AfD Niedersachsen: Die Populisten sind zurück – vorerst

Die AfD hat bei der Landtagswahl doppelt so viele Stimmen geholt wie vor fünf Jahren und zählt damit zu den Gewinnern des Abends. 2017 hatte sich der Landesverband drei Wochen nach dem Einzug der Partei in den Bundestag mit sechs Prozent gerade neun Mandate sichern können, er stellte die kleinste Fraktion im Landtag. Nun wuchs der Balken der Wahldiagramme bis zwölf Prozent weiter, entsprechend frenetisch war der Jubel auf der Wahlparty. Die Partei kann nun mit 18 Abgeordneten rechnen.

Damit ziehen auch Kandidaten ein, die vor Wochen noch nicht für möglich gehalten hätten, dass sie demnächst hauptberuflich Politik machen könnten. Die Fraktion führen wird aller Voraussicht nach ein völliger Newcomer: der Spitzenkandidat und Hannoveraner Allgemeinmediziner Stefan Marzischewski. „Trotz aller, die uns den Erfolg nicht gönnen“, habe die AfD ihr Ergebnis derart steigern können, sagte er. Mit Marzischewski an der Spitze hat die Niedersachsen-AfD den bundesweiten Abwärtstrend der Partei erst einmal gestoppt.

Entsprechend kraftstrotzend trat Bundeschef Tino Chrupalla auf, der als einer der Ersten vor die Kameras von ARD und ZDF gebeten und als „klarer Gewinner“ eingeführt wurde. Chrupalla nutzte die ihm gebotene Gelegenheit einen besonders populistischen Auftritt: Der Grüne Energieminister Robert Habeck habe einen „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ entfacht, sagt er, und Deutschland stehe – wohl wegen der Unterstützung der Ukraine – „an der Schwelle des dritten Weltkrieges“. Das Wahlergebnis erklärt er mit dem geeinten Auftreten des niedersächsischen Landesverbandes und der Wahl der richtigen Themen: Man habe die Ursachen der derzeitigen Energiekrise und der Inflation klar benannt – „die verfehlte Bundespolitik“, sagt Chrupalla, die die Preise steigen lasse, oder die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Die Sanktionen gegen Russland müssten fallen, Deutschland solle wieder russisches Gas kaufen statt überteuertes Frackinggas aus den USA, referierte er die bekannten Forderungen der AfD, die er bereits am Samstag auf einer Demonstration der Partei gegen die Politik der Ampel-Koalition in Berlin vorgetragen hatte. Atomkraftwerke müssten weiterlaufen. „Das wollen die Bürger, das haben die Bürger erkannt und deshalb für uns gestimmt“, sagte er. 

Hinsichtlich der Themenwahl geben die Nachwahlumfragen Chrupalla recht. Viele machten bei der AfD wegen der Preissteigerungen und der kritischen Energieversorgung ihr Kreuz, wie sich in den ersten Zahlen zeigt. Zehntausende Enttäuschte wechselten zur AfD, die 2017 noch CDU, SPD oder FDP gewählt hatten oder damals gar nicht zur Wahl gegangen waren. Viele durch die Krise geplagte und von der Regierungspolitik enttäuschte Mittelständler hätten der AfD ihre Stimme gegeben, analysierte der Demoskop Manfred Güllner.    

Doch eine Kompetenz, die genannten Probleme auch zu lösen, traut der Partei demnach kaum jemand zu. Vielmehr stimmten 90 Prozent der AfD-Wählenden für die teils radikalen Rechtspopulisten, weil sie „die einzige Partei ist, mit der man seinen Protest gegen die vorherrschende Politik ausdrücken kann“. Immerhin 72 Prozent finden gut, dass sie die Sanktionen gegen Russland aufheben will. Die AfD ist in Niedersachsen eine russlandfreundliche Protestpartei geworden, wie sie es in Ostdeutschland schon lange ist, wo sie bei Wahlen sogar über 20 Prozent kommt.  

Zudem störte die niedersächsischen Wählenden nicht, dass der Landesverband der AfD schwerste Krisen hinter sich hat und über lange Zeit ein desaströses Bild abgab: Die Fraktion zerfiel, weil mehrere Mitglieder wegen politischer Differenzen austraten. Dadurch ging der Partei der Fraktionsstatus verloren. Untreuevorwürfe, Graben- und Lagerkämpfe prägten die AfD, in einer Kampfabstimmung riss 2020 der dem radikalen Flügel angerechnete Bundestagsabgeordnete Jens Kestner den Landesvorsitz an sich. Kurz darauf wurde die Landes-AfD von der Bundesebene her zwangsverwaltet, um einen Parteitag einberufen, der endlich Kandidaten für die Landtagswahl aufstellt. Denn eine von Kestner offenkundig aus machtpolitischen Gründen aufgesetzte Briefwahl war für unzulässig erklärt worden. Seit der Wahl des Bundestagsabgeordneten Frank Rinck im Mai zum Landeschef nahmen die internen Querelen ab. 

Seit 2019 hatte die zunächst in allen deutschen Landtagen vertretene AfD Stimmenverluste eingefahren, in Süddeutschland 2021 bis zu einem Drittel verloren. In Hamburg kam sie nur äußerst knapp wieder in die Bürgerschaft, in Schleswig-Holstein flog sie im Mai sogar wieder aus dem Landtag raus. 

Nun aber ist die Partei zurück, zumindest vorerst. Getragen von der derzeitigen Krise hat sie ihr Ergebnis entgegen dem Trend in einem westdeutschen Bundesland deutlich gesteigert. Der Wahlausgang von Niedersachsen zeigt, dass die Krise viele Menschen verunsichert und dass sie den anderen Parteien weniger als bisher zutrauen, die aktuelle Krise zu bewältigen.