Dean Phillips: „In der amerikanischen Politik dulden die Parteien keinen Dissens“

Dean Phillips, 55 Jahre alt und Demokrat, sitzt für den Bundesstaat Minnesota im US-Repräsentantenhaus. Bei den Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei trat er gegen Joe Biden an. Biden sei zwar ein hervorragender Präsident, aber zu alt, um gegen Donald Trump gewinnen zu können – diese Position machte Phillips zum Außenseiter in der eigenen Partei. Er gewann keine einzige Vorwahl und musste seinen Wahlkampf kurz nach dem Super Tuesday aufgeben.

Einige Monate später scheint die Geschichte Phillips recht zu geben: Der Präsident tritt aus Altersgründen nicht mehr an. Die neue, jüngere Kandidatin heißt Kamala Harris. ZEIT ONLINE trifft Phillips beim Parteitag der Demokraten in Chicago. Auf der Rednerliste steht er nicht. Und doch wird das Gespräch immer wieder unterbrochen, weil Besucher Phillips um ein Selfie bitten.

ZEIT ONLINE: Herr Phillips, was dachten Sie, als Sie vor ein paar Wochen das TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden sahen?

Dean Phillips: Meine erste Reaktion war: Warum sind alle so überrascht? Was man da sah, waren Dinge, die ich seit Jahren sehe. Wie Joe Biden abbaut, also physisch, nicht kognitiv. Und ich war sicher nicht der einzige Mensch in den USA, dem es so ging. Ich hatte mir aber nicht vorstellen können, dass sich die Dinge danach so grundlegend ändern würden.

ZEIT ONLINE: Sie sprachen sich schon im vergangenen Jahr gegen eine erneute Kandidatur Joe Bidens aus und entschieden sich schließlich, selbst gegen ihn anzutreten. Damals galten Sie als Nestbeschmutzer. Wie geht es Ihnen heute damit?

Phillips: Meine Großeltern haben immer gesagt, dass man durch den Regen gehen muss, um zum Regenbogen zu kommen. Ich bin durch eine Menge Regen gegangen. Was ich gemacht habe, war unbequem. Das waren dunkle Tage – für mich, für meine Familie. Aber es ist ein befriedigendes Gefühl, zu wissen, dass ein solcher Schritt am Ende genau zu der Veränderung führen kann, die man anstrebt. Jetzt, mit einer neuen Kandidatin, können wir alle den Regenbogen sehen.

ZEIT ONLINE: Woraus bestand der Regen, den Sie abbekamen?

Phillips: In der amerikanischen Politik dulden die Parteien keinen Dissens. Ich habe Joe Bidens Kandidatur in Zweifel gezogen und mich damit gegen meine Partei gestellt. Das wurde nicht gern gesehen. Ich glaubte, dass meine Partei im Unrecht war – und meine Partei glaubte, dass ich im Unrecht war. Ich habe für den Wahlkampf sogar einen Führungsposten in der Fraktion aufgegeben. Aber wir leben in einer Kultur, in der zu viele darauf bedacht sind, ihre Karriere zu schützen, statt ihre Prinzipien zu wahren.

ZEIT ONLINE: Sie zogen Ihre eigene Bewerbung nach wenigen Monaten wieder zurück. Glaubten Sie ernsthaft, eine Chance gegen Biden zu haben?

Phillips: Es ging nicht darum, gut abzuschneiden. Meine Mission bestand darin, die Schleusen für einen alternativen Kandidaten zu öffnen. Das Maß des Erfolgs sehen Sie hier und jetzt auf dem Parteitag. Ich war ein Paul Revere, der die Amerikaner vor der Ankunft der Briten gewarnt hat.

ZEIT ONLINE: Sie beziehen sich auf den amerikanischen Revolutionär, der zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs 1775 in der Gegend um Boston von Dorf zu Dorf ritt und den Amerikanern zurief: „Die Briten kommen!“

Phillips: Genau. Ich habe versucht, die Alarmglocken zu läuten. Ich war nur der Bote, der diese Nachricht überbringen wollte. Insofern bin ich nicht enttäuscht, jetzt nicht der Kandidat zu sein. Sondern froh, dass es nicht Joe Biden ist.