Bitoins | „Das Platzen der Kryptoblase wird noch richtig hässlich werden“
Amy Castor kennt sich mit dem Kryptosektor aus wie wenige andere. Sie ist überzeugt: Bitcoin wird noch viel tiefer fallen
Bitcoins, Kryptowährungen, digitale Wertmarken und NFTs: In den vergangenen Jahren hat sich eine ganze Branche entwickelt, die an digitalen Finanzprodukten verdiente. Der Reiz des Ganzen lag für viele darin, dass dieses digitale Geld nicht nur neu, sondern auch unabhängig von traditionellen Banken war, vom Finanzsektor und der Politik.
Doch seit die Inflation steigt und die Zeichen auf steigende Zinsen stehen, stürzt eine Kryptowährung nach der anderen ab. Der Bitcoin-Kurs hat sich in den vergangenen zwölf Monaten halbiert. Woran liegt das? Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer der zusammenbrechenden Kryptoszene? Wenige Leute verstehen mehr von der Materie, ohne ihre kritische Distanz zu verlieren, als die US-amerikanische Finanzjournalistin und Krypo-Skeptikerin Amy Castor.
der Freitag: Frau Castor, ich kriege immer noch jeden Tag E-Mails, dass ich in Bitcoins investieren soll. Ich könnte 7.000 Euro pro Tag damit verdienen, lese ich da. Ist dieser Zug schon abgefahren? Oder kann ich doch noch ein Stück vom großen Bitcoin-Kuchen mitnaschen?
Amy Castor: Ich glaube nicht, dass es jetzt gerade ein guter Moment dafür ist, ins Bitcoin-Geschäft einzusteigen. Der Markt könnte noch viel weiter fallen. Ich und andere Kryptoskeptiker warnen schon seit Jahren davor, dass in dem System viel weniger Cash steckt, als es den Anschein hat. Und ich denke, dass wir gerade den Anfang eines Wettrennens nach dem Motto sehen: Rette sich, wer kann.
Sie schreiben: Die Party ist vorbei. Steht für Sie jetzt fest, dass das alles nur eine Blase war?
Von März 2020 bis November 2021 hat sich der Bitcoin-Preis von von 5.000 Dollar auf 69.000 Dollar verzwölffacht. Jetzt, als der Bitcoin-Preis am 18. Juni zum ersten Mal seit Dezember 2020 wieder unter 20.000 Dollar fiel, haben ich und andere Bilanz gezogen und gesagt: Das bedeutet, dass die Blase offiziell geplatzt ist.
Aber woher nahmen Sie die Gewissheit, dass das eine Blase war?
Das war nicht besonders schwer. Man musste bloß zugucken, wie der Preis stieg und stieg und wie die Leute sich daran aufgeilten. Das Ganze war getrieben von großen Investoren, die ihr Geld in den Kryptosektor gesteckt hatten und dann Marketingsprüche verzapften, die die Medien einfach eins zu eins wiedergaben. Man konnte sehen, dass da nichts dahinter war und sie immer wieder neue Hypes brauchten, um die Blase zu stützen: 2017 waren es die Initial Coin Offerings, mit denen die Leute das Geld einsammelten, später war es „decentralised financing“ (DeFI), dann die Stablecoins, jetzt zuletzt dann NFTs. „DeFI“, das war der Versuch, traditionelle Finanzdienstleistungen wie Kreditvergabe oder Einlagen nachzuahmen. Aber statt regulierte Banken sollten das jetzt anonyme, unregulierte Einheiten tun, durch „smart contracts“ und mithilfe von Stablecoins. Damit spielen wir jetzt die Bankenkrise von 2008 nach.
Sie müssen das etwas genauer erklären. Was zum Beispiel ist denn ein Stablecoin?
Das ist so was wie eine digitale Wertmarke, die ein Unternehmen herausgibt. Tether zum Beispiel: Ein Tether entspricht theoretisch einem Dollar und kann jederzeit gegen einen Dollar eingetauscht werden. Die Leute verwenden Tether und andere Stablecoins, um damit in der Kryptoszene für Dinge zu bezahlen, weil sie das nicht mit ihren normalen Bankkonten machen können. Sie brauchen Tethers, um damit Trades abzuwickeln und damit spekulieren zu können.
Klingt doch erst mal einleuchtend, oder? Tether sagt, der Kurs ist an den Dollar gekoppelt, und alle Tethers sind gedeckt, damit der Kurs stabil ist.
Ja, das Problem ist nur: Niemand weiß, ob dem wirklich so ist. Tether pumpte einfach immer neue Tethers in den Markt, ohne seine Bücher jemals offenzulegen. Im Jahr 2020 gab es vier Milliarden Tethers, im Mai 2022 überstieg die Marktkapitalisierung 83 Milliarden. Das ist eine gigantische Summe! Niemand weiß, ob die wirklich von Einlagen gedeckt waren, weil Tether nie seine Bücher offengelegt hat.
Nun gibt es immer noch Leute, die sagen: Bitcoin ist schon öfters abgestürzt und hat sich bis jetzt jedes Mal wieder erholt …
Diese Leute versuchen einfach nur, das Vertrauen in Bitcoin und andere Kryptowährungen zu stützen. Kryptofans wollen nicht, dass man jetzt verkauft. Denn wenn das ernsthaft beginnt, dann werden die Leute verstehen, dass sie ihr Geld nie mehr wiedersehen werden. Diese Blase unterscheidet sich von früheren Blasen dadurch, dass es jetzt „decentralised finance“ gibt und durch die viel größere Rolle, die Stablecoins jetzt spielen. Wenn eine DeFI-Firma zusammenbricht, bringt sie gleich mehrere andere mit sich zu Fall.
Zur Person
Amy Castor lebt und arbeitet als freie Journalistin in Boston, Massachusetts. Sie beschäftigt sich vor allem mit Kryptowährungen und NFTs. Der Fokus ihrer Arbeit liege auf Betrug, Regulierung und Bankrotten, sagt sie selbst. Bekannt wurde sie durch ihre Berichterstattung über die kanadische Kryptobörse Quadriga CX, die 2018 kollabierte, nachdem ihr Gründer unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Amy Castor taucht auch in dem Dokumentarfilm Dead Man’s Switch darüber auf.
Warum?
Weil es einfach nicht genug echtes Geld im Kryptosystem gibt, als dass die Leute ihr Investment wieder zurückbekommen könnten. Was wir derzeit sehen, ist Nervosität im Markt, auch Angst. Die Kryptofans versuchen mit allem, was sie haben, zu verhindern, dass diese Angst in Panik umschlägt.
Und was haben noch mal die Wale damit zu tun?
Die „whales“, also jene Leute, die noch große Bitcoin-Bestände halten, die sie ganz am Anfang gekauft haben und mit denen sie sehr, sehr reich geworden sind, diese Wale haben ein großes Interesse, den Kurs zu stützen. Aber man sieht jetzt, dass auch die Wale versuchen, noch möglichst viel Geld zu retten, bevor es zu spät ist.
Sie meinten, das könne man auch am Beispiel Tether ablesen?
Ja, auf jeden Fall. Im Mai waren mehr als 80 Milliarden Tethers im Umlauf, jetzt sind wir bei nur mehr 68 Milliarden. Wo sind die hin? Ich glaube, dass Tethers Großkunden wissen, dass es eben nur eine begrenzte Anzahl von Tethers gibt, die wirklich gedeckt sind. Also kommt es darauf an, nicht unter den Letzten zu sein, die dann auf ihren Tethers wie auf ungedeckten Schecks sitzenbleiben.
Wenn Sie richtigliegen, dann werden wir bald rausfinden, ob Bitcoin auch einen anderen Nutzen hat, als Spekulation.
Ich denke, wir wissen schon längst, dass es keinen anderen Nutzen hat als den eines Spekulationsvehikels. Klar, es wurde eigentlich als digitales Zahlungsmittel erfunden, aber niemand hat es wirklich dafür verwendet: Weil es sich dafür nicht eignet. Erstens ist es zu volatil, der Preis schwingt die ganze Zeit wild rauf und runter. Dann ist es ziemlich kompliziert in der Verwendung, weil bei jedem Kauf und Verkauf gegenüber dem Finanzamt gemeldet werden muss, ob man einen Gewinn oder Verlust gemacht hat. Und es gibt keine Absicherung. Bei einer Kreditkarte kriegen Sie Ihr Geld zurück, wenn Sie sich vertun oder wenn Sie über den Tisch gezogen werden. Bei Bitcoins ist Ihr Geld weg.
Das Ganze hat wirklich keinen Nutzen?
Wofür Bitcoins sich noch am ehestens eignen, sind Lösegeldzahlungen. Oder Geldwäsche. Aber sonst? Eigentlich dient das Ganze nur der Hoffnung, dass man damit schnell und mühelos reich werden kann.
Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?
Die Kryptoökonomie funktioniert in weiten Teilen wie ein Schneeballsystem. Jedes Mal, wenn jemand Bitcoins verkauft und also Geld aus dem Kryptosystem rausnimmt, muss er jemanden finden, der neues Geld reinsteckt. Es gibt ja keinen Wert, wofür der Bitcoin steht, er ist keine Aktie, keine Unternehmensbeteiligung oder so etwas, es gibt keine Dividende und es wird auch nichts produziert. Es braucht also einen ständigen Zufluss von neuem Geld. Gerade gibt es aber keine Zuflüsse in die Kryptowirtschaft mehr. Zugleich scheint es so, als müssten einige „Miners“, die die von ihnen geschürften Bitcoins einige Zeit zurückgehalten hatten, die jetzt abstoßen, um Kredite zu bedienen und ihre horrenden Stromrechnungen zu bezahlen. Also verlässt noch mehr Geld die Kryptosphäre.
Lassen Sie uns kurz über die „Miners“, die Schürfer von Bitcoins reden. Hat der Crash auch damit zu tun, dass die Produktionskosten für neue Bitcoins durch die Decke gingen, weil die Strom- und Gaspreise so stark gestiegen sind? Was sind das überhaupt für Leute, die Bitcoin-Schürfer?
Die Schürfer betreiben ihre Computerfarmen überall dort, wo es billigen Strom gibt. Sie waren eine Zeit lang in China, dann sind sie weitergezogen, in Richtung Kasachstan und in ähnliche Länder. Aber auch dort waren sie nicht mehr wohlgelitten, weil sie mit ihrem exorbitanten Stromverbrauch eine Belastung für örtliche Stromnetze darstellten, es kam wiederholt zu Stromausfällen. In letzter Zeit sind sie wieder vermehrt in die USA zurückgekehrt.
Das, was Kryptowährungen auszeichnete – dass sie unreguliert und ohne Zentralbank funktionierten –, erweist sich als Schwachpunkt. Aber kann es nicht sein, dass man das System jetzt reguliert und damit rettet?
Nein, das glaube ich nicht. Aus einem einfachen Grund: Das Geld ist weg! Aus, futsch, vorbei. Es geht nur mehr darum, wen, weil er zu spät kommt, die Hunde beißen. Ich glaube, dass das Ganze echt hässlich werden wird.
Hätten die Aufsichtsbehörden früher eingreifen sollen?
Auf jeden Fall! Schon 2017, als der Bitcoin-Preis auf 20.000 Dollar stieg, erwarteten ich und viele andere, dass die Regulierungsbehörden eingreifen würden. Aber es ist einfach nichts passiert.
Wie wird das Ganze ausgehen?
Viele Leute werden merken, dass sie viel Geld verloren haben. Viele werden wütend sein und nach einem Schuldigen suchen. Also werden sie Einsicht in die Bücher fordern, und sie werden Ermittlungen fordern. Die Aufsichtsbehörden werden dem nachkommen, weil sie selber unter Druck stehen werden, nicht eingegriffen zu haben.
Sie bezeichnen sich selbst als No-Coiners, was heißt, dass Sie keine Bitcoins oder andere Kryptowährungen besitzen. Warum?
Das kam so: Ich habe in der Vergangenheit als Journalistin für eine Reihe von Krypto-Zeitschriften geschrieben, ich war neugierig und wollte wissen, was es mit der ganzen Sache auf sich hat. Also wurde ich manchmal in Bitcoins bezahlt. Ich war also nie eine Investorin. Derzeit besitze ich gar keine Bitcoins mehr. Warum? Weil es einen verrückt macht! Es ist wie eine Droge. Wenn man Bitcoins besitzt, guckt man die ganze Zeit nach: Wo steht der Kurs? Steigt er? Fällt er? Gewinne ich oder verliere ich? Sollte ich verkaufen? Oder vielleicht noch mehr kaufen? Das vergiftet einem das Hirn. Ich will das nicht, also habe ich alle meine Bitcoins verkauft.
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