Debatte um „Brandmauer“: Soll die Wirtschaft mit dieser AfD reden oder nicht?

„Verantwortungslos“, „naiv“, „geschichtsvergessen“, „zum Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ – die Entscheidung des Verbandes „Die Familienunternehmer“, künftig mit der AfD zu reden, hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann versuchte am Dienstag die Gemüter zu beruhigen: „Unsere Meinung über die AfD hat sich nicht geändert. Ihre Politik ist demokratieschädigend und wirtschaftsfeindlich. Der einzige Unterschied ist jetzt: Wir sagen ihnen ins Gesicht, was wir von ihrer Politik halten“, hob Ostermann gegenüber der F.A.Z. hervor.
Man wolle künftig „mit einzelnen AfD-Fachpolitikern ins Gespräch kommen“, erläuterte die Präsidentin, in deren Verband rund 6500 Unternehmen organisiert sind. Im Oktober war der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Leif-Erik Holm, zu Gast auf einem parlamentarischen Abend der Familienunternehmer in Berlin gewesen. Gesprächsthema war die von Kanzler Friedrich Merz (CDU) ausgerufene wirtschaftspolitische Wende.
„Wer gar nicht mehr redet, hat inhaltlich aufgegeben, gerade diejenigen überlassen das Feld den Extremisten“, begründete Ostermann die Entscheidung ihres Verbandes, die bisherige Strategie der Kontaktvermeidung aufzugeben. Reden heiße nicht zusammenarbeiten, hob die Chefin der Familienunternehmer hervor. Doch seien die Zeiten vorbei, in denen man die Debatte verweigern könne und „wehr- und tatenlos auf eine Verbesserung der Wahlergebnisse hofft“.
Kluft zwischen Ost und West
Der neue Umgang mit der AfD sei im Frühjahr vom Bundesvorstand, den Landesvorsitzenden und den Kommissionsvorsitzenden beschlossen worden, sagte Ostermann. Es sei aber nicht daran gedacht, AfD-Politiker auf Podien zu holen, stellte ein Verbandssprecher klar. Die Rückmeldungen aus der Mitgliedschaft unterstützten das neue Vorgehen, sagte die Präsidentin. Nur sehr vereinzelt habe man gegenteilige Reaktionen bekommen, ergänzte der Sprecher der Familienunternehmer. Offenbar gibt es aber eine Kluft zwischen Ost und West. In den ostdeutschen Landesverbänden sei es schon lange Praxis, auch mit der AfD zu reden, stellte der Sprecher des Bundesverbandes klar.
Die Familienunternehmer in Nordrhein-Westfalen hingegen gingen auf Distanz: „Bisher gab es in NRW keine Gespräche, und ich sehe derzeit auch keinen Anlass hierzu“, sagte der Landesvorsitzende David Zülow dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wir wollen mit denen weder regieren noch kooperieren“, fügte er hinzu. Wirtschaftspolitisch liege man mit der AfD „meilenweit auseinander“, erläuterte Zülow. Der Landesverband der Familienunternehmer in Rheinland-Pfalz hingegen stärkte Ostermann den Rücken. Nur wer die Argumente der AfD offen diskutiere, könne ihre Schwächen klar aufzeigen.
AfD-Chefin Alice Weidel dankte den Familienunternehmern für ihren Mut. Der Verband habe „ein starkes Zeichen für Meinungsfreiheit und unzensierten demokratischen Wettbewerb gesetzt“. AfD-Wirtschaftspolitiker Holm sprach von einem „wichtigen Zeichen für die notwendige Politikänderung“. Die strukturellen Probleme seien zu groß, „als dass man sich mit unsinnigen Brandmauern aufhalten könnte“. Viele Unternehmer seien von Kanzler Merz bitter enttäuscht.
Entschiedener Widerspruch aus der Wissenschaft
Weidel und Holm forderten andere Verbände auf, dem Beispiel der Familienunternehmer zu folgen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Wirtschaft und Mittelstand das Gespräch auch mit Vertretern der Opposition suchten, „noch dazu, dass die AfD mehr als ein Viertel der Wähler vertrete“, mahnte die Parteichefin. Holm sagte, er könne nur allen raten, „verhängte Denkverbote ad acta zu legen und in der Sache über vernünftige Lösungen zu diskutieren“.
Aus der Wissenschaft kommt entschiedener Widerspruch. Er halte es „für verantwortungslos oder zumindest für politisch bemerkenswert naiv, den rechtsextremen und populistischen Kräften eine Bühne zu eröffnen, sagte der Wirtschaftsethiker und Professor für Betriebswirtschaftslehre, Markus Scholz (Technische Universität Dresden), der F.A.Z. „Wir sehen bereits, wie die AfD diese Aufmerksamkeit medial verwertet und für ihre eigenen Zwecke zuspitzt“, mahnte der Wirtschaftswissenschaftler. Kontakte zur AfD abzulehnen, sei keine Diskursverweigerung, sondern der richtige Umgang mit einer Partei, „die ein besonderes Verhältnis zur Wahrheit pflegt“. „Wer systematisch die Idee von Wahrheit infrage stellt, mit dem lässt sich inhaltlich schlicht nicht verhandeln“, argumentiert Wirtschaftsethiker Scholz.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hingegen sagt, man müsse unterscheiden. Unternehmen, gerade auch der Mittelstand, und Verbände hätten immer wieder auf die wirtschaftspolitischen Gründe hingewiesen, die gegen die AfD sprächen: die ablehnende Haltung zur EU und zum Euro, Freihandelsfeindlichkeit und Ablehnung von Fachkräftezuwanderung. Gleichwohl stelle sich die Frage, „ob eine wie auch immer gemauerte Brandmauer im Umgang mit der AfD der Weisheit letzter Schluss sein kann“, sagte ein Sprecher des IW. Es gebe mittelständische Unternehmen, die sprächen auf kommunaler Ebene mit Vertretern der AfD, die politische Verantwortung trügen, etwa über Standortfragen. Dies sei legitim. In diesem Punkt scheine die bundespolitische Debatte hinter der kommunalpolitischen Realität und der in einigen Bundesländern zurückzubleiben.
„Scheindebatte, die von den echten Problemen vollkommen ablenkt“
Beim Spezialfolienhersteller Orafol mit Hauptsitz im brandenburgischen Oranienburg sieht man die Politik in einem „echten Dilemma, in das sie sich selbst manövriert hat“. Dies sagte Unternehmenschef Holger Loclair der F.A.Z. Die Debatte um Kontaktverbote zu politischen Wettbewerbern bewertet er als „eine Scheindebatte, die von den echten Problemen vollkommen ablenkt“. In der Regierungskoalition fehle das Verständnis, dass sozialer Frieden und der Glaube an die Demokratie auch dadurch erschüttert würden, wenn man wirtschaftliche Realität und unternehmerische Leistung ignoriere. Viele fühlten sich von der Politik übergangen und suchten Antworten, im Osten zunehmend bei der AfD. „Diese Stimmen pauschal auszublenden, ist rhetorisch bequem, aber weder realistisch noch respektvoll“, fordert Loclair, der Verantwortung für 1300 Industriearbeitsplätze trägt: „Man muss ihnen nicht folgen, aber man muss sie anhören.“
Auch Thomas Kowalski, Geschäftsführer des Bauunternehmens „Handwerkerunion Halberstadt “ hält den Weg der Familienunternehmer für richtig. Da die AfD in der Fläche auf Wählerstimmen von jenseits der 30 Prozent komme, „dürfte der Anteil der ostdeutschen Unternehmer mindestens genauso hoch sein“. Politische Entscheidungen könnten nur suboptimal ausfallen, wenn ein Drittel der Informationen ausgeblendet werde, weil sie nicht gefielen. Aus Sicht von Kowalski tun die Familienunternehmer nur das, was Grundvoraussetzung allen Unternehmertums sei: „optimale Entscheidungen treffen“.
Ganz andere Töne zum Umgang mit der AfD sind aus der bayerischen Wirtschaft zu hören. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) lehnt jedweden Austausch mit Vertretern der Partei „ohne Wenn und Aber“ ab. „Als Wirtschaftsverband setzen wir uns mit niemandem an den Tisch, der rechte Parolen propagiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird“, sagte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt der F.A.Z. Mit der AfD drohe wirtschaftspolitisch ein Rückfall in nationalstaatliches Denken sowie Propaganda gegen die EU und den Euro. Auch die Schörghuber Gruppe – dem Münchner Familienunternehmen gehört die Paulaner Brauerei und ein Immobilienbestand im Wert von 3,6 Milliarden Euro – steht nach Angaben eines Sprechers nicht im Dialog mit der AfD.
Unter den großen Wirtschafts- und Unternehmensverbänden scheinen die Familienunternehmer bislang keine Gleichgesinnten zu haben. Einschätzung und Umgang mit der AfD hätten sich in den vergangenen Monaten nicht geändert, teilte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit. „Wir suchen nicht proaktiv den Austausch mit der AfD, teilte ein Sprecher mit. Die AfD sei „kein Partner für den Mittelstand“, sagte die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann (CDU), dem „Handelsblatt“.