Armutsbetroffen: Zu Händen uns sind 24 Euro viel Geld

Einem Menschen, der Bürgergeld bezieht, stehen pro Tag knapp sechs Euro für Lebensmittel zur Verfügung. Bei einem Kind unter fünf Jahren sind es pro Tag etwa drei Euro und 80 Cent. Das ist die Lebensrealität dieser Menschen. Und dann wird Christian Lindner (FDP) von dem SPD-Abgeordneten Rolf Mützenich aufgefordert, als Finanzminister doch bitte weitere Sparvorschläge zu machen. Herr Lindner sagt daraufhin, dass das Bürgergeld 24 Euro höher sei als geboten, und dass das die Steuerzahler angeblich 1 Milliarde Euro kosten würde.

Ja, lieber Herr Lindner, Sozialleistungen sind teuer. Aber notwendig, denn es geht hier um die Absicherung des Existenzminimums und die Wahrung von Menschenwürde und Menschenrechten. Es gehört zu unserem Sozialsystem, dass Menschen, die hilfsbedürftig sind, unterstützt und aufgefangen werden. Diese Menschen sind aus Gründen im Sozialtransferleistungsbezug. Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen, die den Sozialstaat kritisieren, sich mit den Hintergründen beschäftigen würden.

BürgergeldempfängerInnen sind keine Zahlen, sondern Menschen. Dass sie keine homogene Masse sind, müsste mittlerweile jeder gelernt haben. Die Zahlen von 2023 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zeigen, dass von über fünf Millionen BürgergeldempfängerInnen rund anderthalb Millionen Kinder sind, die in Bedarfsgemeinschaften leben. Ich frage mich wirklich, Herr Lindner, ob es sinnvoll ist, Kindern die Bezüge zu kürzen? Ich weiß, dass Kinder es in ihrer Politik schwer haben, denn sie leisten nichts. Aber Sie vergessen, dass diese kleinen Menschen die Steuerzahler von morgen sein werden und platt gesagt, unsere Zukunft. Daher ergibt es keinen Sinn, bei Kindern zu sparen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich die Regelsätze von Kindern anzusehen und zu überlegen, ob diese realistisch sind.

Sie propagieren das Leistungsprinzip und verhöhnen mit ihrer Forderung von 24 Euro weniger Bürgergeld die 800.000 AufstockerInnen in Deutschland. Diese Menschen arbeiten und können trotzdem nicht von ihrem erarbeiteten Geld leben. Haben sie sich schon mal mit der Lebensrealität dieser Menschen beschäftigt?

Von welchen Faulen reden wir hier eigentlich?

Etwa 700.000 Menschen im Bürgergeldbezug sind in einer Ausbildung, betreuen und pflegen Kinder oder Angehörige. Die pflegenden Angehörigen und alleinerziehenden Elternteile sind die Menschen, die oft 24 Stunden am Tag Care-Arbeit leisten. Und diesen Menschen möchten Sie das Geld kürzen?

Um die 400.000 BürgergeldempfängerInnen sind in einer Maßnahme. Damit sollen Sie besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Seitdem das Bürgergeld eingeführt wurde, war vorgesehen, den Menschen Möglichkeiten zu geben, Schulabschlüsse nachzumachen oder mehr in Umschulungen und Fortbildungen zu bringen, was Sinn machen würde bei unserem Fachkräftemangel. Leider hat sich diese Methode nicht lange etablieren können. Sparen ist wichtiger. Also wurden alle diese Fortbildungsmöglichkeiten wieder weggekürzt, trotz des Fachkräftemangels.

Um die 250.000 Menschen im Bürgergeldbezug sind krank. Sie suchen Therapie- oder Rehaplätze oder versuchen eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Seltsam, dass man noch nicht einmal Kranken 24 Euro im Monat gönnen kann.

Zuletzt sind es etwa 1,5 Millionen Erwerbslose, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Anzahl an Langzeitarbeitslosen beträgt etwa die Hälfte, 870.000 Menschen. Die andere Hälfte wird weder unseren Fachkräftemangel beseitigen, noch alle freien Stellen auf dem Arbeitsmarkt besetzen können. Entweder ist die Qualifizierung nicht vorhanden (Sie erinnern sich: Diese Möglichkeiten wurden weg gespart) oder andere Vermittlungshemmnisse liegen vor.

Diese Menschen bekommen alle zu viel Geld, meint nicht nur die FDP. Ich kann Ihnen aus eigener langjähriger Armutserfahrung sagen, dass das Geld bei Armut nicht reicht. Auch die Sozialverbände beklagen, dass der Regelsatz zu gering bemessen ist.

Frühstücken mit Merz und Lindner

Ich frage mich, ob diese Menschen mit ihren Sparvorschlägen Kontakt mit Armutsbetroffenen hatten. Konnten sie sich je ein Bild von der Lebensrealität eines Sozialtransferleistungsempfängers machen, ganz ohne Presse? Ich würde gerne den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz oder Finanzminister Christian Lindner zwei Tage zu mir nach Hause einladen. Ohne Presse. Nur wir drei. Nachdem wir mein Kind zur Schule gebracht haben, zu Fuß oder mit dem Fahrrad (Nein, die meisten Armutsbetroffenen haben kein Auto und Busgeld ist selten machbar) werde ich Sie zum Essen von meiner Tagesration Bürgergeld von 6,40 Euro zum Essen einladen.

Zumindest frühstücken ist möglich: Zwei Kaffeegetränke aus dem Automaten für einen Euro und Brötchen vom Discounter, ohne Butter oder Margarine, vielleicht noch etwas Aufschnitt. Wir könnten dann zusammen zur Tafel gehen. So wäre der Rest des Tages, was Lebensmittel für den Mittag oder Abend betrifft, gesichert. Alternativ können wir auch zusammen Pfandflaschen sammeln – einfach damit die beiden Politiker wissen, wie das so ist. Es gibt nämlich Menschen, die auf das Pfand angewiesen sind, weil ihr Geld nicht reicht. Ich wette, das haben sie noch nie gemacht.

Ach ja: Dass ihre Forderung gesetzeswidrig ist, wissen Sie hoffentlich, Herr Lindner?

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen