Wagenknecht | 4 Fakten zeigen, wie es mit dem BSW nachdem Magdeburg weitergeht
Die taz meint es nicht gut mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Den Parteitag in Magdeburg, wo sich am Wochenende 660 Delegierte versammelten, rezensierte sie spöttisch als Treffen von „Wutbürgern“. Hinter vorgehaltener Hand würden Parteipromis von „einer durchgeknallten Sekte“ sprechen. Und dass Wagenknecht bald selbst von Bord ginge, sei auch denkbar – immerhin habe sie sich bei der „querfrontigen“ Aufstehen-Bewegung auch rasch davongestohlen. Die Realität sieht etwas differenzierter aus.
Tatsächlich ist die 56-Jährige seit diesem Wochenende nicht mehr Vorsitzende, sondern ließ sich mit nur einer Stimme Enthaltung zur Chefin der neu gegründeten „Grundwertekommission“ wählen. Doch von Weggang war in Magdeburg nichts zu hören, im Gegenteil: „Mit mir werden Sie in der deutschen Politik noch lange rechnen müssen“, rief Wagenknecht. Wie sieht also die Zukunft ihres BSW aus? Aus dem Parteitag lassen sich vier Lehren ziehen.
1. Aus einem Grund dürfte die Zahl der Mitglieder bald schnell steigen
Das BSW habe „vieles richtig“, aber auch „manches falsch“ gemacht, rekapitulierte Wagenknecht auf der Bühne die knapp zwei Jahre seit Gründung ihrer Partei. Einer der Fehler sei die restriktive Aufnahmepraxis gewesen. Diese habe zwar einen guten Grund gehabt, denn ein Sturz ins Chaos durch die Aufnahme jedes noch so fragwürdigen Interessenten hätte in der sensiblen Anfangsphase verhindert werden müssen. Aber durch diese Herangehensweise sei auch „der Eindruck eines abgeschotteten Vereins“ entstanden. Das wolle man nun ändern. „Wir müssen mehr Menschen in unsere Partei holen“, so Wagenknecht.
Bald soll es so laufen: Jeder, gegen den nicht „gewichtige Gründe“ vorliegen, wird zwei Monate nach Antragstellung automatisch Mitglied. Zu diesem Zweck muss bald noch die Parteisatzung geändert werden. Wagenknecht erhofft sich von diesem Prozedere „einen neuen Aufbruch“. Aktuell hat das BSW 11.200 Mitglieder, nach eigenen Angaben gibt es noch über 6.000 unbearbeitete Mitgliedsanträge. Menschen wie Sophie Schönberger dürfte die neue, liberale Aufnahmepraxis den Wind aus den Segeln nehmen: Die Rechtswissenschaftlerin hat dem BSW in der Vergangenheit vorgeworfen, gegen das Prinzip der innerparteilichen Demokratie zu verstoßen, weil es nur „eine geringe Zahl handverlesener Mitglieder“ aufnehme. Eine solche faktische „Aufnahmesperre“ sei nicht mit dem Parteiengesetz vereinbar.
Gleichzeitig birgt die neue Regelung auch eine Gefahr für das BSW: Es könnten Menschen aufgenommen werden, die dem Ruf der Partei durch öffentliche Äußerungen Schaden zufügen. Spiegel und taz haben Irrlichter im BSW in der Vergangenheit nur allzu gerne ausgiebig zitiert.
2. Es gibt jetzt fast nur noch Wessis in der Führungsriege
Was auch neu ist: Das Duo an der Spitze ist jetzt rein westdeutsch. Der Europaabgeordnete Fabio De Masi wurde mit 93,3 Prozent, Amira Mohamed Ali mit 82,6 Prozent in das Amt des Parteivorsitzenden gewählt. Als gebürtige Jenaerin konnte Wagenknecht in dieser Position glaubwürdig die Ostdeutschen ansprechen. Wie gut ihren Nachfolgern dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. Im nächsten Jahr stehen unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wichtige Wahlen an. In ersterem Bundesland steht das BSW in Umfragen bei sieben, in letzterem bei sechs Prozent. Kann eine stark westdeutsch geprägte Führungsriege hier für mehr Auftrieb sorgen? Zumal auch ins Amt des Generalsekretärs ein gebürtiger Nordrhein-Westfale gewählt wurde: Oliver Ruhnert.
Vor dem Parteitag hatte der brandenburgische Finanzminister Robert Crumbach öffentlich eine Kampfkandidatur um für Bundesvorsitz erwogen. „Mit einer Parteiführung allein aus Westdeutschen wird man im kommenden Jahr keine guten Karten haben“, hatte er der Welt gesagt. „Da braucht es sehr, sehr viel mehr Ostdeutsche.“ Am Ende zog Crumbach aber zurück: Es müsse ein „Signal der Geschlossenheit“ von dem Parteitag ausgehen, sagte er.
Aber auch Katja Wolf, Thüringens Finanzministerin, ist nicht happy über den Wessi-Überschuss. „Wir sind in den Landtagswahlkampf gezogen mit der Forderung 50:50 bei Führungspositionen“, sagte sie am Rande des Parteitages. „Da wäre es schon schön, wenn das BSW diesen Anspruch auch an sich selbst hätte.“ Immerhin: Mit Silke Heßberg wurde eine Sächsin mit 92,5 Prozent zur neuen Schatzmeisterin gewählt. Und auch der Parteiname wird aus Rücksichtnahme auf die bevorstehenden Wahlen unter anderem im Osten erst zum 1. Oktober 2026 geändert. Ab dann soll BSW für „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“ stehen.
3. Das BSW sieht sich selbst „zwischen allen Stühlen“ und nicht auf der Regierungsbank
Auch ein Signal dieses Parteitages: Das BSW will nicht um jeden Preis regieren. Friederike Benda, Landesvorsitzende in Brandenburg, und John Lucas Dittrich, Ko-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, hatten pünktlich zum Parteitag in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der Berliner Zeitung geschrieben, sie sähen den Platz des BSW „ganz klar zwischen allen Stühlen“ und nicht auf einem „gemütlichen Sofa“. Das ging vor allem in Richtung der Parteifreunde in Brandenburg und Thüringen, wo das BSW in Koalitionen mit SPD beziehungsweise CDU regiert. Nach der Auffassung vieler in der Partei wird in diesen Konstellationen nicht genug erreicht.
Dem Thüringer BSW war es zuletzt nicht einmal gelungen, ein kostenloses Mittagessen für Kindergarten- und Schulkinder einzuführen. „Das Geld ist einfach nicht da“, seufzte der dortige Fraktionsvorsitzende Frank Augsten. „Das schmerzt uns sehr, geht aber nicht anders.“ Angesichts der Tatsache, dass sich vor allem das BSW für die Einführung stark gemacht hatte und – ausweislich Wagenknechts Rede in Magdeburg – für „Menschen mit wenig Einkommen“ da sein möchte, ist das eine magere Leistung. Nun will Wagenknecht in ihrer neuen Rolle als Chefin der Grundwertekommission das sozialpolitische Profil der Partei schärfen. Was das konkret bedeutet, wird sich zeigen.
4. Wagenknechts Plan: Sie möchte sich bis zum Bundesverfassungsgericht „durchklagen“
Nach amtlichem Endergebnis ist das BSW im Februar mit 9.500 Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und sitzt deshalb nicht im Bundestag. Am Freitag vor dem Parteitag in Magdeburg entschied der Wahlausschuss, dass es dennoch keine Neuauszählung geben solle. Wagenknecht kritisierte diese Entscheidung scharf und sprach davon, Deutschland habe „die Wahlprüfung einer Bananenrepublik“. Immerhin sei es zu „offenkundigen Zählfehlern“ gekommen.
Auf der Bühne der Messehalle erlaubte sie sich noch einen Scherz: Der Satz, jedes Volk habe die Regierung, die es verdient, treffe auf Deutschland derzeit nicht zu – denn wahrscheinlich hätten die Wähler die schwarz-rote Koalition „gar nicht gewählt“. Was sie meint: Sollte das BSW wegen Auszählfehlern eigentlich doch ein Recht haben, im Bundestag zu sitzen, hätte die Bundesregierung keine Mehrheit mehr im Parlament. „Es braucht keine Neuwahl, um Kanzler Merz in die Wüste zu schicken“, mokierte sich Wagenknecht folglich in Magdeburg. „Es würde ausreichen, wenn man neu auszählt.“
Bereits zuvor hatte sie im Gespräch mit den Nachdenkseiten gesagt, natürlich könne „niemand hundertprozentig sagen“, ob es das BSW bei der Bundestagswahl über fünf Prozent geschafft habe. Jedoch habe man „bei ganz wenigen Überprüfungen im Vorfeld des amtlichen Endergebnisses“ bereits 4.200 Stimmen „dazugewonnen“. Und da seien nicht einmal zehn Prozent der Wahllokale überprüft worden. Mit anderen Worten: Bei einer Neuauszählung käme man wahrscheinlich auf 9.500 Stimmen. Deshalb kündigte Wagenknecht Ende vergangener Woche an, sich bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe „durchzuklagen“.