Energiekrise: Japan will Atomkraftwerke länger laufen lassen

Japan steuert darauf zu, die maximale Laufzeit seiner Atomkraftwerke auf mehr als 60 Jahre zu verlängern. Entsprechende Pläne reifen heran, nachdem Ministerpräsident Fumio Kishida im August die Devise ausgegeben hatte, wieder mehr Atomkraft zu nutzen. Elf Jahre nach der dreifachen Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi reagiert die Regierung damit auf den starken Anstieg der Energiepreise. Der Drang zu mehr Atomkraft gründet zudem in dem Bemühen, zum Schutz des globalen Klimas den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern.

Patrick Welter

Korrespondent für Wirtschaft und Politik in Japan mit Sitz in Tokio.

Nach einem jetzt vorgelegten Regulierungsvorschlag der nuklearen Aufsichtsbehörde NRA würden Kraftwerke, die 30 Jahre oder mehr erreicht haben, künftig alle zehn Jahre einer verschärften Sicherheitsprüfung unterliegen, um eine Betriebsgenehmigung für ein weiteres Jahrzehnt zu erhalten. Die pauschale Obergrenze für die Laufzeit entfiele so. Der Vorschlag, der französischen und britischen Regeln ähnelt, dürfte der endgültigen Lösung sehr nahekommen, weil die Atomaufsicht letztlich über die Betriebsdauer einzelner Kraftwerke entscheidet. Bis Jahresende will die Regierung die neue Laufzeitlinie fixieren.

Nach dem Unfall im Kraftwerk Fuku­shima Daiichi im Jahr 2011 hatte Japan im Prinzip eine maximale Laufzeit von 40 Jahren für seine Kernkraftwerke gesetzt. Bestehen die Reaktoren vor Ablauf der 40 Jahre eine besondere Sicherheitsprüfung, werden weitere 20 Jahre genehmigt. Schon nach den bestehenden Regeln können japanische Kernkraftwerke so erheblich länger Strom liefern als die verbliebenen drei deutschen Reaktoren, die nach dem Willen von Bundeskanzler Olaf Scholz noch bis April 2023 angeschaltet bleiben dürfen. Die drei Reaktoren werden im Frühjahr kommenden Jahres nur 35 und 34 Jahre am Netz gewesen sein.

Vier Reaktoren sind älter als 40 Jahre

In Japan sind vier Reaktoren älter als 40 Jahre und haben eine Laufzeitverlängerung auf 60 Jahre erhalten. Der älteste ist 47 Jahre alt. Nur einer der vier Reaktoren ist derzeit am Netz. Im Oktober hatte der regionale Energieversorger Kyushu Electric Power auf der südlichen Hauptinsel eine Laufzeitverlängerung auf 60 Jahre für zwei Reaktoren in Satsuma-Sendai beantragt. Generell haben in Japan von 33 im Prinzip verfügbaren Reaktoren zehn die nach 2011 verschärften Sicherheitsstandards bestanden. Sechs der zehn Reaktoren sind derzeit am Netz und erzeugen Strom. Die anderen sind wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet oder noch nicht wieder am Netz.

Der lokale Widerstand an den AKW-Standorten gegen das Wiederanschalten der Reaktoren ist vielfach groß. Doch mit den steigenden Energiepreisen im Gefolge des Ukrainekriegs zeigt sich ein Stimmungswandel in der Bevölkerung. In Umfragen spricht sich mittlerweile eine Mehrheit dafür aus, die Atomenergie mehr zu nutzen, solange die Sicherheit gewährt sei. Die Anrainergemeinden der Atomkraftwerke haben ein Mitspracherecht, bevor Atomkraftwerke angeschaltet werden. Für die Verlängerung der Laufzeit der Kraftwerke gibt es eine solche Absprache nicht.