Amerikaner ziehen Büro vor: Fabrikarbeit bleibt unbeliebt trotz Trumps Zölle

Benhur M., der Fahrer vom Taxidienstleister Lyft, zeigte sich hochzufrieden mit seinem aktuellen Job. Er gibt ihm Freizeit, gutes Einkommen und Abwechselung, verriet er dem Fahrgast. Er hatte zuvor für Tesla in der Produktion gearbeitet. Aber das war ihm zu hart. Der gesprächige Mann, der seine vollen Namen nicht verrät, offenbart ein Problem, dass die Trump-Regierung geflissentlich missachtet in ihrem Bemühen, Amerika mit neuen Fabriken zu übersäen. So gern arbeiten die Amerikaner gar nicht in der Produktion.
Jedes zweite Industrieunternehmen in den USA sieht es als eine der größten Herausforderungen in ihrem Alltag an, nicht nur qualifizierte Arbeitnehmer zu gewinnen, sondern sie auch zu halten. Das zeigt eine Umfrage der National Association of Manufacturers vom ersten Quartal dieses Jahres. In einem Brief an Präsident Donald Trump Anfang März schlug der Industrieverband Alarm: „Im vergangenen Jahr gab es in Amerika durchschnittlich 500.000 offene Stellen in der Produktion – gut bezahlte, lebensverändernde Karrieren.“
Prognosen des Verbands zeigen, im Jahr 2033 könnten sogar 1,9 Millionen Arbeiter fehlen. Das wäre in acht Jahren. Schon jetzt ist nicht klar, wie diese Lücken geschlossen werden sollen. Die ambitionierten Deportationspläne für Millionen von illegal eingereisten Arbeitnehmern sind dabei noch nicht berücksichtigt. Rund 900.000 Arbeitnehmer ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis arbeiten Schätzungen zufolge allein in der Industrie.
Trump will es nicht wahrhaben
Dass Trump den Unwillen, in Fabriken zu arbeiten, schlicht nicht wahrhaben will, zeigt eine Episode aus seiner ersten Amtszeit. Immer wenn damals das Amt für Arbeitsmarktstatistik seinen monatlichen Bericht über Kündigungen und Entlassungen veröffentlichte, nahm Gary Cohn, damals Trumps Chefberater in Wirtschaftsfragen, die Zahlen, um den Präsidenten auf ein Phänomen hinzuweisen: Leute kündigten in Scharen ihre Stellen in der Industrie.
Tatsächlich zeigen die Daten, dass seit 2015 die Anzahl der Beschäftigten, die freiwillig die Industrie verlassen, größer ist als die Anzahl der Entlassungen und andere Formen der Trennungen. Die Botschaft ist für Zollfreunde im Weißen Haus nicht leicht zu schlucken: Es sind gar nicht immer die bösartigen ausländischen Wettbewerber.
Der Rückgang der amerikanischen Industriebeschäftigung der vergangenen zehn Jahre geht zu einem bedeutenden Teil auf individuelle freiwillige Entscheidungen von Arbeitnehmern zurück. Sie wollen offenbar lieber in einem klimatisierten Büro sitzen, statt vor einem 2000 Grad heißen Hochofen zu stehen oder sich in Kohlebergwerken eine schwarze Lunge zu holen. So versuchte Cohn Trump das Phänomen damals schon nahezubringen. So steht es in Bob Woodwards 2018 erschienenem Bestseller „Fear“. „Ich verstehe das nicht“, sagte Trump damals.
Verwirrend ist es allerdings tatsächlich, dass Fabriknostalgie und individuelle Berufsvorstellungen nicht übereinzubringen sind. Eine Umfrage im Auftrag des libertären Cato-Instituts von 2024 zeigte, dass Amerikaner die Idee lieben, dass Menschen in der Produktion arbeiten, aber nicht für sich selbst.
Politik zielt an Bedürfnissen der Arbeitnehmer vorbei
Das Ziel der Trump-Regierung, in Amerika eine Renaissance der Industrie zu befeuern und das Land in eine Art industrieller Selbstgenügsamkeit mit Schuhen, Sitzgarnituren und Textilien „Made in the USA“ zu führen, geht damit an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer vorbei. Umso verblüffter dürften sie gewesen sein, als Handelsminister Howard Lutnick auf CBS seine Vision von Heerscharen von Amerikanern, die iPhones zusammenschrauben, ausbreitete. „Die Armee von Millionen und Abermillionen Menschen, die kleine Schrauben eindrehen, um iPhones herzustellen – so etwas wird auch in Amerika kommen“, sagte Lutnick, dank der hohen Zölle.
Inzwischen ruderte Trump zurück: Smartphones, Computer, Computerchips und Maschinen, mit denen Chips gebaut werden, werden erst einmal nicht mit den drakonischen Zöllen von 145 Prozent belastet.
Das macht Trumps Industriepolitik allerdings geradezu absurd. Heißt das, dass Amerikaner in Zukunft Spielzeug fertigen sollen, während kompliziertere Elektronik in China gefertigt werden darf? Oder Textilien? Propagandaspezialisten aus China schleusen unterdessen KI-gefertigte Videoschnipsel in soziale Netzwerke, die fettleibige Amerikaner zeigen, die mit ihren Wurstfingern Stoffe an Nähmaschinen bearbeiten. So golden, lautet die Botschaft, ist diese Welt gar nicht.
Aber es geht nicht nur um Endprodukte. Trumps Importzölle schaden der Industrieproduktion, weil sie die Realität ausblenden, dass US-Produkte oft Resultate hoch spezialisierter internationaler Wertschöpfung und Arbeitsteilung sind. Ohne Einschaltung ausländischer Zulieferer können Amerikaner ihre Produkte entweder gar nicht oder nur deutlich teurer herstellen. Ein deutscher Maschinenbauer, der ungenannt bleiben will, berichtet vom Versuch, für die gesamte Produktion seines Spezialprodukts nur auf US-amerikanische Zulieferer zu setzen, um Zölle zu vermeiden. „Nicht darstellbar“, lautet sein nüchternes Resümee. Die Kosten hätten zu Preisen gezwungen, die auf dem Markt nicht durchsetzbar gewesen wären.
Trumps Verlangen, die globale Lieferketten durch heimische zu ersetzen, stößt an viele Grenzen. Randy Carr und sein Bruder haben ein kleines Wunder geschaffen. Sie haben ein kleines geerbtes Unternehmen in der Textilbranche zum größten Anbieter der Welt mit ihrem Nischenprodukt gemacht und dabei Produktionsstätten in den USA gehalten und ausgebaut. World Enblem mit Sitz in Florida stellt textile Aufnäher her: Firmen- und Vereinsabzeichen, Flaggen, Ehrenzeichen, Firmenlogos und Embleme, mit denen Fans ihre Vorliebe für Klubs oder spezielle Hobbys zeigen. Die edlen Varianten sind gestickt. Die wichtigste Produktionsstätte des Unternehmens ist eine Maquiladora (ein Montagebetrieb) in Mexiko, dazu arbeitet man mit Herstellern in China, Vietnam, Kambodscha und Thailand zusammen.
In der Regel läuft es so, dass die Vorprodukte in Mexiko hergestellt werden, um dann in den Produktionsstätten in den USA an die speziellen Kundenwünsche angepasst und schnell ausgeliefert zu werden. World Enblem ist ein Spezialist, der besondere Kundenwünsche schnell ausführen kann und die Produkte schon nach einem Tag bis höchstens nach fünf Tagen ausliefert. Der tägliche Ausstoß liege zwischen 750.000 und 1000.000 Aufnähern, verrät Randy Carr. Die Zollpolitik hat das Unternehmen schon einige Hunderttausend Dollar zusätzlich gekostet und zudem viel Zeit, in denen die Manager berieten, wie sie auf die neuen Zollregeln, die sich überdies mehrmals änderten, reagieren sollten.
Alles in den USA produzieren?
Eine Verlagerung der gesamten Produktion in die USA hält Carr für komplett unrealistisch. Das erforderte die nahezu komplette Automatisierung, der aber wegen des gewaltigen Kapitalbedarfs Grenzen gesetzt seien. Wenn man nicht automatisiere, zahle man 25 bis 30 Dollar je Stunde für Arbeiten, die man für 3 Dollar die Stunde in anderen Ländern erledigen lassen könne. Die Kostenerhöhung sei kaum am Markt durchzusetzen. Überdies sei er unsicher, ob es in diesem Land viele Leute gebe, die diese Art von Arbeit wirklich machen wollten.
World Enblem ist kein Sonderfall, sondern die Regel. Die National Association of Manufacturers, der zentrale Lobbyverband der Industrie, weist darauf hin, dass 56 Prozent der Importe halb fertige Produkte sind, die durch Trumps Zölle teurer werden und damit das Kostenkalkül für „Made in America“ über den Haufen werfen. Die Basiszölle auf alles und jeden, reziproke Zölle, Autozölle und Zölle auf Stahl und Aluminium sind der Trump-Regierung nicht genug. Sie prüft neue Zölle für Holz, Kupfer, Halbleiter und pharmazeutische Erzeugnisse.
Zudem will die Regierung noch heftigere Gebühren von chinesischen Containerschiffen abkassieren, die amerikanische Häfen anlaufen. Auch dagegen kämpft die Industrielobby, bisher mit begrenztem Erfolg. 70 Prozent ihrer Mitglieder schieben Investitionen in Maschinen und Ausrüstung auf, 50 Prozent verhängen einen Einstellungsstopp, und 45 Prozent legen Erweiterungspläne auf Eis, zeigt eine Umfrage unter den 14.000 Mitgliedern.