Brechts „Herr Puntila“ am Deutschen Schauspielhaus
Obwohl sie gar nicht witzig ist, wusste Bertolt Brecht aus seiner Erkenntnis, dass Arm und Reich einfach nicht zusammenpassen, ein geistvoll-humoristisches Volksstück zu machen. In der ersten Fassung sollte es „Der Regen fällt immer nach unten“ heißen, schließlich bekam es den Titel „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, ist zum Lachen wie zum Schreien und neben der „Dreigroschenoper“ eines seiner erfolgreichsten Dramen.
Ob das vielleicht ein wenig daran liegt, dass dem Alkohol darin eine wahrhaft fruchtbare Wirkung zukommt? Denn der Grundbesitzer Puntila wird zum pathetischen Menschenfreund, wenn er besoffen, jedoch zum knallharten Ausbeuter, wenn er „sternhagelnüchtern“ ist. Auf der Flucht aus Nazideutschland schrieb Brecht das Stück in Finnland – nach Erzählungen und einem Entwurf von Hella Wuolijoki, die ihn im April auf ihrem Landgut aufnahm. Dort hing er wie süchtig am Radioapparat und verfolgte die Nachrichten über den Zweiten Weltkrieg und über die Entwicklungen der Arbeiterschaft mit ihrer partiellen Begeisterung für den Nationalsozialismus.
Hauptsache, der Sprit haut rein!
Auch in der klugen, bilderprächtigen Inszenierung der Intendantin Karin Beier am Schauspielhaus Hamburg hört man es knattern und pfeifen, wenn der Schauspieler Josef Ostendorf als Schmuggleremma sein Radiogerät einschaltet und die von Jörg Gollasch atmosphärisch aufgefächerte Tonspur eine ferne Mischung aus Märschen, militärischen Reden und zackigen Nachrichten bereithält. Historisch wachsam und vor der grassierenden Geschichtsvergessenheit auf der Hut, weist Karin Baier damit auf die Umstände der Entstehung hin, während sie den Diskurs über den Klassenkampf, den Brecht überaus poetisch in der finnischen Landschaft verankerte, in ein elegisches Endspiel verwandelt. Im deprimierend zugemüllten Bühnenbild von Johannes Schütz ragen zwischen Säcken mit Abfall ein derangierter Wohnwagen und der metallene Umriss eines Hauses ohne Dach und Wände auf: Ein Ort des Untergangs.
Das Licht ist stumpf und düster, durch den Hintergrund ziehen manchmal triste Wolken als Projektionen. Hier, wo sich Fuchs und Hase eine schlechte Nacht wünschen, sitzt Puntila und säuft sich die Welt schön. Joachim Meyerhoff schüttet sich den Aquavit wie Wasser in den Mund oder taucht den Kopf in eine Schüssel mit Bowle – Hauptsache, es haut rein! So leutselig im Rausch, so eisig wird Puntila auf dem Trockenen, lagert erst salopp auf dem Stuhl herum, ehe er zum Herrenmenschen wird, der keine proletarische Emanzipation duldet.
Für den Schauspieler ist das ein großer Spaß: Meyerhoff schuftet und ackert, legt sich ins Komödienzeug, fürs Publikum allerdings wird es auf Dauer ein bisschen anstrengend, weil sich das Bechern und Torkeln und Feixen irgendwann abnutzt. Kristof Van Bovens Matti hingegen ist ganz sehnige Haltung und reservierte Contenance und nie in der Gefahr, den Charmeoffensiven des Puntila zu erliegen. Die beiden verheddern sich in einem famos zelebrierten Ungleichgewicht des Schreckens und hampeln wie auf einer Wippe herum – mal knallt der eine zu Boden, mal hängt der andere in der Luft, aber Matti vergisst nie, wem das Spielzeug gehört.
Und dann fallen sie erschöpft ins ideologische Koma
Ebenso verloren und vereinsamt erscheint die verwegen aufgedrehte Lilith Stangenberg als Puntilas Tochter Eva, die mit einem Attaché verheiratet werden soll, wenn der Vater nüchtern an seinen sozialen Aufstieg denkt und an Matti, den Chauffeur, wenn ihm – alkoholisiert – derlei völlig egal ist. Eine „wohlstandsverwahrloste Furie“ nennt sie Puntila, der behauptet, Bescheidenheit wäre seine bevorzugte Tugend. Da wird es hell im Saal, denn er ist mit Matti auf den Gesindemarkt gefahren, um Hilfskräfte zu rekrutieren. Bestens informiert fragt er nach dem Millionär, der doch im reichen Hamburg zu finden sein müsste.
Vergnügt kokettiert Meyerhoff mit den Zuschauern und bleibt indes als Puntila konsequent der kühle Kapitalist, der sich „fast kommunistisch“ nennt, solange ihn das nichts kostet. Virtuos kreisen um dieses Zweigestirn Jan-Peter Kampwirth, Michael Wittenborn und Maximilian Scheidt als die Frauen, denen Puntila nachsteigt, als die Arbeiter, denen er mal so, mal anders begegnet, und als die bessere Gesellschaft, mit der er es ähnlich hält.
Karin Beier und ihr famoses Ensemble haben genau in Brechts dialektisch raffinierten Theatertext hineingelauscht und schärfen ihn mit abgründigem Schabernack zu einem fatalen Ende hin. Auch wenn Eva frustriert verschwindet und Matti in die Großstadt verduftet, während sich Puntila zu Tode trinkt, werden keine politischen Utopien mehr entworfen. Alle machen sich etwas vor und schmeißen mit Worthülsen um sich, an die sie nicht einmal selbst glauben, deshalb zappeln und hopsen sie wütend und fallen dann erschöpft ins ideologische Koma. So apokalyptisch modern ist Brechts „Puntila“ selten auf eine Bühne gekommen – und das tut dem Stück gut.
Source: faz.net