Correctiv-Recherche zu Missbrauch im EU-Parlament: Spitzname „Bumsberger“

Ende April machte ein Foto auf X die Runde. Darauf zu sehen: ein Kondom auf dem Boden der Kantine des EU-Parlaments. Eine Mitarbeiterin der Kommission kommentierte das wie folgt: „What happens in the EP, stays in the EP.“ Haha, Sex am Arbeitsplatz! Das fand die Gute wohl lustig. Dabei zeigt eine aktuelle Recherche von Correctiv, wie sehr sie mit dieser Aussage recht hatte. Wenn auch unfreiwillig.

Die Kolleg*innen haben einen langen Artikel veröffentlicht, in dem etliche Fälle von sexueller Belästigung aufgezählt werden, begangen von EU-Abgeordneten und ihren Mitarbeitern. Dass so etwas in Brüssel nicht selten vorkommt, ist keine Neuigkeit. Die Initiative MeTooEP hatte im März eine Umfrage unter 1.100 Beschäftigten des Parlaments veröffentlicht, zwei Drittel davon waren weiblich. Ergebnis: Knapp 15 Prozent hatten bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren, sieben Prozent sogar körperliche Gewalt. In den meisten Fällen passierte danach: nichts.

Was ist das für ein Verein, der uns die Länge und Dicke von Bananen vorschreibt, aber jahrelang Beschwerden über sexuelle Übergriffe unter den Teppich kehrt? Der ein oder andere Politiker, der seine Finger nicht bei sich lassen konnte, wurde vielleicht mal „wegbefördert“. Aber sanktioniert wurde kaum jemand: In der laufenden Legislaturperiode wurden NULL Abgeordnete wegen sexueller Belästigung belangt.

Ernsthaft, wenn ich einer dieser jungen Hipster wäre, die ständig mit EU-Hoodie durch die Gegend laufen, würde ich spätestens nach der neuen Correctiv-Recherche zusehen, dass ich das Ding im Kleidercontainer entsorge. Übrigens sind nicht nur Männer unter den Beschuldigten.

Der Fall Karolin Braunsberger-Reinhold

Das zeigt der Fall der CDU-Abgeordneten Karolin Braunsberger-Reinhold aus Sachsen-Anhalt. Spitzname: „Bumsberger“. Die soll sich auf der „Weinmeile“ in ihrer Heimat gepflegt die Kanne gegeben und dann zwei Mitarbeiter, eine Frau und einen Mann, belästigt haben. Sie sei bisexuell und wolle „flachgelegt werden“, soll sie ihrer Assistentin gesagt haben. Auf dem Rückweg fasste sie der Mitarbeiterin angeblich an die Brust. In einem funktionierenden Unternehmen wären sofort Betriebsrat und Gleichstellungsbeauftragte tätig geworden. Im EU-Parlament brauchte es die Bild, um den Fall Anfang März öffentlich zu machen.

Eigentlich gibt es im EU-Parlament ein Gremium, das sich mit Leuten wie Frau „Bumsberger“ beschäftigt: den Beratungs-Ausschuss für Belästigungs-Beschwerden. Der war in ihrem Fall sogar tätig geworden, entschied aber, die CDU-Politikerin laufen zu lassen. Begründung: Die „Schwere der Konsequenzen“ für sie stünde in keinem Verhältnis zum Vergehen. Das Problem: Nur wenn der oben erwähnte Ausschuss einstimmig dafür ist und sich die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola seinem Urteil anschließt, wird der oder die Beschuldigte sanktioniert. Sonst passiert nur was, wenn die Medien die Sache aufgreifen. Und das passiert auf EU-Ebene viel zu selten. „Es ist, als ob sich ganz Brüssel an Übergriffe gewöhnt hat“, sagt eine Betroffene.

In der Correctiv-Recherche geht es auch um einen Vertrauten von Angela Merkel, der bei einem Empfang der Energieindustrie auf dem Place du Luxembourg einer Kommissionsmitarbeiterin an die Taille gefasst und gefragt haben soll, ob sie nicht seine Bekanntschaft machen wolle. Spoiler: Wollte sie nicht. Aber weil der Merkel-Freund in dem Artikel nicht namentlich genannt wird, wird er wohl weiter seinen Ruhestand genießen. Bitte, Frau Merkel: übernehmen Sie.

Super Safe Space

Dorian Baganz studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und recherchiert dort vornehmlich zu Klimathemen und sozialen Umbrüchen. Die Kolumne Super Safe Space schreibt er im Wechsel mit Alina Saha, Elsa Koester und Tadzio Müller.