Bayern-Chef Dreesen: „Ein Jahr ohne Titel können wir verkraften“

Herr Dreesen, am Sonntag spielt der FC Bayern zum Saisonauftakt der Bundesliga in Wolfsburg. Mit welchen Zielen gehen Sie als Vorstandsvorsitzender des mit Abstand größten deutschen Profifußballunternehmens in die neue Spielzeit?

Unsere Zielsetzung ist jedes Jahr die gleiche: Wir wollen immer möglichst alles gewinnen. Der ehrlichste Titel, der über die längste Strecke ausgespielt wird, ist dabei die Deutsche Meisterschaft. Aber auch im DFB-Pokal und in der Champions League nehmen wir uns einiges vor. Was mich zuversichtlich macht: Die Einstellung hat bereits in der ersten Pokalrunde gestimmt. Jetzt geht es darum, schnell und fokussiert Fahrt in der Liga aufzunehmen.

Es heißt im Profifußball oft, Geld schießt Tore. Wie konnte es dann dazu kommen, dass der FC Bayern mit dem höchsten Etat der Liga in der vergangenen Saison nur Dritter wurde?

Es war eine Mischung von verschiedenen Dingen. An der Qualität der einzelnen Spieler hat es sicher nicht gelegen, wir hatten eine Topmannschaft. Aber auch bei hoch bezahlten Fußballprofis kommt es am Ende auf den Teamgeist und die Spielfreude an. Und daran hat es uns in der vergangenen Saison an der ein oder anderen Stelle gefehlt.

Wie sehr schlug diese sportlich verkorkste Saison wirtschaftlich ins Kontor?

Wir waren mit dem sportlichen Abschneiden überhaupt nicht zufrieden. Aber große wirtschaftliche Auswirkungen hatte es für uns vordergründig nicht, selbst wenn uns einige Einnahmen aus Sponsorenverträgen oder zusätzlichen Spielen wie dem Supercup entgangen sind. Wir werden auf der Jahreshauptversammlung im Herbst wieder sehr ordentliche Zahlen vorlegen und den einen oder anderen damit positiv überraschen. Das mag ein bisschen erstaunen. Aber für den deutschen Meistertitel gibt es ja keine Extraprämien.

Ist die Marke FC Bayern etwa schon so stark geworden, dass Sie weitere Titel überhaupt nicht mehr brauchen für den finanziellen Erfolg?

Nein. Ich glaube auch nicht, dass es dazu jemals kommen wird. Das Wichtigste für unser Image, für unsere Strahlkraft, für unser internationales Auftreten und selbstverständlich auch für unsere Fans ist der sportliche Erfolg. Er ist der Kern, die Basis unseres Geschäfts. Ein Jahr ohne Titel können wir in dieser Hinsicht verkraften. Aber wenn wir über mehrere Jahre sportlich nicht erfolgreich wären, dann würde sich das mittel- und langfristig negativ auf unsere Marke und unsere Wirtschaftskraft auswirken.

Nun haben Sie die Schatulle für Spielerkäufe sehr weit aufgemacht. Wie hoch darf das Minus auf dem Transfermarkt ausfallen?

Der Kader war vor dieser Saison eine Herausforderung, deshalb haben wir ordentlich investiert, das ist richtig. Dazu müssen Sie eins bedenken: Für uns ist es nicht entscheidend, den maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Für uns ist es entscheidend, den maximalen sportlichen Erfolg zu erreichen. Das ist der Punkt, in dem sich unser Geschäft fundamental von anderen Branchen unterscheidet. Allerdings gehört es zu unserer speziellen Bayern-DNA, dass wir dabei keine wirtschaftliche Unvernunft walten lassen, sprich kein Minus machen wollen.

Bisher haben Sie rund 140 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben und nur etwa die Hälfte davon mit Verkäufen eingenommen.

Die Transferperiode ist noch nicht beendet. Wir sind finanziell stark genug, um erst kaufen und später verkaufen zu können. Die Grundlage dafür ist durch umsichtiges Wirtschaften in den letzten 25 Jahren gelegt worden. Das gibt uns jetzt die Power, auch ein Stück weit in Vorleistung gehen zu können. Wir haben sehr gute Einkäufe getätigt: Michael Olise ist ein spannender Flügelspieler, der zuletzt bei den olympischen Spielen in Paris begeistert hat; João Palhinha wollten wir schon vor einem Jahr verpflichten, da hat sich der Satz bewährt, dass man sich immer zweimal im Leben sieht; und Hiroshi Ito war sicher einer der Gründe dafür, dass der VfB Stuttgart vergangene Saison weniger Gegentore bekommen hat als wir.

Neuzugang Michael Olise (links) mit Max Eberl, dem Sportvorstand des FC Bayern München
Neuzugang Michael Olise (links) mit Max Eberl, dem Sportvorstand des FC Bayern Münchendpa

Olise und Palinha kommen aus England, genauso wie der neue Trainer Vincent Kompany und in der vergangenen Saison Mittelstürmer Harry Kane. Dabei heißt es stets, in der Premier League würden Fantasiegehälter und überhöhte Ablösesummen gezahlt. Warum lassen Sie sich darauf ein?

Wir haben uns getraut, größere Transfers zu tätigen, von denen wir überzeugt waren. Ich würde uns trotzdem ungern mit Premier-League-Klubs vergleichen wollen, die uns mit ihren Einnahmen aus der TV-Vermarktung erstens Lichtjahre voraus sind und zweitens überwiegend andere Eigentümerstrukturen haben als wir. Wir müssen uns im Unterschied dazu selbst refinanzieren und ohne die Zuwendungen von Staaten oder reichen Privatleuten auskommen.

Sie sind von Haus aus Banker, haben lange im Firmenkundengeschäft gearbeitet. Kane hat rund 100 Millionen Euro gekostet, Olise und Palinha jeweils gut 50 Millionen. Wenn ein Mittelständler mit 1300 Mitarbeitern und 850 Millionen Euro Umsatz – wie der FC Bayern – auf einen Schlag 100 Millionen Euro für eine einzelne neue Anlage ausgeben wollte, was würden Sie als sein seriöser Risikoberater dazu sagen?

Eine Investition von mehr als 10 Prozent des eigenen Umsatzes ist sicher nicht ohne Risiko. Aber im Unterschied zu klassischen industriellen Unternehmungen ist die entscheidende Frage im Fußballgeschäft nicht, wie sich eine Investition im Verhältnis zum Umsatz verhält, sondern ob wir uns diese Investition jetzt leisten können, ob wir dafür liquide genug sind. Und da sage ich: Ja, das können wir – weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und nur Geld ausgeben, das wir vorher eingenommen haben.

Uli Hoeneß hat als Bayern-Manager einst den Spruch geprägt, der Verein bezahle alle seine Transfers vom Festgeldkonto. Ist das bei den Summen, die heute im Spiel sind, auch noch so oder haben Sie sich als Finanzfachmann da etwas Raffinierteres ausgedacht?

Wir könnten uns zweifellos vielfältige Optimierungen für unsere Anlagen ausdenken, die zu mehr Kapitalertrag führen würden. Das ist aber nicht unser Ziel. Unser Ziel ist, wie gesagt, Erfolg im Sport – und natürlich sehen wir zu, dass wir damit auch Geld verdienen. Die wichtigste Aufgabe im Bereich der Finanzen ist für uns deshalb nicht die maximale Kreativität der Kapitalanlage, sondern das intelligente Steuern von Liquidität. Das muss nicht zwingend ein Tagesgeldkonto oder ein 30-Tage-Festgeld sein. Aber wir wollen das Geld für einen Transfer dann parat haben, wenn wir es brauchen und die erste Rate für einen neuen Spieler fällig wird, den wir unbedingt haben wollen. Wir wollen dann nicht in eine kurzfristige Verschuldung gehen müssen, weil unsere Mittel gerade irgendwo vermeintlich besonders gewinnbringend angelegt sind. Uns kommt es deshalb auf immerwährende Verfügbarkeit an. Das hat Uli Hoeneß mit dem Begriff Festgeldkonto gemeint, und das gilt heute noch genauso wie damals.

Derselbe Uli Hoeneß hat vor ein paar Tagen mit der ihm eigenen Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass nicht einmal der FC Bayern einen „Geldscheißer“ hat. Die Erlöse sollen trotzdem von Jahr zu Jahr steigern, der Wettbewerb verlangt’s. Woher sollen die zusätzlichen Millionen in Zukunft kommen?

Erstens aus dem Sponsoring. Wir haben die Einnahmen aus dieser Quelle in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Wir wollen international weitere Sponsoren gewinnen, auch mittels regionaler Sponsorenpräsenz. Technisch ist es mittlerweile dank virtueller Werbung möglich, Bandenwerbung unterschiedlich von Region zu Region, von Land zu Land, für eine Live-Übertragung im Fernsehen zu belegen. Dafür schaffen wir in unseren Sponsorenverträgen nun auch die juristischen Voraussetzungen. Zweitens aus dem Merchandising. Auch da sehe ich vor allem im Ausland noch Wachstumsmöglichkeiten. Denn so sehr ich es mir auch wünsche, werden wir es nicht hinbekommen, 60 oder 70 Millionen Bundesbürger zu Bayern-Fans zu machen.

Uli Hoeneß. 72, Ehrenpräsident und Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern München
Uli Hoeneß. 72, Ehrenpräsident und Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern MünchenFrank Röth

Und was ist mit dem Fernsehgeld?

Das ist der dritte Punkt, vor allem in Asien und in Amerika. Die Bundesliga hinkt den anderen großen europäischen Ligen dort weit hinterher. Die englische Premier League kommt auf rund 4 Milliarden Euro TV-Gelder im Jahr, davon kommt über die Hälfte aus der Auslandsvermarktung. Die Bundesliga erlöst nur etwa ein Drittel davon, und aus dem Ausland kommt davon wiederum nur ein Bruchteil. Damit können wir nicht zufrieden sein, diese Differenz muss kleiner werden.

Der geplante und von Ihnen befürwortete Einstieg eines Investors, der das nötige Kapital für schicke neue Vermarktungsangebote bringen sollte, ist indes geplatzt. Wie soll die Bundesliga nun diese Lücke schließen? Etwa mit einem Kredit oder mit einer Umlage?

Eine Schuldenfinanzierung lehnen wir strikt ab. Und eine Umlage gibt es ja schon: Der FC Bayern trägt allein rund 30 Prozent der gesamten Reichweite der Bundesliga. Im In- und Ausland! Wir steuern also viel mehr zur Zentralvermarktung bei, als an uns ausgeschüttet wird, sind dementsprechend sehr solidarisch mit den anderen Vereinen. Aber es sind ja durchaus noch ganz andere Modelle vorstellbar. Zum Beispiel könnte man einzelne Märkte zusammen mit einem strategischen Partner erschließen und die Einnahmen dann zwischen der Liga und diesem Partner teilen. Das wäre ein kreativer Weg, aber da möchte ich der Diskussion in den Liga-Gremien jetzt nicht vorgreifen.

Ist die Deutsche Fußball-Liga DFL mit ihren vielfältigen Interessen in diesem Punkt überhaupt hilfreich oder eher ein Klotz am Bein? Könnte der FC Bayern im Alleingang vielleicht mehr erreichen?

Die Bundesliga ist unser Fundament, dazu stehen wir. Deswegen habe ich mich auch immer klar gegen irgendwelche Konkurrenzveranstaltungen oder Superligen ausgesprochen. Wir haben ein Spiel, das spannend ist, das jeder kapiert und das auf der ganzen Welt gespielt wird. Und wir haben eine Liga, die international einen guten Ruf genießt. Das Potential ist also da. Jetzt müssen wir unser Produkt, unseren Fußball, aber auch nach draußen tragen, und dabei müssen die Klubs die DFL mutig unterstützen. Vor der vergangenen Saison haben nur zwei Bundesligavereine eine Reise ins außereuropäische Ausland gemacht, jetzt waren es sechs. Bei der Premier League sind es mindestens die Hälfte der Clubs. Die Botschaft ist klar: Wir müssen alle sichtbarer werden.

Die Spieler, von denen viele schon jetzt über eine zu hohe Belastung klagen, müssen also noch öfter als bisher die Knochen hinhalten?

Es gibt eine Belastungsgrenze für die Spieler, das ist völlig klar. Aber schauen wir einmal auf die Fakten: Die Bundesliga hat 18 Clubs, die Premier League 20. Das macht je Saison schon einmal vier Spiele Unterschied. Dazu kommt: Wir haben einen Pokalwettbewerb, die Engländer zwei. Ich habe es mir für den FC Bayern genau angeschaut: Im Durchschnitt hatten unsere Spieler in den vergangenen fünf Jahren weniger als 50 Pflichtspiele im Jahr zu bestreiten. In den zehn Jahren davor waren es im Durchschnitt 52 Pflichtspiele. Es sind also nicht mehr, sondern weniger Partien für den Verein geworden. Was ich damit sagen will: Wenn die Belastung der Topspieler gestiegen ist, dann kommt es weniger von den Clubs als von den Nationalmannschaften mit ihren zusätzlichen Freundschaftsspielen und Wettbewerben.

Vor der Saison war die der FC Bayern unter dem Motto „Servus Korea“ auf Tournee in Asien. Um wie viel Prozent steigen nach so einer Reise die Trikotverkäufe und die Zuschauerzahlen bei den einschlägigen Streamingdiensten?

Auf den Streamingplattformen ist der Zuwachs erfahrungsgemäß enorm, wir haben neue Rekorde in Sachen Reichweite und Abrufzahlen erzielt. Und Trikots haben wir in dieser knappen Woche in Südkorea mehr verkauft als im gesamten Jahr vorher. Rechtfertigt das allein so eine Tour ökonomisch? Nein. Aber: Wir wollen Menschen auf der ganzen Welt begeistern und solche Reisen haben ihren Wert für uns in der Vertiefung der Fan-Bindungen, in der Reichweite und in den Geschäftsmöglichkeiten, die sie für uns und unsere Sponsoren schaffen. Und beim Trikotverkauf geht es nicht nur um die Marge, die wir damit verdienen. Das Trikot steht für den Club, für das Miteinander und die Gemeinschaft. Es transportiert unsere Marke und die Werte, für die wir stehen.

Was halten Sie von Regeländerungen und alternativen Spielformen, um etwa für mehr Tore zu sorgen und damit die Attraktivität des Fußballs für junge Zuschauer zu erhöhen?

Nichts. Elf gegen elf auf zwei Tore in zweimal 45 Minuten, diese Grundlage hat sich bewährt. Ich halte auch nichts von längeren Halbzeitshows oder zusätzlichen Werbepausen, wenn sich einmal jemand auf dem Platz verletzt. Worauf wir reagieren müssen, sind Änderungen in der Mediennutzung. Gerade junge Zuschauer wollen heute gern mehrere Spiele gleichzeitig auf dem Bildschirm sehen oder nur noch die Höhepunkte eines Spieltags anstatt kompletter Übertragungen. Diese Nachfrage lässt sich aber auch bedienen, ohne den Fußball mit Regeländerungen zur bloßen Unterhaltungsshow zu machen.

Überall sollen die Erlöse steigen. Nur über die Eintrittspreise für das Stadion haben Sie nicht gesprochen.

Das habe ich ganz bewusst nicht getan. Sicher könnten wir unsere Erlöse aus Ticketverkäufen um einen hohen zweistelligen Prozentsatz steigern. Aber das wollen wir nicht. Unser Stadion ist jedes Spiel ausverkauft. Andere Klubs, ob in England, Frankreich oder Spanien, nehmen viel mehr für ein Ticket als wir. Wir wollen eine Preisstruktur aufrechterhalten, die es jedem ermöglicht, ins Stadion zu kommen. Mit einer Stehplatzdauerkarte für die Bundesliga kostet der Eintritt je Spiel bei uns umgerechnet weniger als 10 Euro. Auch das gehört zur Marke FC Bayern: Wir wollen für die Breite erreichbar sein, weil wir zu unseren Wurzeln in München und in Bayern stehen. Dass wir diesen Kern, diesen Teil des „Mia san Mia“, in den vergangenen Jahren nicht verloren haben, unterscheidet uns von anderen europäischen Spitzenclubs.

Verlass ist beim FC Bayern auch stets darauf, dass Interna ausgeplaudert werden und die Vereinsgranden sich öffentlich äußern. Wie sehr nervt Sie das?

Moment, das sehe ich anders. Wir hatten uns vorgenommen, die Schotten wieder dichter zu machen. Das hat in dieser Transferperiode bislang auch sehr gut geklappt. Zudem war es immer die Philosophie des FC Bayern, den Erfahrungsschatz, die Kompetenz und die Meinungsstärke großer Spielerpersönlichkeiten einzubinden. Das ist ein immenses Plus für den FC Bayern. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind als Aufsichtsratsmitglieder eine große Bereicherung und willkommene Ratgeber für das Management und den gesamten Club. Entscheidend ist doch immer, wie es nach innen funktioniert und dass alle an einem Strang ziehen – auch mit Michael Diederich und Max Eberl im Vorstand, mit Herbert Hainer als Aufsichtsratschef, der als langjähriger CEO eines Dax-Unternehmens noch einmal eine ganz andere Perspektive einbringt. Nach meinem Eindruck bekommen wir dieses Zusammenspiel sehr gut hin. Teamwork und Transparenz sind auf allen Ebenen der Schlüssel.

Gehört der mediale Zirkus, den diese Praxis bewirkt, schlicht zum Geschäft?

Dass so viel über uns geschrieben, so viel über uns berichtet und auch so viel hineininterpretiert wird, zeigt doch nur, wie erfolgreich, attraktiv und spannend dieser Klub ist. Wenn wir langweilig wären, dann gäbe es für Sie ja nichts zum Schreiben.