F.A.Z.-Konjunkturbericht: Die öffentliche Hand nimmt immer mehr

Investitionen, Investitionen. Das ist das Schlagwort, das in der andauernden Wachstumsschwäche die wirtschaftspolitische Diskussion beherrscht. Tatsächlich haben die Investitionen in Deutschland sich in den vergangenen Jahren geradezu erschreckend entwickelt. Seit dem Hoch im Sommer 2019 schrumpfen die Bruttoanlageinvestitionen. Seit dem Jahr 2023 hat der Abwärtstrend sich noch einmal beschleunigt. Für die mittelfristigen Wachstumsaussichten verheißt das nichts Gutes. Ein Land, in dem nicht oder immer weniger investiert wird, hat keine glänzende Zukunft vor sich.
Der Verfall der Investitionsbereitschaft ist ein wichtiger Grund dafür, dass die gesamtwirtschaftliche Leistung in den vergangenen Jahren schrumpfte und zuletzt stagnierte. Ein Akteur im Wirtschaftsgeschehen hat sich davon nicht beirren lassen: die öffentliche Hand. Der staatliche Konsum ist unter Schwankungen weiter gestiegen, und die rot-grün-gelbe Ampelkoalition hatte da noch einmal draufgelegt. Im Blick auf die vergangenen zehn Jahre öffnet sich im Vergleich der Nachfragekomponenten so eine große Kluft.
Die Bruttoanlageinvestitionen sind nach dem Hoch im Jahr 2019 so weit zurückgegangen, dass sie im Frühjahr dieses Jahres kaum fünf Prozent höher lagen als im Jahr 2015. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte trotz der jahrelangen Stagnation im Zehnjahresvergleich immerhin noch ein Plus von 8,5 Prozent. Der staatliche Konsum aber wuchs im vergangenen Jahrzehnt inflationsbereinigt um mehr als 25 Prozent. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt der politisch herbeigeführte Zuwachs der staatlichen Beschäftigtenzahl in den Jahren der Ampelkoalition.
Die privaten Konsumenten ereilte im vergangenen Jahrzehnt ein ganz anderes Schicksal. In den Krisenjahren nach der Covid-Pandemie stagnierte der private Konsum nahezu. Im Zehnjahresvergleich ergibt sich nur deshalb ein Plus von rund zehn Prozent, weil es in den Jahren vor der Covid-Pandemie noch stetes Wachstum gab. Der Zuwachs insgesamt von zehn Prozent verblasst freilich im Vergleich zum staatlichen Konsum, der mehr als doppelt so stark zulegte. Aus dem mageren Zuwachs der Wirtschaftsleistung hat die öffentliche Hand sich einen zunehmend größeren Teil genommen. Die damit einhergehende höhere Steuer- und Abgabenlast schmälert den Spielraum der privaten Haushalte für den Konsum.
Nun sollen mit der Regierung von Friedrich Merz (CDU) mehr Investitionen die Wirtschaft in Schwung bringen und auch den privaten Konsumenten wieder mehr Spielräume eröffnen. In der öffentlichen Debatte wird diese Idee oft mit Vorschlägen verknüpft, wie der Staat seine Finanzen noch mehr aufbessern kann, durch Reichen- oder Maschinensteuern oder eben durch noch mehr Schulden. Wer so diskutiert, unterstellt, dass die staatlichen Investitionen das Maß aller Dinge wären, um Deutschlands Wirtschaft wieder flottzubekommen.
Ein einfacher Größenvergleich zeigt, dass Regierung und Bundestag besser an anderer Stelle ansetzten. Im Vergleich zu den privatwirtschaftlichen Investitionen ist der Umfang der staatlichen Investitionen sehr gering. Das gilt selbst für den Bausektor, in dem der Staat sich ja als Hüter der Infrastruktur gibt. Im vergangenen Jahr investierten Private 373 Milliarden Euro in Bauten, während der Staat nur 78 Milliarden Euro ausgab. Noch dominanter sind die Privaten im Bereich der wichtigen Ausrüstungsinvestitionen. Das eindeutige Größenverhältnis lässt nur einen Schluss zu: Wer angebotsgetriebenes Wachstum in Deutschland wirklich fördern will, der erleichtere besser privaten Unternehmen und Haushalten die Investition in Maschinen, Fabriken oder Wohnraum, als dass er der öffentlichen Hand mehr Geld gibt.
Das gilt zumal, weil der Zehnjahresvergleich der Investitionen eine Entwicklung zeigt, die dem oft gezeichneten Bild des finanziell klammen Staates, dem das Geld für Investitionen fehlt, widerspricht. Die öffentliche Hand hat ihre Investitionen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesteigert, während die Zurückhaltung von privaten Investoren stetig zunahm.
Beispiel Ausrüstungsinvestitionen: Der Staat hat seine Investitionen seit 2015 um 40 Prozent und mehr gesteigert, während die privaten Ausrüstungsinvestitionen wieder auf dem Niveau von vor zehn Jahren liegen. Beispiel Bau: Der Staat hat seine Bauinvestitionen seit 2015 um mehr als 30 Prozent gesteigert, während die Investitionen der Privaten im Vergleich zu vor zehn Jahren um zehn Prozent gesunken sind. Wenn die öffentliche Hand in den vergangenen Jahren zu wenig in die Straßen- und Schieneninfrastruktur investiert hat, dann liegt es ganz offensichtlich nicht daran, dass ihr zu wenig Geld zur Verfügung stand. Bundestag und Bundesregierung haben das Geld wohl eher nicht an den richtigen Stellen ausgegeben.
Diese Tendenz dauert an. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und andere wirtschaftswissenschaftliche Institute haben ausgerechnet, dass von den neuen Milliardenschulden für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur nur rund die Hälfte tatsächlich für diesen Zweck verwendet wird. Der Rest geht in den staatlichen Konsum oder in ohnehin geplante Investitionen. Zieht die schwarz-rote Koalition nicht noch die Notbremse, dürfte die Schere zwischen zunehmendem Staatskonsum und schrumpfender Wirtschaftsleistung sich weiter öffnen.