Der dunkle Schatten welcher Dreißigerjahre

Die aggressive Handelspolitik Donald Trumps stößt international, wie zunehmend auch in den Vereinigten Staaten auf Unverständnis, weil sie im Widerspruch zu jedem Lehrbuchwissen steht. Dessen sind sich ihre Schöpfer sehr wohl bewusst. Und in gewisser Weise sind sie darauf stolz. So konstatierte der Vorsitzende amerikanischen Council of Economic Advisors, Steve Miran, in einer Veranstaltung jetzt gerade, die herrschenden ökonomischen Modelle zum Außenhandel seien falsch.
Zuversichtlich ist Miran auch, dass nicht die Amerikaner die Kosten der Zölle Trumps zahlen müssten, sondern die Länder, auf deren Produkte Zölle erhoben würden. Seine Argumentation beruht wesentlich auf der Größe und der Macht der Vereinigten Staaten. „Länder mit erheblichen Überschüssen in ihrer Handelsbilanz sind recht unflexibel; sie können keine anderen Absatzmärkte finden, die die amerikanische Nachfrage ersetzen. Stattdessen haben sie keine andere Wahl als zu exportieren, und Amerika ist der größte Verbrauchermarkt der Welt“, sagte Miran. Und er fügte hinzu: „Im Gegensatz dazu verfügt Amerika über eine Vielzahl von Substitutionsmöglichkeiten: Wir können Dinge im eigenen Land herstellen, oder wir können von Ländern kaufen, die uns fair behandeln, anstatt von Ländern, die uns ausnutzen. Dieser Unterschied in der Hebelwirkung bedeutet, dass andere Länder am Ende die Kosten der Zölle tragen müssen.“
Bemerkenswert erscheint, dass Miran eine positive Bilanz für die Vereinigten Staaten auch für den Fall von Gegenzöllen anderer Länder auf amerikanische Produkte voraussagt. Dabei verweist er auf eine neuere Arbeit der Ökonomen Pau Pujolas und Jack Rossbach („Trade Wars with Trade Deficits“).
Die Folgen des Smoot-Hawley-Tarifs von 1930
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Daher lohnt ein Blick auf die Folgen des Smoot-Hawley-Tarifs aus dem Jahr 1930, der letzten großen amerikanischen Zolloffensive vor Trumps „Befreiungstag“. Smoot-Hawley fiel in eine Zeit, in der die Vereinigten Staaten generell protektionistischer eingestellt waren als in der jüngeren Vergangenheit. Vorausgegangen war im Jahr 1922 mit dem Fordney-McCumber-Tarif ein anderes großes Zollpaket. Im Rahmen von Smoot-Hawley wurden Zölle auf rund 20.000 Produkte erhöht. Viele Fachleute hielten das Gesetz für äußerst schädlich und einen Brandbeschleuniger in der sich ausbreitenden Krise. 1028 Ökonomen protestierten mit einer Petition vergeblich dagegen.
Zwischen dem Jahr 1930 und der Gegenwart fallen vor allem zwei Unterschiede auf. Die Vereinigten Staaten verbanden ihre zollpolitische Offensive anders als Trump nicht mit sicherheitspolitischen Erwägungen. Außerdem befand sich die Weltwirtschaft damals auf dem Weg in eine schwere Krise, während sie gegenwärtig zwar schwächeln mag, aber nach Ansicht viele Fachleute nicht vor einem schweren Einbruch steht.
Mit Hilfe moderner ökonometrischer Verfahren haben Kris Mitchener, Kirsten Wandschneider und Kevin Hjortshoj O’Rourke („The Smoot-Hawley Trade War“) die wirtschaftlichen Kosten des anschließenden Handelskriegs geschätzt. Denn zahlreiche Länder ließen die mit dem Smoot-Hartley-Tarif verbundene Provokation nicht unbeantwortet. Sie reagierten mit nicht selten auf damals wichtige amerikanische Exportgüter wie Autos zugeschnittenen Gegenzöllen; auch ließen sich sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Boykottaufrufe registrieren.
Der Handelskrieg tat niemandem gut und damit auch nicht den Vereinigten Staaten. Die Autoren schreiben, die amerikanischen Exporte seien vom durch den Smoot-Hawley-Tarif ausgelösten Handelskrieg „stark betroffen“ gewesen. Mit Hinweis auf Äußerungen des Ökonomen und Trump-Beraters Peter Navarro anlässlich des amerikanisch-chinesischen Handelskonflikts während der ersten Präsidentschaft Trumps betonen sie: „Im März 2018 sagte Peter Navarro bekanntlich voraus, dass kein Land Vergeltungsmaßnahmen gegen amerikanische Zölle ergreifen würde. Die Erfahrungen aus den Dreißigerjahren legen nahe, dass sogar für ein so reiches und mächtiges Land wie die Vereinigten Staaten die Annahme falsch ist, dass es ungestraft einen Handelskrieg führen kann.“
Trump-Mann Miran wiederum sprach nicht nur über den Außenhandel, sondern auch über den Dollar, dessen Rolle als wichtigste Währung der Welt er nicht nur positiv sieht. „Unsere finanzielle Dominanz geht mit Kosten einher”, gab er zu bedenken. „Während es stimmt, dass die Nachfrage nach dem Dollar unsere Kosten der Kreditaufnahme niedrig hält, hat diese Nachfrage auch die Devisenmärkte verzerrt.“
Der Kauf amerikanischer Kapitalanlagen biete anderen Länder die Möglichkeit zur Manipulierung des Wechselkurses zu ihren Gunsten, was zu „unangemessenen Belastungen für unsere Unternehmen und Arbeitnehmer“ führe, weil „ihre Produkte und Arbeitskräfte auf den globalen Märkten nicht wettbewerbsfähig“ seien. Miran hat schon vor Monaten in einer mittlerweile sehr bekannten Studie darüber nachgedacht, wie die Vereinigten Staaten mit massiven Eingriffen in den Kapitalverkehr den Dollar abwerten lassen können, ohne seine Rolle als De-facto-Weltwährung zu verlieren.
Eine Epoche jahrzehntelanger Koordinierung geht zu Ende
Der Vorwurf, andere Länder verschafften sich mit sogenannten „kompetitiven Abwertungen“ unfaire Handelsvorteile zulasten anderer Nationen, ist ebenfalls aus den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts bekannt. Die Wirtschaftskrise veranlasste damals viele Länder, den mühsam restaurierten Goldstandard zu verlassen und ihre Währungen abzuwerten, um sich Handelsvorteile zu verschaffen. Diese Abwertungen mögen zumindest kurzfristig einzelnen Ländern wirtschaftlich Erleichterung verschafft haben; der Gesamteffekt für die Weltwirtschaft war desaströs. Das Volumen des Welthandels fiel um einen zweistelligen Prozentsatz.
Insgesamt werteten mehr als 70 Länder ihre Währungen ab. „Ein stabiles Wechselkurssystem wurde durch politische Unsicherheit ersetzt“, schreiben Kris Mitchener und Kerstin Wandschneider („Currency Wars and Trade“) in einer aktuellen Arbeit. „Um ein für alle Länder besseres Ergebnis im Außenhandel zu erzielen, wäre wohl ein Maß an Koordinierung erforderlich gewesen, das in den frühen Dreißigerjahren eindeutig fehlte.“ Gegenwärtig geht eine Epoche jahrzehntelanger Koordinierung zu Ende.