Diskussion extra Schuldenbremse: Sind Schulden eine Last zu Händen die Jungen?

DIE ZEIT: Die Ampelparteien werden nun doch nicht wie geplant kommende Woche einen Haushalt vorlegen. Ein Streitpunkt in den Etatverhandlungen ist die Schuldenbremse. Finanzminister Christian Lindner sagt, sie nütze gerade jungen Leuten, weil finanzielle Lasten nicht mehr einfach in die Zukunft geschoben werden könnten. Herr Mühlbach, Sie sind 28, ist die Schuldenbremse im Interesse Ihrer Generation?

Carl Mühlbach: Ich kann mir gut vorstellen, dass Politikerinnen sie mit der Intention eingeführt haben, kommende Generationen von Lasten zu bewahren. In der Praxis führt die Schuldenbremse aber vor allen Dingen dazu, dass gerade nicht genug investiert wird: in den Klimaschutz, in Bildung und in die Infrastruktur. Junge Menschen leiden deshalb eher unter ihr, statt von ihr zu profitieren.

Maximilian Mordhorst: Die Investitionsausgaben im Bundeshaushalt befinden sich auf Rekordniveau. Es wird also investiert. Nun kann man sagen: Das reicht nicht. Das finde ich auch. Wir haben aber im Etat fast 500 Milliarden Euro zur Verfügung. Und wenn ich sehe, wofür wir alles Geld ausgeben, dann finde ich, kann man bei dem einen oder anderen Posten schon fragen: Muss das unbedingt sein? Die Schuldenbremse zwingt uns zur Priorisierung, und das finde ich als junger Mensch gut.

Mühlbach: Was Sie nicht erwähnen: Etwa 90 Prozent der Ausgaben im Haushalt sind gesetzlich festgeschrieben. Da kann eine Regierung nicht einfach sagen: Wir kürzen das jetzt weg. Bei den Sozialausgaben gibt es außerdem verfassungsrechtliche Grenzen, das Existenzminimum etwa muss sichergestellt werden. Vor Kurzem ist eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft und des arbeitnehmernahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung erschienen. Sie bezifferte den staatlichen Investitionsbedarf auf 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. Ich bin auch der Meinung, dass das Geld sinnvoll ausgegeben werden soll. Aber nur mit Priorisierung kommen wir nicht auf die nötigen Summen.

Mordhorst: Dass bestimmte Organisationen mehr Geld haben wollen, kann ich verstehen. Wenn mir jemand Freibier anbietet, dann nehme ich das auch. Aber wer bezahlt die Rechnung? Bei den Schulden sind das die kommenden Generationen – in Form höherer Zinsausgaben oder einer gestiegenen Kreditlast. Meine Sorge ist: Wenn wir jetzt die Schuldenbremse lockern, dann haben wir in ein paar Jahren keinen finanziellen Spielraum mehr, um auf Krisen zu reagieren. Klimaschutz ist wichtig, aber wir werden den Klimawandel nicht komplett aufhalten können. Deshalb müssen wir auch Klimaanpassungen vornehmen. Das kostet eine Menge Geld. Und deshalb ist die Schuldenbremse für mich ein Element nachhaltiger Finanzpolitik.

Mühlbach: Das Geld ist doch nicht weg. Wenn Sie als Privatperson ein Haus kaufen, dann nehmen Sie dafür wahrscheinlich auch einen Kredit auf. Sie haben Schulden, aber dafür ein Haus. Wenn wir jetzt in die deutsche Infrastruktur investieren, dann hätten wir in Zukunft eine höhere Wirtschaftsleistung. Investitionen erzeugen Rendite. Und mit Blick auf das Klima gilt: Je mehr wir heute in den Klimaschutz investieren, desto geringer sind die Anpassungslasten in der Zukunft.

Mordhorst: Wäre es so einfach, dann bräuchte man den Staat nicht. Denn wenn sich eine Investition rechnet, würde sie auch der Privatsektor tätigen. Eine staatliche Investition zieht eben gerade keine klar abgrenzbare Rendite nach sich. Deshalb kann man das nicht vergleichen. Ein Beispiel: Wir wissen alle, wie wichtig Bildung ist. Die Allgemeinheit profitiert vom Bau einer Schule, aber man kann nicht genau berechnen, welche Wirtschaftsleistung dadurch erzeugt wird und wer sie erbringt.

Mühlbach: Es gibt durchaus volkswirtschaftliche Studien, die die gesellschaftliche Rendite von Bildungsinvestitionen abschätzen. Sie kommen auf Werte zwischen sechs und sieben Prozent. Das ist deutlich mehr, als der Staat für das geliehene Geld an Zinsen bezahlen müsste. Diese Investitionen würden sich also rechnen, auch wenn sie über Kredite finanziert würden. Sie schaffen einen Mehrwert.

ZEIT: Herr Mordhorst, wäre es okay, wenn sich der Staat für den Bau einer Schule verschuldet?

Mordhorst: Mein Argument ist nicht, dass Schulden immer schlecht sind. Ich bin ja kein Ideologe. Ich bin aber Politiker und weiß, was passieren würde. Wenn wir in die Schuldenbremse eine Ausnahme für Bildungsinvestitionen einbauen oder ein Sondervermögen für die Bildung auflegen, dann würden viele meiner Kollegen im Parlament sagen: Gut, dann geben wir die im Haushalt frei gewordenen Mittel für das Bürgergeld oder die Rente aus. Unter dem Strich würden die Bildungsausgaben also möglicherweise nicht einmal steigen. Was aber mit Sicherheit steigen würde, sind die Schulden. Die Schuldenbremse verhindert das. Sie ist eine Form der politischen Selbstbindung.

ZEIT: So wie sich Odysseus in der griechischen Mythologie am Mast festgebunden hat, damit er den Gesängen der Sirenen widerstehen kann?

Mordhorst: Das kann man so sagen. Ich höre als Politiker jeden Tag den Sirenengesang. Wenn ich in mein Postfach schaue, wenn ich durch Social Media scrolle, wenn ich Leitartikel in der Presse lese, dann hat jeder gute Ideen, wofür man mehr Geld ausgeben könnte. Das kann ich alles aus der jeweiligen Einzelsicht nachvollziehen. Aber es passt nicht in mein Verständnis von generationengerechter Finanzpolitik. Ein Politiker, der jedem alles verspricht, macht seinen Job nicht. Nein sagen gehört für mich in der Politik dazu. Auch wenn es Wählerstimmen kostet.