Äthiopien und Ägypten: Rivalität am Horn von Afrika
Ägypten betrachtet Äthiopiens Riesenstaudamm am Oberlauf des Nils als existenzielle Gefahr. Die dadurch verstärkten Spannungen werden auch in Somalia ausgetragen
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Tatsächlich sind Ägypten und Äthiopien die eigentlichen Gegner und Akteure eines im Nordosten Afrikas aufziehenden Konflikts. Beide kämpfen um regionale Vorherrschaft. Seit Äthiopien 2011 mit dem Bau des Megastaudamms Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD) am Blauen Nil begonnen hat, flammt die Fehde zwischen beiden Staaten immer wieder auf. Es geht um das Wasser des Nils, Ägyptens Lebensader, die das Land nicht allein unter seiner Kontrolle hat. Es ist daher auf Kooperation mit den Ländern am Oberlauf des Stroms, dem Sudan und Äthiopien, angewiesen.
Der neue Staudamm, den die Regierung in Addis Abeba braucht, um eine wachsende Bevölkerung und Ökonomie mit Energie zu versorgen, erlaubt es, den Wasserdurchfluss im Nil zu regulieren – zum Schaden des Sudan und Ägyptens. Seit Kurzem laufen vier Turbinen, der Stausee ist mit 60 von geplanten 71 Milliarden Kubikmetern Wasser fast gefüllt, aber die geplante Kapazität von 5.150 Megawatt Leistung noch nicht erreicht. Dass die Menge des Nilwassers in den vergangenen Monaten nicht massiv eingeschränkt wurde, ist den vergleichsweise starken Regenfällen zu verdanken.
Ägypten bombardierte Staudamm
Ägypten betrachtet Äthiopiens Riesenstaudamm als existenzielle Gefahr und hat darauf schon mehrfach mit Kriegsdrohungen reagiert. Durch die eigene Luftwaffe ließe sich das Stauwerk durchaus bombardieren und beschädigen.
An dieser Stelle kommt Somalia ins Spiel, ein „failed state“, der de facto in viele kleine Entitäten zerfallen ist. Äthiopien braucht als regionaler Player im Kräftemessen mit Ägypten, aber ebenso im Dienste seiner Prosperität einen direkten Zugang zum Meer. Das dazu auserkorene Berbera, größter Hafen am Horn von Afrika, liegt in Somaliland, der Nordregion Somalias am Golf von Aden, die sich 1991 vom Rest des Landes abgespalten hat. Somalias wechselnde Regimes haben dies nie respektiert. Einige westliche Länder schon, allen voran Großbritannien. Sie wurden in der relativ stabilen Region Somaliland höchst aktiv und haben sie wie einen de facto unabhängigen Staat behandelt.
Das letzte Wort hat die UNO
Im Januar 2024 unterzeichnete Addis Abeba mit Somaliland eine Absichtserklärung, die Äthiopien eine Landverbindung nach Berbera und die Pacht des Hafens auch für militärische Zwecke sichert. Ein verbindlicher Vertrag soll folgen, was in den Augen der Regierung in Mogadischu ein weiterer Schritt zur Anerkennung Somalilands als souveräner Staat wäre. Sie hat daraufhin der Regierung in Addis Abeba ziemlich unverblümt mit militärischen Gegenmaßnahmen gedroht, dazu ägyptische Truppen ins Land gerufen und äthiopische Verbände zum Abzug aufgefordert. Die stehen mit einem Mandat der Afrikanischen Union (AU) als Teil einer Peacekeeping-Mission seit Jahren in Somalia.
Mitte August handelte dessen Präsident Hassan Sheikh Mohamud in Kairo ein Verteidigungsabkommen mit Ägypten aus, das die Entsendung von mindestens 10.000 ägyptischen Soldaten verspricht. Ende August schon landeten erste Vorauskommandos in Mogadischu. Formal geht es darum, die AMISOM als Friedenskorps der AU, das seit 2007 in Somalia gegen islamistische Al-Shabaab-Milizen operiert, durch eine neue Eingreiftruppe, AUSSOM genannt, zu ersetzen.
Ohne Afrikanische Union gegen die Islamisten?
Die AMISOM-Einheiten sollen bis Ende 2024 abziehen und mit ihnen die Äthiopier. Das neue Militäraufgebot – nunmehr in der Hauptsache getragen von Ägyptern – dürfte ab Anfang 2025 in Somalia einsatzbereit sein. Dessen Führung misstraut offenbar der Afrikanischen Union, weil die ihren Sitz in Addis Abeba hat. Äthiopien wolle Somalias staatliche Einheit zerstören, heißt es, deshalb der Flirt mit Somaliland. Jedoch haben äthiopische Truppen seit 2007 ständig in diesem Land gestanden, um im Rahmen von AMISOM oder auf eigene Faust die islamistischen Freischärler in Schach zu halten. Sie sollten freilich nur so lange präsent sein, bis die Regierung in Mogadischu die Kontrolle über ihr gesamtes Staatsgebiet wiedererlangt hatte. Die Frage, welchen Status man Somaliland zuerkennt, blieb ausgespart.
Tatsache ist, dass die islamistischen Milizen noch lang nicht besiegt sind, woraufhin die Afrikanische Union die neue Mission gebilligt, der UN-Sicherheitsrat aber das letzte Wort hat. Ob die äthiopischen Truppen unter all diesen Umständen friedlich abziehen oder den Kampf gegen die Islamisten auch ohne AU-Auftrag fortführen, das ist die große, ziemlich offene Frage.