Elfriede Jelinek: Ein Hackerinnenangriff auf die Sprache

Ein Hackerinnenangriff auf die Sprache – Seite 1

Das Stück Angabe der Person von Elfriede Jelinek ist mit Drohungen
in die Öffentlichkeit gebracht worden – erst durch den Rowohlt Verlag, der die
Buchausgabe verantwortet und den Text „autobiographisch“ nennt, dann durch das
Deutsche Theater in Berlin, das jetzt die Uraufführung ausgerichtet hat und von „einem ihrer bisher persönlichsten Theatertexte“ spricht. Und das bei einer
Autorin, die sich in ihren Werken zwar immer nackt ausgezogen, dabei aber
gleichzeitig maximal entpersönlicht hat.

Kommt jetzt also die in der Promi- und Talkshowkultur
verwertbare Selbstverkitschung? Es geht schließlich darum, dass die Nobelpreisträgerin
in die Fänge der bayrischen Steuerfahndung gerät und dabei Schaden nimmt. Wobei
sie durchaus vermutet, dass auch ihre Prominenz und politische Unliebsamkeit
sie zur Zielscheibe gemacht haben. Worauf sie – die „Elfi“ des Textes – sich
als Nachkömmling verfolgter österreichischer Juden ausstellt und sich mit
finanziell viel besser bestallten und im Kulturbetrieb viel beliebteren
Nachkömmlingen alter Nazis vergleicht.

Angriffe auf Geld- und Finanzsystem gibt es gratis dazu, der
Staat an sich bleibt nicht undämonisiert, und auf querdenkerische Tipps zur
Steuerflucht wird verwiesen.

Sowas kann auch schiefgehen. In Deutschland ist die Liste
von Prominenten, die sich nach eher privaten Kränkungen mit der
Zurschaustellung von Allmachtsgefühlen therapieren und dafür feiern lassen, in
der letzten Zeit ganz schön lang geworden. Entwarnung: Das ist hier nicht so.
Alles bleibt im Rahmen der Methode einer Autorin, die schon immer mit Traumata
hantiert hat, ohne zu behaupten, sie verarbeiten zu wollen, und ohne sich oder
uns Hoffnung auf Heilung zu machen. Vielleicht weil sie nicht glaubt, dass sie,
dass wir ein Anrecht auf Erlösung haben.

Elfriede Jelinek war nie auf Rührung aus, weshalb sie als „schwierig“ gilt. Und sie hat vor der Steuerfahndung schon andere Feinde durch
die Manege geführt, von ihrer Mutter bis hin zu Jörg Haider, und sich selbst
als deren ebenso erniedrigte wie rachedurstige Sprachbeherrscherin gleich
hinterher. Ihr Thema war immer die schöne und schnöde, am eigenen Leib
erfahrene Kränkung in all ihren polit-soziopsychologischen und philosophischen
Verästelungen.

Die Inszenierung von Jossi Wieler in Berlin ist so karg,
karger geht es kaum. Die Kostüme von Anja Rabes sind gerade eben so schick,
dass sie sich als Kostüme erkennbar machen, aber kein bisschen mehr. Die
Theatermusik von PC Nackt ist leise scharrend und unaufdringlich knarzend. Das
Bühnenbild (auch von Anja Rabes), ein bisschen Zimmerwand auf einem
angeschrägten Podest, scheint kaum mehr Funktion zu haben, als sicherzustellen,
dass da außer den Schauspielerinnen noch etwas ist. Dieses ganze Etwas dreht
sich manchmal. 

Die Dramaturgie spannt klare Bögen, inhaltlich und formal.
Der formale Bogen setzt eine musikalische Grundstruktur: Drei langen Solos für
Schauspielerinnen folgt ein halb-chorisches Terzett, das sich über Stimmen aus
dem Off zum Sextett erweitert, daraufhin haben die Stimmen ein Solo, und das
Schlusswort hat überraschenderweise ein Mann.

Über den inhaltlichen Bogen wird über die oben
protokollierten Themen hinaus eine Geschichte von der Vergänglichkeit erzählt,
wie sie auch im Text der 76-jährigen Autorin immer wieder anklingt: Die Solos
der Schauspielerinnen sind nach Alter sortiert, und am Ende, im Zusammenspiel
mit den Stimmen aus dem Off, denen sie irgendwann die Führung überlassen,
schenkt die Regie ihnen eine leise Demenz. Dann sind sie fort.

Karg und schön muss man das finden, man kann gar nicht anders

Den Schauspielerinnen bürdet die Regie die ganze Last des
Abends auf, und sie ächzen manchmal heftig darunter. Alle drei treten sie als
Showmasterinnen auf, als TED-Talkerinnen, die den Job haben, das Publikum im
Nahkampf an sich zu binden.

Linn Reusse muss als Jüngste zuerst, sie muss den Saal
aufwärmen, und das noch mit einem Text, der ihr kaum dabei hilft. Lange sieht
man am Premierenabend vor allem „Hoppla, jetzt komm‘ ich“. Nach ihr hat Fritzi Haberlandt es leichter; sie hat sich eine Art strenge Harlekin-Figur gebaut,
die bei allem Comedy-Handwerk immer leicht bedrohlich und unberechenbar bleibt.
Als Dritte gelingen Susanne Lange in fröhlicher Verschmitztheit ganz leise und
intensive Schreckensmomente, aber am Ende siegt die Verschmitztheit doch.

Die ganze Zeit über sitzt noch ein griesgrämiger älterer
Mann auf der Bühne, über zwei Computermonitore gebeugt. Er wirft manchmal
genervt ein paar Worte ein, und manchmal setzt sich ihm eine Schauspielerin auf
den Schoß. Vielleicht ist das der Geist von Gottfried Hüngsberg, des im
September verstorbenen Ehemanns von Elfriede Jelinek, der Musiker und
Informatiker war.

Als alles still ist, erhebt dieser Geist sich von seinem
Stuhl, um aus dem Buch der Souffleuse den Schluss vorzulesen. Der Schauspieler
Bernd Moss macht allein aus dem Vorgang des Aufstehens und des Gangs quer über
die Bühne eine große Nummer von gefühlt zweieinhalb Stunden. Sein Minenspiel
soll Bände sprechen und tut es auch.

Am Ende hat das Theater sich selbst gefeiert und sich
bewiesen, dass es funktioniert – es kann ja nicht anders. Dabei ist der ewige
Jelinek-Text-Stream natürlich viel mehr als das, was hier zu sehen war –
nämlich eine Art Hackerinnenangriff auf die Sprache selbst, auf die Autorin und
all ihre Feinde zugleich. Auf alle Möglichkeiten, ihnen mit Sprache zu
begegnen, die durchgespielt und dabei immer auch wieder genichtet werden.

So weit geht Jossi Wielers Inszenierung nicht. Theatermittel
werden nicht infrage gestellt. Das beunruhigend Prekäre des Textes, der
Schreibweise von Elfriede Jelinek überhaupt, übersetzt die Regie nicht auf die
Bühne.

Dies ist eine solide Inszenierung: Der Abend ist geschickt
und liebevoll gemacht, bescheiden bis an den Rand der Demut. Karg und schön
muss man das finden, man kann gar nicht anders. Man ist gerührt.