FDP in Berlin: Immer dieselbe Lehre
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Eines stellt FDP-Parteichef Christian Lindner gleich zu Anfang der Pressekonferenz fest: Am Spitzenkandidaten habe es jedenfalls nicht gelegen, dass die Berliner FDP am Abend zuvor den Einzug ins Abgeordnetenhaus nicht geschafft hat. Man habe Sebastian Czaja im Präsidium vielmehr gedankt und Anerkennung gezollt, betont Lindner, während der am Montagvormittag im Foyer der Parteizentrale neben ihm steht. „Es war ein sehr engagierter Wahlkampf eines starken Spitzenkandidaten“, sagt er. Schuld an der Niederlage sei „die Konstellation“ gewesen.
Damit hat der FDP-Chef zweifellos eine der möglichen Erklärungen für die Niederlage benannt. In Berlin war schließlich von Anfang an klar, dass nur ein hoher Wahlsieg der CDU über das regierende rot-rot-grüne Bündnis – wenn überhaupt – den notwendigen Druck würde entfalten können, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Von der Wechselstimmung in der Stadt habe deswegen nur die CDU profitiert, betonen Liberale seit Sonntagabend immer wieder. Dass da was dran ist, zeigt ein Blick in die Wählerwanderungsdaten: Tatsächlich machten 28,5 Prozent der FDP-Wähler von 2021 diesmal ihr Kreuz bei der CDU.
Doch damit ist längst nicht alles gesagt. Immerhin ist die Wahlniederlage in Berlin für die FDP bereits die fünfte in Folge. Dreimal flog die Partei zuletzt ganz aus dem Landtag, zweimal – in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – verlor sie ihre Regierungsbeteiligung und musste in die Opposition. Von einer Aneinanderreihung von Zufällen kann da kaum die Rede sein. Es scheint offensichtlich, dass die FDP auch für ihre Performance in der Ampel-Koalition abgestraft wird.
Immer dieselbe Lehre
Schon nach den bisherigen Niederlagen hat die FDP daraus immer genau eine Lehre gezogen: Die Handschrift der Liberalen müsse in der Ampel-Koalition deutlicher werden. Das mutete jedes Mal ein wenig paradox an, da sich die FDP in dem Regierungsbündnis ja in vielen Punkten durchaus erfolgreich durchgesetzt hat.
So hat sie gleich zu Beginn dafür gesorgt, dass die Corona-Politik der Ampel weit liberaler ausfiel, als es wohl der Fall gewesen wäre, wenn SPD und Grüne allein regiert hätten. Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht etwa scheiterte am Widerstand der FDP. Auf Druck der FDP musste das Regierungsbündnis zudem immer wieder große Verrenkungen unternehmen, um die Schuldenbremse wenigstens auf dem Papier einzuhalten und gleichzeitig Steuererhöhungen zu vermeiden. Und nicht zuletzt hat die FDP mit großer Hartnäckigkeit durchgesetzt, dass die letzten deutschen Atomkraftwerke nicht schon zu Beginn dieses Jahres abgeschaltet wurden, sondern erst in diesem April.
Das alles hat freilich nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Nicht nur die Landtagswahlen gingen verloren, auch im Bund lag die FDP, die bei der vergangenen Wahl noch 11,5 Prozent erreichte, in den Umfragen zuletzt nur noch bei sechs bis sieben Prozent. Auch am Sonntagabend konnte man deswegen von FDP-Seite bereits vielfach hören, dass die Partei künftig in der Ampel-Koalition noch unnachgiebiger auftreten müsse. Die Stimme der FDP in dem Bündnis müsse noch deutlicher werden, betonte etwa Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Noch deutlicher formulierte es Parteivize Wolfgang Kubicki. „Die Zeit des Appeasements ist vorbei“, erklärte er. Wobei Grüne und SPD sich wohl erschrocken gefragt haben dürften, wie die neue FDP-Politik aussehen wird, wenn das, was bisher war, Appeasement gewesen sein soll.
Dreiteilige Strategie
Parteichef Lindner selbst gab sich dann am Montagvormittag ein wenig zurückhaltender. Die FDP werde – wie bisher schon – auch künftig einen Dreiklang verfolgen, betonte er. Dass es bei Wählerinnen und Wählern nicht gut ankommt, wenn man ständig die Politik der eigenen Regierung schlechtredet, das hat nämlich auch die FDP mittlerweile verstanden. Als Punkt eins nannte Linder denn auch, dass man die Erfolge der Ampel, etwa das gute Krisenmanagement der Regierung, herausstellen wolle.
Punkt zwei sei, liberale Modernisierungsprojekte voranzubringen. Als Beispiel nannte er die Beschleunigung von Planungsvorhaben, die Entbürokratisierung, eine moderne Einwanderungspolitik oder auch die Digitalisierung. Das vergangene Jahr sei stark von Krisenbewältigung geprägt gewesen, sagte Lindner. Im laufenden Jahr – so seine Hoffnung – werde nun mehr Zeit sein für die Dinge, die die FDP eigentlich in der Regierung erreichen will. Erst als dritten Punkt nannte Lindner schließlich, dass die Partei weiterhin „Garant für eine Politik der Mitte“ sein wolle. Verbote, Steuererhöhungen und neue Schulden werde es mit der FDP auch künftig nicht geben. Diese dreigliedrige Strategie, die man schon länger verfolge, habe sich zwar bisher noch nicht ausgezahlt, aber der Erfolg werde sich schon noch einstellen, gab Lindner sich zuversichtlich.
Doch auch wenn Lindner damit konzilianter klang als etwa Kubicki – ein Adjektiv, das er zur Beschreibung seines Auftretens freilich zurückwies –, dürfte die Zusammenarbeit in der Ampel künftig nicht einfacher werden. Derzeit gibt es gleich mehrere Projekte, die heftig umstritten sind. So fordert die FDP etwa, dass der Bau von Autobahnen genauso priorisiert werden muss wie der von neuen Bahnstrecken, was die Grünen ablehnen.
Wie gefährlich sind die Niederlagen für Lindner?
Dass Lindner nun betonte, die FDP werde auch künftig für „Wahlfreiheit bei der Mobilität“ kämpfen, kann man wohl als Hinweis verstehen, dass die Liberalen nicht geneigt sind, in dieser Frage nachzugeben. Streit gibt es aber etwa auch um die Ausgestaltung der Wohnungspolitik und die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen vor allem im Verkehrsbereich. Die Einwanderungspolitik benannte Lindner zwar als eines der liberalen Modernisierungsprojekte, zugleich zieht er aus der Berlin-Wahl allerdings die Konsequenz, dass die Bürgerinnen und Bürger sich die „Beobachtung nicht gelingender Integration nicht nehmen lassen“.
Die FDP werde deswegen auch weiterhin dafür kämpfen, irreguläre Migration zu unterbinden, betonte er. Das könnte zu neuen Spannungen vor allem mit den Grünen führen. Und auch beim Atomthema hat die FDP längst noch nicht aufgegeben. Die Frage der Laufzeitverlängerung sei aus seiner Sicht noch nicht final geklärt, betonte Generalsekretär Djir-Sarai am Montag erneut. Der Ampel stehen also wohl weitere konfliktreiche Zeiten bevor.
In jeder anderen Partei würde nach fünf Wahlniederlagen in Folge wohl auch über die Verantwortung des Parteichefs selbst diskutiert. In dieser Hinsicht scheint sich Lindner bisher jedoch wohl keine allzu großen Sorgen machen zu müssen. Das Präsidium stehe geschlossen hinter seinem Plan, an der bisherigen Strategie festzuhalten, betonte er. Und tatsächlich gibt es derzeit zumindest keine offene Kritik an ihm. Wie groß sein Rückhalt tatsächlich noch ist, könnte sich beim Parteitag im April zeigen, wenn die gesamte Parteispitze neu gewählt werden muss. Zum Glück für Lindner muss er bis dahin immerhin keine weiteren Landtagsniederlagen mehr einstecken.
Die Landtagswahl in Bremen im Mai, wo die Liberalen traditionell schlecht abschneiden, wird ihm wohl ebenfalls nicht gefährlich werden. Doch spätestens bis zum Herbst, wenn in Bayern und Hessen gewählt wird, sollte die von Lindner gewählte Strategie des Erst-mal-weiter-so langsam wirken. So unangefochten Lindner auch in der Partei ist, selbst ihn dürfte eine Niederlagenserie von dann acht Landtagswahlen ansonsten doch noch zu echten Konsequenzen zwingen.