Ist die Zinssenkung dieser EZB ein Fehler?

An diesem Donnerstag entscheidet die Europäische Zentralbank (EZB) über die Leitzinsen – und sie dürfte zum ersten Mal seit 2016 die Zinsen senken. Und zwar um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent für den Einlagensatz, der auch für die Sparzinsen eine gewisse Rolle spielt. „Das ist so gut wie sicher“, sagt Frederik Ducrozet, Ökonom der Bank Pictet. Ein zentrales Argument, dass es so kommt: EZB-Präsidentin Christine Lagarde und viele Ratsmitglieder haben sich mit Ankündigungen in diese Richtung sehr weit vorgewagt.

Und die Notenbank überrascht die Finanzmärkte aus Sorge um Turbulenzen nur äußerst ungern. „Die EZB hat die Märkte gut auf eine erste Zinssenkung vorbereitet“, sagte Bastian Freitag, Head of Fixed Income Germany bei Rothschild & Co Wealth Management. Allzu viel über den weiteren Zinspfad wird sie am Donnerstag aber wohl nicht verraten, schreibt die Commerzbank in einer Analyse.

Die ersten sprechen von einem „Fehler“

Auf dem Kurznachrichtendienst X tauchten unterdessen schon Stimmen auf, die eine EZB-Zinssenkung am Donnerstag für einen „Fehler“ halten und die starke Festlegung im Voraus für eine schlechte Idee. Zwei Argumente werden dabei angeführt: Zum einen sind die Tariflöhne zuletzt wieder stärker gestiegen. Die höheren Löhne könnten zu höheren Preisen führen. Zum anderen hat auch die Inflationsrate im Euroraum im Mai erstmals seit Dezember 2023 wieder zugelegt, nach einer ersten Schätzung von 2,4 auf 2,6 Prozent. Nicht viel, und sogenannte statistische Basiseffekte spielen eine Rolle, aber der Wert ist doch wieder weiter vom EZB-Ziel von 2 Prozent entfernt.

Wenn man mit Ökonomen spricht, halten viele eine Zinssenkung am Donnerstag für sinnvoll, es gibt aber auch andere Einschätzungen. „Vermutlich wird sich die Zinssenkung diese Woche in der Rückschau als Fehler erweisen“, sagt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Dafür sprächen mehrere Argumente: Erstens stiegen die Verbraucherpreise ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel seit Jahresanfang wieder stärker – und zwar mit einer aufs Jahr hochgerechneten Rate, die mit 3,5 Prozent deutlich über dem Inflationsziel der EZB liege. Zweitens habe sich der Anstieg des Tariflohnindex für den Euroraum im ersten Quartal wieder auf 4,7 Prozent beschleunigt. Ein Abwärtstrend sei in den Tariflohnsteigerungen noch nicht zu erkennen. Und drittens stiegen die konjunkturellen Frühindikatoren: „Damit nimmt das Risiko zu, dass die Unternehmen bald wieder über mehr Preissetzungsmacht verfügen.“

Spät, aber stark reagiert

Das scheint aber nicht die Mehrheitsmeinung zu sein. „Aus meiner Sicht ist es kein Fehler, wenn die EZB jetzt einen ersten Zinsschritt nach unten macht“, sagte Michael Holstein, Chefökonom der DZ Bank. Der Rückgang der Inflationsrate sei weit fortgeschritten. „Kein Fehler“, sagt auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Bankhauses Berenberg: Er glaubt, die EZB habe zwar zu spät, dann aber zu stark reagiert – die Inflation hätte sich auch mit einem Einlagensatz von 3 oder 3,5 Prozent zurückgebildet. „Eine Zinssenkung am Donnerstag ist bitter nötig, da das aktuelle Zinsniveau mit 4 Prozent sehr hoch ist und vor allem den Bau und die Investitionstätigkeit übermäßig belastet“, sagte Karsten Junius, Ökonom der Bank J. Safra Sarasin.

Sogar Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich auf einem Wirtschaftsforum zu dem Thema: „Ich denke, dass die EZB den Leitzins in naher Zukunft senken wird und hoffentlich weitere Zinssenkungen folgen werden“, sagte er. Die Finanzmärkte hatten noch im Januar sechs EZB-Zinssenkungen zu 0,25 Prozentpunkten für dieses Jahr eingepreist, nun sind es nicht mal mehr ganz drei.

Source: faz.net