeher als Hardliner gegen Cancel-Culture und Ökolobby.

Konstruktive, staatstragende Töne

Seit seiner Kür zum CDU-Parteichef war jener alte, konservative Merz jedoch in den Hintergrund getreten, über weite Strecken schien der 66-Jährige sogar sichtlich um einen integrativen, ja sogar progressiven Stil bemüht. Ausgerechnet unter dem Politiker, der noch 2021 seine Töchter und seine Frau als Beweis anführte, dass er kein Frauenproblem habe, entschied sich die CDU für eine Frauenquote.

Auch in der Auseinandersetzung mit der Ampel schlug Merz durchaus konstruktive, staatstragende Töne an. Gerade in der Ukraine-Politik betonte er mehrfach, die von Olaf Scholz ausgegebene Zeitenwende grundsätzlich zu unterstützen. Und je nach Tagesform wussten die Ampel-Vertreter das durchaus zu schätzen.

So auch an diesem Tag in Celle. Als Merz die Bühne betritt, lobt er zunächst ausdrücklich, was die Bundesregierung seiner Ansicht nach richtig macht. In diesem Fall: sich mit den internationalen Partnern bei der Ukraine-Unterstützung abzustimmen. Und ja, die Gaspreisbremse sei doch eine sehr komplizierte Sache. Fast klingt es wie eine implizite Antwort auf Habecks Wutausbruch, der an diesem Tag drei Tage zurückliegt: Seht her, wir sind doch konstruktiv!

Gewisse Widersprüchlichkeit

Jenseits der Muss-weg-Rhetorik fällt bei der CDU eine gewisse Widersprüchlichkeit auf. So „klar“ und konsistent, wie Merz es gern herausstreicht, sind die CDU-Positionen unter seiner Führung nämlich nicht. So forderte er noch im März, russische Gaslieferungen durch Nord Stream 1 zu stoppen. Dass dies mit – wie das Land gerade erfährt – dramatischen Einschränkungen in Deutschland einhergehen würde, war er bereit hinzunehmen: „Wir sind der Meinung, dass wir das akzeptieren müssten angesichts der Lage, die dort entstanden ist“, sagte er. Inzwischen, da Deutschland unter den hohen Energiepreisen leidet, betont der CDU-Chef eher die Lasten, die mit den „Einschränkungen“ der Energieversorgung einhergehen. Auf diesen Widerspruch angesprochen, wie von Maybrit Illner in ihrer Talkshow an diesem Donnerstag, fühlt er sich unzusammenhängend zitiert. Ganz so klar jedenfalls war das alles dann doch nicht.

Ähnlich bei der Panzerdebatte. Im Bundestag brachte die Unionsfraktion kürzlich einen Antrag ein, demzufolge Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefern soll. Ob Merz das als Kanzler wirklich auch so propagieren würde? Auch nach Putins neuerlicher Drohung mit Atomwaffen und der Annexion der ukrainischen Gebiete? Kein anderer westlicher Staat liefert moderne Kampfpanzer. Dem Vernehmen nach ist auch nicht allen an der CDU-Basis wohl bei dem Gedanken, dass Deutschland unter Merz den Alleingang wagen würde, den Olaf Scholz vehement ablehnt. Auch bei den Christdemokraten, traditionell alles andere als eine „Falken“-Partei, gibt es Sorgen, dass der Konflikt weiter eskalieren könnte. Völlig „klar“ sind da nur wenige.

Bislang scheint der Erfolg Merz recht zu geben. Seit einigen Tagen weisen ihn Umfragen als jenen Politiker aus, der derzeit am besten als Kanzler geeignet scheint. Die Bitte um ein kurzes Interview zu Habecks Vorwürfen lehnt er aus Zeitgründen ab. Wie auch immer: Merz dürfe es nicht unrecht sein, sowohl als knallharter als auch als konstruktiver Oppositionsführer wahrgenommen zu werden. Einerseits ist der Wunsch, unterschiedliche Bedürfnisse in der Bevölkerung anzusprechen, durchaus verständlich. Andererseits: Völlig „klar“ ist Merz eben auch hier nicht.