„Auf trockenen Gräsern“: Was mache ich hier?
Seit Jahrzehnten dreht der
türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan ein eigenwilliges, paradoxes Heimatkino.
Seine Filme folgen Figuren, die ihrem Land und dessen Bewohnern
zunehmend fremd gegenüberstehen. Diese Menschen mögen dieselbe Sprache
sprechen, doch eine Verständigung scheint kaum mehr möglich. Von Szene zu Szene
wird ihre Haltung distanzierter, fragender. Wo bin ich? Was mache ich hier?
In Ceylans neuem Film Auf
trockenen Gräsern müssen diese Fragen nicht hervortreten, sie sind schon
Teil der Handlung: In der Türkei werden junge Lehrschaffende für vier Jahre im
ganzen Land verteilt. Es ist der vierte Winter, den der Kunstlehrer Samet (Deniz
Celiloğlu) in einem Dorf in Ostanatolien
verbringt. Danach möchte er sich wieder nach Istanbul versetzen lassen.
In einer grandiosen ersten Szene
macht Ceylan die Abgeschiedenheit des Ortes und die extremen Lebensbedingungen
erfahrbar. Eine verschneite Landschaft, die vor lauter Weiß keinen Horizont
kennt. Die roten Umrisse eines Verkehrsschildes ragen aus dem Schnee, doch wer
soll hier wem überhaupt Vorfahrt gewähren? Ein Mann steigt aus einem Bus, unter
seinen Schritten knirscht der Schnee, das Vorwärtskommen ist beschwerlich. Der
eisige Wind scheint klirrende Kälte ins Bild zu wehen. Schließlich erreicht er
den Schulhof.
Man betrachtet das Dorf mit den
wenigen Häusern nicht – man ist vor Ort. Und in der Wohnstube, wo sich der
gerade eingetroffene Samet und sein Kollege Kenan (Musab Ekici) an der Wärme des knisternden Ofens erfreuen. Die
beiden wohnen unter einem Dach, sind freundschaftlich miteinander verbunden,
aber nicht vertraut.
Samet kommt aus Istanbul. Kenan
ist einige Dörfer weiter groß geworden. Er ist Alevit, seine Eltern drängen auf
baldige Heirat. Ein wenig herablassend schaut Samet, der Großstädter, auf den
Freund, der in die Tradition verstrickt ist.
In all seinen Filmen gelingt es
Nuri Bilge Ceylan, Befindlichkeiten, Stimmungen, Lebenshaltungen, die er in
seinem Land vorfindet, in ruhige, spannungsvolle Einstellungen fließen zu
lassen. Vermeintlich banale Situationen werden zu Ereignissen, Diskurse und Gedankenräume
öffnen sich.
Auch bringt Auf trockenen Gräsern eine eigene Wirklichkeit des Schauplatzes mit
sich: Panzer patrouillieren im Hintergrund. Ein junger Mann aus dem Dorf
erzählt, dass sein Vater eines Nachts von der Polizei verschleppt worden sei.
Er habe gerade noch Zeit gehabt, den Lottoschein auf den Tisch zu legen. Später
wird sich Samet fragen, warum auch der Sohn wie vom Erdboden verschwunden ist.
Seit Jahrzehnten dreht der
türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan ein eigenwilliges, paradoxes Heimatkino.
Seine Filme folgen Figuren, die ihrem Land und dessen Bewohnern
zunehmend fremd gegenüberstehen. Diese Menschen mögen dieselbe Sprache
sprechen, doch eine Verständigung scheint kaum mehr möglich. Von Szene zu Szene
wird ihre Haltung distanzierter, fragender. Wo bin ich? Was mache ich hier?
In Ceylans neuem Film Auf
trockenen Gräsern müssen diese Fragen nicht hervortreten, sie sind schon
Teil der Handlung: In der Türkei werden junge Lehrschaffende für vier Jahre im
ganzen Land verteilt. Es ist der vierte Winter, den der Kunstlehrer Samet (Deniz
Celiloğlu) in einem Dorf in Ostanatolien
verbringt. Danach möchte er sich wieder nach Istanbul versetzen lassen.