Bodenpreise | Explosion der Bodenpreise: Friede den Baugruben, Krieg den Goldgruben
Ein unbebautes Stück Land ist heute oft Millionen wert – vor allem in den Städten. Gleichzeitig steigen die Mieten immer weiter. Was bedeutet das für den urbanen Raum? Und vor allem: Was kann man dagegen tun?
Als wäre dieser Ort an diesem Mittag im Februar nicht schon trist genug, hängen sie ausgerechnet jetzt auch noch die Weihnachtsdeko ab. Das raubt dem sogenannten Anschutz-Areal südöstlich des Ostbahnhofs in Berlin nun wirklich das allerletzte bisschen Charme. Was bleibt, sind anonyme Glasbauten, im Bau befindliche Hochhäuser rund um die Mercedes-Benz-Arena, ein Einkaufszentrum, viel Beton und gespenstische Leere.
Eigentlich ein unauffälliger und banaler Ort, dieses Areal zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke, zwischen Spree und den S-Bahn-Gleisen. Ein Quadratmeter davon ist nicht allzu viel Fläche: So groß sind etwa die Lüftungsschächte auf dem Mercedes-Benz-Platz, der wirklich so heißt und im Zentrum des Anschutz-Areals liegt. Und doch wird jedem dieser Quadratmeter heute ein Wert von 14.000 Euro zugesprochen. Nur der Grund. Kein Haus darauf, nichts. Ein Flecken Erde – oder eben Beton.
Nun könnte man sagen: Klingt irre, betrifft aber wohl nur die Geschäfte in der Shopping Mall hier. Und vielleicht noch die paar Büros und die Luxuswohnungen, die hier gebaut werden sollen. Weit gefehlt. Das Areal und sein astronomisch hoher Wert sind nur die besonders klare Erscheinungsform einer Entwicklung, die für die Wohnungskrise und den „Mietenwahnsinn“ in der ganzen Stadt, ja in der ganzen Republik mitverantwortlich ist: immer und immer weiter steigende Bodenpreise.
Bodenpreise und Mieten hängen zusammen
Das Anschutz-Areal liegt mitten in Berlins Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – und damit in einem Viertel, in dem Gentrifizierung, steigende Mieten und das Geschäftsgebaren der großen Wohnungskonzerne seit Jahren dafür sorgen, dass immer mehr Menschen sich ein Leben in der Stadt nicht mehr leisten können. Denn die Miete frisst so viel vom Monatseinkommen auf, da bleibt kaum noch Geld für anderes. Wenig geredet wird dabei oft über den Boden, auf dem die zunehmend unbezahlbaren Mietwohnungen stehen. Dabei spielt der bei der Frage nach bezahlbaren Mieten eine entscheidende Rolle.
Um satte 2.308 Prozent sind die Baulandpreise zwischen 1962 und 2017 im bundesdeutschen Durchschnitt angestiegen. Im Durchschnitt, das heißt: mancherorts weniger, anderswo, und vor allem in den Städten, mehr. Besonders deutlich zeigt das der Blick auf das Extrembeispiel München. Zwischen 1950 und 2017 stiegen die Baulandpreise dort um sagenhafte 39.390 Prozent. Von durchschnittlich drei Euro auf 1.876 Euro pro Quadratmeter.
Rekordstadt München
2000 lag der Anteil, den die Baulandkosten an den Gesamtkosten eines Wohngebäudes ausmachten, bei 28 Prozent. 17 Jahre später waren es bereits vier Prozent mehr. In der Rekordstadt München lag der Anteil im Jahr 2018 sogar bei knapp 80 Prozent. Der Schluss liegt also nahe: Wenn wir von steigenden Mieten sprechen, hat das immer auch mit steigenden Bodenpreisen zu tun. Zusammengetragen hat die Zahlen übrigens einer, der es wissen musste: Hans-Jochen Vogel, 1960 bis 1972 SPD-Oberbürgermeister Münchens und 1972 bis 1974 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
2019, knapp ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte Vogel seine Streitschrift Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar. Vogels Analyse ist bis heute aktuell: „Es erstaunt mich noch immer“, schreibt er, „dass diese Baulandpreiszahlen so gut wie keine öffentlichen Protestbewegungen und bisher auch keinen Medienaufruhr verursacht haben.“
Der Boden rund um die Mercedes-Benz-Arena war nicht immer so viel wert. Er gehörte ja nicht schon immer jemandem. Selbst als Berlin im 18. Jahrhundert Residenzstadt wurde, lag das Gebiet an der Spree immer noch außerhalb der Stadt, war Acker- oder Weideland. Der Wert des Bodens war gering: Es schien ja genug Land zu geben. Dennoch galt damals wie heute: Grund und Boden können nicht vermehrt werden. Was nicht vermehrt werden kann, das kann irgendwann knapp werden – und damit wertvoll.
„Dieses Rechteck ist jetzt meines“
Den Anfang dieser Entwicklung kann man sich so vorstellen: „Der Bodenmarkt entstand, als irgendwer vier Pflöcke in ein Stück Erde rammte und erklärte: Dieses Rechteck ist jetzt meines. Zuerst verteidigte er seinen Anspruch mit der Waffe in der Hand, später kamen staatlich lizensierte Landvermesser und gaben ihm gegen Entgelt ein Stück Papier.“ So beschreibt es Reinhold Gütter in seinem Buch Wohnungsnot und Bodenmarkt. Es ist eben nicht naturgegeben, dass der Boden jemandem gehören soll. Der Ökonom Henry George etwa kam im 19. Jahrhundert zu dem Schluss: Natürliche Ressourcen können nur der gesamten Menschheit gehören, Besitzer von Land hätten daher eine Bodenwertabgabe an die Allgemeinheit zu leisten.
Doch die kapitalistischen Gesellschaften haben sich nicht an George gehalten, stattdessen machten sie aus dem Boden eine bemerkenswerte Profitquelle – und einen Motor der Ungleichheit. Ricarda Pätzold, die am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) zum Thema Stadtentwicklung forscht, urteilt: „Das ist ein großer Hebel für die weitere Vertiefung von Vermögensungleichheit.“ Denn: „Eine Investition in solchen dynamischen Märkten wie aktuell in den Großstädten kann nicht jeder stemmen. Wenn ich in der Münchner Innenstadt „Mondpreise“ für ein Grundstück bezahle, muss ich entweder jemanden finden, der mir noch mehr bezahlt, oder ich muss etwas sehr Gewinnträchtiges darauf bauen. Unter dem Strich werden aber alle, die bei diesem großen Monopoly-Spiel mitspielen, mal mehr oder weniger hohe Gewinne machen, während der Rest davon gar nichts hat.“
Die Ungleichheit beschrieb schon Karl Marx – und die „ungeheure Macht, die dies Grundeigentum gibt“: „Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den andern einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen.“ Wer Grund hat, der hat Macht – und in Zeiten von Niedrigzinsen und boomenden Großstädten ein Vermögen, das sich vermehrt, ohne dass er etwas dafür tun müsste. Bis das Grundstück 14.000 Euro pro Quadratmeter wert ist.
Früher eine linke Hochburg
Mitte des 19. Jahrhunderts prägen Gleise, Güterschuppen und Bahnarbeiter das Bild des Areals in Ostberlin. Ein Bahngelände in einer zunehmend urbanisierten Gegend. 1842 wird der Ostbahnhof eröffnet, rundherum entstehen weitere Bahnhöfe – manche für den Güter-, andere für den Personenverkehr. Industriebetriebe siedeln sich an, rund um den Ostbahnhof entwickelt sich eine Arbeitersiedlung, eine Hochburg von SPD, USPD und KPD.
160 Jahre später steht dieser Teil Berlins für eine turbokapitalistische Verwertung des Bodens. Von den Gebäuden und Gleisen ist kaum noch etwas übrig, jetzt hat hier der Online-Versandhändler Zalando seine Zentrale. Nur ein denkmalgeschütztes kleines Häuschen ist noch übrig. Darin übernachteten früher die Bahnarbeiter. Jetzt verschwindet es zwischen den Neubauten.
Wie kann es sein, dass ein Grundstück, das einst ein Gewerbegebiet war, nun mit 14.000 Euro pro Quadratmeter bewertet wird? Das hängt einerseits damit zusammen, wie Bodenpreise ermittelt werden. Und andererseits mit der Stadtentwicklung in den Neunziger- und Nullerjahren. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung gehört das Gelände der Bahn und ist damit in öffentlicher Hand – zumindest bis zur Bahnreform. Dann wird das Grundstück privatisiert.
Aus dem Güterbahnhof wird eine Event-Arena
Ist von Bodenpreisen die Rede, geht es meist um den sogenannten Bodenrichtwert, der jährlich von einem Gutachterausschuss erarbeitet wird. Dabei fließt die Lage eines Gebiets ein, aber auch die Infrastruktur, genauso ob es sich um ein Gewerbegebiet oder ein Wohngebiet handelt. Was den Bodenrichtwert außerdem beeinflusst: Grundstücksverkäufe des vorangegangenen Jahres. Werden also viele Grundstücke innerhalb eines Gebietes teuer verkauft, steigt dadurch der Bodenrichtwert – selbst wenn extreme Spekulationspreise dabei herausgerechnet werden.
Der Bodenrichtwert gibt Auskunft über den angenommenen Wert eines Grundstücks – ein fester Kaufpreis ist er nicht. In diesem Fall kauft die Anschutz Entertainment Group das Gelände. Dahinter steht der US-Milliardär Philip Anschutz. Der Bodenrichtwert beim Kauf bewegt sich wohl um die 90 Euro pro Quadratmeter, das Gebiet wird als Gewerbegebiet eingestuft, auf dem Dienstleistungen angeboten werden dürfen. 2004 verabschiedet der Berliner Senat einen Bebauungsplan. Aus dem Gelände, das einst Güterbahnhof war, wird ein Mischgebiet mit Gewerbe und etwas Wohnraum. Im Jahr 2006 beginnt der Anschutz-Konzern mit dem Bau einer Veranstaltungsarena, in der später der Anschutz-eigene Eishockeyclub Eisbären Berlin oder auch Helene Fischer auftreten werden. 2006 liegt der Bodenrichtwert bereits bei 900 Euro – eine Verzehnfachung des Investments von Anschutz.
Monopoly
Antikapitalismus Im Jahr 1904 lässt die US-amerikanische Stenotypistin Elizabeth Magie ein von ihr entwickeltes Brettspiel patentieren. Es heißt „The Landlord’s Game“, das Hausbesitzerspiel. Die Felder sind Grundstücke oder Bahnhöfe, die man kaufen kann – und für die man dann von den Mitspieler:innen Miete kassiert. Das klingt sehr nach Monopoly. Das „Landlord’s Game“ ist sein Vorläufer – und von einer ganz anderen Vision angetrieben. Denn Elizabeth Magie ist Anhängerin der Theorien des Ökonomen Henry George. Der konstatierte in seinem 1879 erschienen Buch Fortschritt und Armut: „Was jede Zivilisation vor uns zerstört hat, war die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht.“ Entscheidend dafür ist in seinen Augen der Grundbesitz, der diejenigen immer reicher macht, die Eigentum an einem Gut, das eigentlich der Allgemeinheit gehört, erlangt haben. Sein Lösungsansatz: Grundstücke sollten nach ihrem Wert – der schließlich ebenfalls durch die Gesellschaft etwa in Form von Straßen, Strom- und Wasserleitungen geschaffen wird – besteuert werden. Jährlich und hoch.
Diese Ideen will Elizabeth Magie mit „The Landlord’s Game“ unter die Leute bringen und liefert zwei unterschiedliche Anleitungen mit. Eine kapitalistische und eine georgistische, bei der immer alle profitieren, wenn ein Spieler oder eine Spielerin Geld einnimmt. Fortschritt für alle statt Monopole oder Ruin. Doch während sich Monopoly durchsetzt und bis heute Missgunst in Wohnzimmern auf der ganzen Welt sät und schon Kindern beibringt, dass die einen nur auf Kosten der anderen gewinnen können, hat die georgistisch geprägte Version nie den Durchbruch geschafft – jedenfalls bisher noch nicht.
Über die Jahre verkauft der Investor Teile des Grundstücks, das Gebiet wird immer weiter erschlossen. Ein Einkaufszentrum und die Firmenzentrale von Zalando entstehen, Mercedes Benz mietet sich ein. 2013 liegt der Bodenpreis bei 1.200 Euro, 2018 bei 7.000, 2019 bei 10.000. Und nun also 14.000.
Das mag astronomisch wirken, ist aber eigentlich nur logisch: Wo eine derartig hohe Rendite in Zeiten niedriger Zinsen möglich ist, wird jede Baugrube zur potenziellen Goldgrube. Lange Zeit wurden Grundstücke in der Hoffnung auf steigende Preise gar nicht erst bebaut, sondern einfach brach liegen gelassen. Nach zehn Jahren fallen auf den Verkauf zumindest für Privatpersonen nicht einmal mehr Steuern an. Oder es wird eben eine weitere renditeträchtige Immobilie entwickelt. Mit den Bedürfnissen der Menschen in einer Stadt hat das alles nicht viel zu tun.
Auch das kann man auf dem Anschutz-Areal beobachten. Dort entstehen zwar Wohnungen, die real existierende Wohnungsnot lindern werden sie aber kaum. Und das nicht, weil sie in der tristen Februar-Realität noch eine Baustelle sind. In den Luxusankündigungen der Immobilienentwickler wird die Zukunft schon in rosigen Farben ausgemalt: „Auf einem der letzten freien Grundstücke an der Spree in Friedrichshain macht UPSIDE BERLIN einen ganz besonderen Traum wahr: Leben im Wohnturm in unmittelbarer Nähe zum Wasser und mit spektakulärem Blick über die Stadt.“ Das Grundstück wird da zum Verkaufsargument – ein gutes, wie es scheint: Eine 64-Quadratmeter-Wohnung kostet hier knapp 900.000 Euro. Pro Quadratmeter werden die Apartments hier für zwischen 9.855 Euro (die günstigste) und gut 14.000 Euro zum Verkauf angeboten. 23 Stockwerke hat das Haus, da rechnen sich auch die hohen Bodenpreise. Und die erhöhen sich durch die teuren Verkäufe weiter.
Urban ist das neue Viertel nicht
Verkaufsargument für die Luxuswohnungen ist neben der Ausstattung und dem Wasserpanorama die Lage: „auf dem Areal zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke in Friedrichshain“ sei „in wenigen Jahren ein neues Stadtquartier entstanden. Ein inspirierender Mix aus Wohnen, Arbeiten und Unterhaltung. Start-ups und Big Player wie Mercedes-Benz, Universal Music und Zalando definieren hier ein neues Lifestyle-Business“, so geht es weiter in jener Immobilienmakler-Diktion, die versucht, die Inwertsetzung des Bodens als Gewinn auch für Mieter und Anrainer zu verkaufen: Man wohne hier künftig „vis-à-vis der größten Open-Air-Kunstgalerie der Welt, der East Side Gallery“.
Besagte East Side Gallery auf dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer ist in den vergangenen Jahren zwischen all den Neubauprojekten immer unscheinbarer und kleiner geworden. Auch sonst nehmen sich die angepriesenen Superlative eher ernüchternd aus. Zumindest in der Februar-Realität fehlt dem „Stadtquartier“ vieles von dem, was Berlin sonst ausmacht: die Wuseligkeit, das Aufeinanderprallen unterschiedlichster Welten. Zwischen „Berlins größter Multifunktionshalle“ und „einem der größten Einkaufscenter der Stadt“ wird gerade an einem Büroturm gebaut. In einigen der Fenster hängen noch die Banner der Firma, die für die Glasfassade verantwortlich ist. „Seele“ steht darauf. Das ist gut, das braucht es hier.
Denn die hohen Bodenpreise sind nicht nur eine Bedrohung für den bezahlbaren Wohnraum in der Stadt, sondern auch für Urbanität im Allgemeinen: für das lebenswerte Bild der Stadt, so wie wir es kennen. Denn wie sollen ein kleiner unabhängiger Buchladen, ein Café oder eine Imbissbude sich die horrenden Mieten leisten können? Das können nur Ketten und Konzerne. Unbezahlbarer Wohnraum, seelenlose Städte – das sind die Folgen, wenn Boden wie eine beliebige Ware am Markt gehandelt wird. Dazu kommt die wachsende Ungleichheit, die dadurch befeuert wird, dass Einkommen aus Vermögen – sprich: Grund- und Immobilienbesitz – schneller wächst als Einkommen aus Arbeit. Es liegt also auf der Hand, dass etwas getan werden muss.
Grund und Boden sind keine Ware wie jede andere
Doch damit tut sich die Politik seit Jahren schwer. Dabei ist die Erkenntnis, dass Grund und Boden keine Ware wie jede andere sein sollte, weder neu noch sonderlich umstritten. „Die Grundstückspreise in der Bundesrepublik Deutschland steigen in einem Maße, dass es nicht zu verantworten ist, diese Gewinne unversteuert in die Taschen einiger fließen zu lassen“, sagte kein Geringerer als Franz Josef Strauß schon im Jahre 1970. Damit lag er ganz auf Linie mit der bayerischen Landesverfassung, in der es in Artikel 161 heißt: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind abzustellen.“ Und außerdem: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“
Diesem Geist entsprach auch eine Novellierung des Bundesbaugesetzes, die Hans-Jochen Vogel in seiner Zeit als Bauminister 1974 ins Spiel brachte. Darin enthalten war eine sogenannte Planungsgewinnabgabe. Die Idee dahinter: Wenn ein Grundstück durch öffentliche Investitionen in die Infrastruktur nutzbar beziehungsweise wertvoller wird, dann müssen die Eigentümer des Grundstückes etwas von der Wertsteigerung abgeben. Das Gesetz scheiterte allerdings im Vermittlungsausschuss.
50 Jahre später hat die Politik noch immer kein geeignetes Mittel gegen den Anstieg der Bodenpreise gefunden. Als Norbert Walter-Borjans, damals einer der zwei Vorsitzenden der SPD, Anfang 2020 eine Bodenwertzuwachssteuer ins Spiel brachte, erntete er in der Öffentlichkeit vorwiegend empörte Reaktionen.
So funktioniert Gemeinwohl
Wie kommt es, dass ein Problem seit Jahrzehnten als solches identifiziert ist, sich daran politisch aber trotzdem nichts ändert? Ricarda Pätzold vom Difu beobachtet ebendiese politische Dynamik schon länger. Sie sagt: „Immer wenn es eine Knappheit am Wohnungsmarkt gibt, dann rückt das Thema Boden wieder in den Fokus. Und dann merkt man, dass das Thema viele Eigentumsgrundsätze berührt – und ist wieder erschüttert ob der Tragweite.“ Bodenpolitik sei nun mal kein einfach zu bewegendes Thema, meint sie. Paradoxerweise: Es gebe einen absurden Reflex, nämlich, dass man gegen den Willen der Mehrheit agieren würde, wenn man die Bodenpolitik gemeinnütziger gestaltet. „Von diesem Denken müssen wir wegkommen.“
Was aber wären Antworten, die wirken? Ricarda Pätzold kommt in einer Studie gemeinsam mit anderen Forscher:innen zu dem Schluss, dass für Städte und Gemeinden eine aktive Bodenpolitik zentral ist. Städte sollten eigene Liegenschaften nicht länger verkaufen. Werden doch Flächen vergeben, sollte künftig das beste Konzept zum Zuge kommen und nicht mehr das, was am meisten Geld in die Kassen spült. Dies wirke preisdämpfend und entspreche den Zielen des Gemeinwohls, heißt es in dem Bericht. Städte könnten Grundstücke in Erbpacht vergeben oder auch selbst das Bauland entwickeln.
Unter dem Strich steht die Erkenntnis, dass Grundstücke in öffentlicher Hand gut aufgehoben sind. Das zeigt das Beispiel Ulm. Seit über 100 Jahren achtet die Stadt darauf, genügend Flächenreserven zu haben – und hält sich so weitgehend unabhängig von Investoren. „An Ulm kann man vor allem die Langfristigkeit lernen“, sagt Pätzold, „es wird nicht ständig neu darüber debattiert, ob ein Grundstück verkauft wird oder nicht – das ist in anderen Städten und Gemeinden anders“. Das eigene Grundstück wird so zum Trumpf, meint Pätzold. „Das ist natürlich nicht innerhalb von fünf Jahren umsetzbar. Aber man muss es tun, denn von selbst wird sich das nicht regeln.“
Ein anderer Umgang mit Grundstücken in öffentlicher Hand wäre ein mögliches Mittel, um den Anstieg der Bodenpreise einzubremsen. Doch nach Jahren der Privatisierung müssen die Städte auch die Möglichkeit bekommen, sich Flächen wieder zurückzuholen. Zumindest in besonders angespannten Märkten hatten sie dazu bislang auch die Möglichkeit: Durch das Vorkaufsrecht konnten Bezirke Investoren zuvorkommen, wenn diese aus erschwinglichem Wohnraum Luxuseigentum machen wollten. Dank einer Gesetzesnovelle sollte das sogar zum Verkehrswert statt zu Spekulationspreisen möglich sein.
Doch nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist dieses Werkzeug derzeit vom Tisch; es läge am Bundestag, das Vorkaufsrecht gesetzlich neu zu regeln. Am besten sollte zugleich die Unterstützung für die chronisch klammen Kommunen sichergestellt werden, die diese brauchen, um sich tatsächlich Flächen und Wohnraum zurückzuholen. Es wäre eine so sinnvolle wie nachhaltige Investition – für die Städte und für die Menschen.
Hoffnung auf die Ampel
In einem Bereich wenigstens macht auch der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP Hoffnung. Grundstücke, die sich derzeit im Besitz der Bahn befinden, sollen nun nicht mehr verkauft werden. Stattdessen soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben die Gelände selbst entwickeln. Es wäre ein wichtiger Schritt – und ein Umdenken nach Jahrzehnten der Privatisierung.
Die Stadtgesellschaft ist da schon weiter: In Berlin hat sich vergangenes Jahr eine „Stadtbodenstiftung“ gegründet. Sie will möglichst viele Grundstücke in der Stadt in gemeinnützige Hand bringen, damit der Spekulation entziehen und so dafür sorgen, dass dort dauerhaft bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Bürgerschaft statt gesichtsloser Investoren.
Auf dem Anschutz-Areal pfeift der Februar-Wind durch die Häuserschluchten. Kaum ein Mensch ist hier unterwegs. Wieso auch? Nur die Weihnachtslichter werden weiter aus den dürren Bäumen gezogen. Auf zwei Hebebühnen stehen zwei Arbeiter und machen sich an den Lichterketten zu schaffen. „Malaga ist auch richtig hässlich“, sagt der eine zum anderen und fügt hinzu: „Aber es gibt da auch noch schöne alte Fischerdörfer. Doch da sind die Häuser richtig teuer“. Vermutlich ist der Boden dort ziemlich viel wert.
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